Jogging
(Eine unglaubliche Geschichte von Dario Abatianni (C)14.06.1994)
Lange Schritte trugen ihn über den trockenen Sandweg. Die Sohlen seiner alten Turnschuhe erzeugten knirschende Geräusche, während er lief. In regelmäßigen Abständen blickte er auf seine Sportuhr. Die Zeit war gut, wie immer. So lange, wie er schon joggte, konnte er das auch erwarten, er war seit Jahren daran gewöhnt. Puls einhundertzwanzig, gleichmäßiger Schritt, Atemfrequenz stabil. Er genoß die frische Märzluft, die milde Frühlingstemperatur und den lauen Wind in seinem Gesicht. Der Feldweg führte ihn zwischen den Wiesen und Äckern hindurch, er überquerte eine kleine Brücke und steuerte auf den schmalen Wald zu, hinter dem sein Haus lag. Wenige Minuten später erreichte er schließlich das Gartentor. Seine Tochter wartete schon in der Haustür, während er den schmalen, mit Steinplatten ausgelegten Weg zu ihr hinaufging. »Hi, Monika«, begrüßte er sie und gab ihr einen Kuß.
»'n Morgen, Papa. Wie war's?«
»Oh, gut. Wie üblich.« Er hielt die Stoppuhr an. »Zweiunddreißig sechzehn. Gar nicht übel, was?« Er kraulte Monikas braunes Haar, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr in die Küche. Das Frühstück stand schon bereit, der Kaffee würde auch bald fertig sein. Während sich Monika an den Tisch setzte, stellte er sich noch für zehn Minuten unter die Dusche, bevor er seiner Tochter Gesellschaft leistete.
»Hast du Lust, mit einkaufen zu kommen?« fragte Frank, während er sich umzog. »Wir können dann ja im Plattenladen reinschauen, wenn du magst. Außerdem brauchen wir noch etwas zu Essen fürs Wochenende.«
»Ja gern«, kam Monikas Stimme aus der Küche. »Vielleicht finde ich ja etwas Neues für meine Sammlung.« Monika hörte mit Begeisterung die Stücke aus den Sechzigern und Siebzigern. In ihrem Zimmer stapelten sich die CD's mit dieser Musik bereits vor ihrer kleinen Stereo-Anlage.
»Na dann, komm«, sagte Frank, als er, fertig angezogen, aus dem Schlafzimmer kam. »Ich möchte nicht zu spät zurück sein.« Er nahm sie bei der Hand, doch sie machte sich von ihm frei. »Was ist?« fragte er.
»Es hat keinen Sinn, Papa. Ich kann alleine gehen. Wenn du mir immerzu hilfst, werde ich es nie lernen.«
Ein wenig gekränkt zog Frank seine Hand wieder zurück. Aber sie hatte recht, das wußte er. Irgendwann mußte sie alleine durchs Leben kommen können, je früher, desto besser. Auch wenn es ihn schmerzte, sie so unbeholfen durch den Raum gehen zu sehen. Aber der Unfall, den sie vor drei Jahren gehabt hatten, forderte von ihnen beiden einen hohen Tribut. Dennoch war er sich nicht sicher, wer von ihnen beiden den höheren Preis bezahlt hatte. Damals waren sie mit dem Wagen unterwegs gewesen, Frank mit seiner Frau Barbara und ihren Kindern, Thomas und Monika. Sie kamen von einem Verwandtenbesuch in Köln zurück und fuhren nun auf der A57 ihrem Heimatstädtchen entgegen. Aus dem Radio kamen leise Klänge, welche die Reise unterhaltsamer machten. Barbara und Frank unterhielten sich über ihre folgenden Urlaubspläne, während Thomas und seine vier Jahre ältere Schwester auf dem Rücksitz Witze machten und herumalberten. Monika war gerade dreizehn Jahre alt geworden, und ihr Vater hatte vor einem Jahr dieses Haus im Grünen gekauft, wo er seine Tierpraxis ordentlich aufbauen konnte. Barbara war bei der örtlichen Zeitung als Redakteurin beschäftigt, und beide brauchten unbedingt eine oder zwei Wochen Urlaub, in dem sie sich von den Strapazen ihrer Arbeit endlich ausruhen konnten.
Sie hatten gerade die Ausfahrt nach Uedem hinter sich gelassen, als ein Sportwagen von hinten mit hoher Geschwindigkeit angerauscht kam. Frank fuhr etwa einhundertzwanzig Stundenkilometer schnell, aber der andere Wagen zischte so rasant an ihnen vorbei, daß es ihm vorkam, als würde er auf dem Seitenstreifen parken. »Mann!« rief Thomas von hinten. »Der war ja schnell!« Er und Monika machten große Augen und blickten dem Wagen nach, bis er hinter der folgenden Kurve verschwunden war.
Schließlich erreichten sie die Ausfahrt, und Frank drosselte die Geschwindigkeit des Wagens auf siebzig Kilometer pro Stunde, als er in die schmale Abfahrt einbog. Die Straße war von der danebenliegenden Auffahrt durch eine Leitplanke getrennt, um so mehr war Frank überrascht darüber, daß ihm der Sportwagen, der sie vor wenigen Minuten überholt hatte, auf ihrer eigenen Spur entgegenkam. Frank hatte gerade noch Zeit zu registrieren, daß der Wagen wieder eine sehr hohe Geschwindigkeit drauf hatte, als es auch schon einen lauten Knall gab und es dunkel wurde.
Barbara und Thomas waren bei dem Zusammenprall gestorben, Monika kämpfte im Krankenhaus um ihr Leben, und er selbst trug mehrere Knochenbrüche und ein Schleudertrauma davon. Der Fahrer des Sportwagens war, da er sich nicht angeschnallt hatte, durch die Windschutzscheibe geschleudert worden. Auch er starb noch bevor die Polizei den Unfallort erreicht hatte.
Eine Woche lang mühten sich die Ärzte um Monikas Leben und retteten sie auch schließlich, aber ihr Augenlicht hatten sie ihr nicht erhalten können. Seitdem versuchten Frank und sie mit ihrem veränderten Dasein klarzukommen, und Monika hatte sich erstaunlich schnell wieder gefangen. Er selbst hatte viele Probleme gehabt, einerseits den Verlust seiner Frau und seines Sohnes zu verkraften, und andererseits zu sehen, wie seine Tochter blind den Rest ihres Lebens bestreiten sollte. Sie war immer fröhlich gewesen, auch an Freundschaften zu anderen Mädchen ihres Alters hatte es nie gefehlt. Doch seit diesem Unfall hatten sich ihre Freundinnen bald schon von ihr zurückgezogen, offensichtlich wußten sie nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten, jetzt, da sie so anders geworden war, als sie selbst. Nur Alexandra hatte es sich nicht so einfach gemacht. Sie kam immer noch regelmäßig zu Besuch und gab Monika das Gefühl, nicht von allen vergessen worden zu sein.
So sehr sie auch auf ihre Selbständigkeit beharrte, in der Stadt selbst hielt sie sich immer nahe bei ihrem Vater. Gemeinsam durchwanderten sie die verkehrsberuhigte Zone, in der sich die meisten Geschäfte befanden. Monika ging an Franks Seite. Wie sie es damals gelernt hatte, tastete sie den Weg voraus mit Hilfe eines weißen Stockes ab, obwohl sie ihrem Vater vertraute, daß er sie nicht in irgendetwas hineinlaufen ließ. Außerdem war dann für die übrigen Menschen hier klar ersichtlich, daß sie etwas aufmerksamer sein mußten.
Der Plattenladen hatte leider nichts Neues für sie, aber als Ausgleich fand Frank eine hübsche Bluse, die Monika gleich darauf anprobierte. Auch wenn sie nicht sehen konnte, wie das Kleidungsstück zu ihr paßte, sie hatte dennoch immer wieder Freude daran, etwas anderes anzuziehen. »Wie sehe ich aus?« fragte sie ihren Vater, als sie aus der Umkleidekabine kam.
»Du bist wunderhübsch«, antwortete er, und das war nur wenig übertrieben. Ihr langes, braunes Haar fiel in vollen Locken über ihre Schulter ein ganzes Stück den Rücken hinunter, das feingeschnittene Gesicht war zu einem strahlenden Lächeln geworden, und wäre nicht die dunkle Brille gewesen, die sie trug, ihre grauen Augen hätten den Gesamteindruck noch verstärkt. »Zum verlieben.«
Sie gab ihm einen Kuß. »Danke, Papa.«
Monika behielt die Bluse an, als Frank sie zur Schule fuhr. Sie hatten in einem Ort in der Nähe eine Privatschule gefunden, die Kinder und Erwachsene wie Monika unterrichtete. Dort lernte sie, all das zu tun, was sie trotz ihrer Behinderung noch konnte. So verlor sie durch den Unfall wenigstens nicht den Anschluß an die anderen Mädchen ihres Alters.
Der Tag in der Praxis erwies sich als recht anstrengend, so wie an jedem Freitag. Vor und nach dem Wochenende war hier immer am meisten zu tun. Abends holte er dann seine Tochter von der Schule ab. Es war beinahe wie damals, als er sie immer vom Gymnasium nach Hause gebracht hatte, das ebenfalls in einer anderen Stadt war.
*
Die ersten drei Kilometer waren geschafft. Gegenüber gestern war es etwas kälter geworden, was ihm allerdings nichts ausmachte. Sein Körper erwärmte sich durch die Anstrengung selbst, und die kühle Brise verhinderte, daß er sich zu sehr aufheizte. Er ließ seine Gedanken wandern, um sich von seinem harten gestrigen Arbeitstag zu erholen und sich von den Alltagsproblemen abzulenken. Hier draußen fand er immer die nötige Abgeschiedenheit und Einsamkeit, um mit seinen Problemen fertigzuwerden. Die Natur ringsum verleitete ihn immer wieder aufs Neue dazu, sich in ihrem Anblick zu verlieren. Nur wenige Autos oder Fahrräder kamen diese Sandstraßen entlang, hier war er ungestört.
Schon bald bog er wieder in den Weg ein, der ihn in das Wäldchen kurz vor seinem Haus führte. Es dauerte eine Weile bis er merkte, daß dieses Geräusch, das er seit einigen Augenblicken hörte, weder von seinen Schuhen, noch von Waldgetier stammte. Eher klang es wie eine menschliche Stimme, aber schwach und gequält. Frank blieb stehen und lauschte, bis er die Richtung, aus der das Geräusch kam, eindeutig bestimmt hatte.
Leise und vorsichtig drang er in den Wald vor. Er folgte dem leisen Geräusch, bis er etwas hinter einem Busch hervorragen sah. Es war dunkel und pelzig, wie das Fell eines streunenden Hundes, aber dies dort schien nur ein kleiner Teil eines viel größeren Körpers zu sein. Nachdem es sich ein paar Minuten lang nicht bewegt hatte, wagte Frank sich ein paar Schritte näher heran. Plötzlich wieder dieses Geräusch, es kam allerdings nicht von dem schwarzen Ding. Es stammte von einem jungen Mann, der ein paar Schritte weiter rechts an einem Baum gelehnt saß. In Aufregung über seinen ersten Fund hatte Frank ihn gar nicht bemerkt. Der Mann war in übler Verfassung. Seine - nebenbei bemerkt sehr ungewöhnliche - Kleidung, war schmutzig und stark zerrissen, eine böse Wunde klaffte quer über seiner Stirn. Getrocknetes Blut klebte überall an seiner Kluft, ein Bein war unnatürlich verdreht. Seine Augen waren geschlossen, aber er schlief nicht, seine leisen Schmerzenslaute waren zu deutlich dafür. Er war eindeutig am Ende seiner Kräfte. Neben ihm im Laub lag ein langes blutbeflecktes Messer.
Unschlüssig stand Frank immer noch an derselben Stelle und überlegte. Solange er nicht wußte, was dort hinter dem Gebüsch lag, wollte er nichts riskieren. Der Mann war übel zugerichtet, und das wollte er sich nach Möglichkeit ersparen. Endlich wagte er sich doch an den Verletzten heran und kniete sich neben ihn auf den Waldboden. Er war zwar Tierarzt, doch auch er erkannte, zweifelsfrei, daß sich diese Wunden entzündet hatten und der Mann schnellstens Hilfe brauchte. Vorsichtig berührte er ihn an der Schulter. »Können Sie mich hören?« Er bekam keine Antwort. Behutsam untersuchte Frank den langen Schnitt auf der Stirn des anderen. Es sah schlimmer aus, als es eigentlich war. Sehr lang, aber nicht allzu tief. Die Infektion war schon eher gefährlich. Die Ränder der Verletzung sahen allerdings mehr nach einem Kratzer als nach einem Schnitt aus. Wie ein Kratzer von einer Katze, nur viel größer. Frank überlegte gerade, wie man sich eine solche Wunde zuziehen konnte, als der Mann die Augen öffnete. Aber anstatt etwas zu sagen, deutete er nur mit dem Finger auf etwas, das sich in Franks Rücken befand.
Er mußte an die Wunde denken, als er die riesige schwarze Katze sah, die sich hinter ihm erhoben hatte. Sie hatte eine Schulterhöhe von mindestens zwei Metern, jede ihrer achtzehn scharfen Krallen war groß genug, einem erwachsenen Mann mit nur einem Hieb das Lebenslicht auszulöschen. Sie starrte ihn aus ihren furchterregenden gelben Augen an. Langsam senkte sie den Kopf, bis ihr Maul auf gleicher Höhe mit Franks Kopf war.
Seine Beine wollten laufen, voller Panik vor diesem Monster. Aber sein Verstand blieb Sieger. Er wußte, wie eine Katze auf eine weglaufende Beute reagierte. Er hätte wahrscheinlich nicht einmal die Zeit, zehn Schritte zu machen, ehe ihn eine der Krallen erwischt hätte. »Können Sie aufstehen«, fragte er den Fremden. »Wir sollten verschwinden, ganz langsam und ruhig.« Vorsichtig versuchte er, dem anderen auf die Beine zu helfen. Doch der Fremde wehrte sich. Energisch schüttelte er die hilfreiche Hand ab und zeigte wieder auf das Tier. Die Katze war einen Schritt näher gekommen, mißtrauisch beäugte sie ihn. Dann machte sie einen Satz nach vorne, und Frank warf sich angstvoll zur Seite. Die Katze landete dicht neben dem verletzten Mann, und Frank mußte zusehen, wie sie ihren gewaltigen Kopf zu ihm hinunterbeugte. Aber statt Angst- und Schmerzensgeschrei hörte er Worte einer ihm unbekannten Sprache und ein tiefes, dumpfes Schnurren.
Frank brauchte ein paar Augenblicke, um sich an den Anblick zu gewöhnen. Es schien so, als gehörte die Katze zu dem Mann. Sie hatte sich neben ihm niedergelassen und ließ sich nun das Kinn kraulen. Dabei schnurrte sie so laut, daß man es mit Sicherheit bis zum Weg hin hören würde. Aber es war kaum verwunderlich, daß Frank zuerst geglaubt hatte, sie hätte ihn so verletzt, denn wann bekam man schon eine zwei Meter große Katze zu Gesicht. Woher kamen sie?
Nachdem er endlich die Situation verdaut hatte, wagte er sich wieder ein paar Schritte an den Mann heran. »Kann ich Ihnen helfen?«
Der Fremde hob den Kopf und sah Frank einige Augenblicke an. »Linq malet«, sagte er. »Linq malet, jebonah.«
Frank hob unschlüssig seine Hände. »Ich verstehe Sie nicht.« Dabei tippte er sich mit einem Finger an sein Ohr und schüttelte den Kopf.
»Linq«, sagte der andere wieder und deutete auf die Katze. »Malet, jebonah.« Er wies auf den großen Hinterlauf, der, wie Frank jetzt sehen konnte, übel verletzt war. Blut hatte das schwarze Fell verklebt, und dort, wo kein Fell mehr war, erkannte er die tiefe Wunde.
Frank atmete ein paarmal kräftig durch, bevor er sich schließlich langsam dem riesigen Tier näherte, das jetzt die Augen geschlossen hatte. Langsam floß noch immer ein wenig Blut aus dem Riß in seinem Lauf, das das Laub auf dem Boden rot färbte. Frank konnte klar erkennen, daß es ohne Hilfe nicht heilen würde. Außerdem brauchten die Wunden des Mannes ebenfalls eine Behandlung. »Bleiben Sie hier«, sagte er, nachdem er sich wieder dem Fremden zugewandt hatte. Seine Hände machten eine Geste, daß er warten solle. Der Mann nickte. »Ich bin gleich zurück.« Frank winkte noch einmal kurz und lief dann auf den Weg zu. Während er sich entfernte, begleiteten ihn das tiefe Schnurren der Katze und die beruhigenden Worte ihres menschlichen Freundes.
Er beeilte sich, nach Hause zu kommen. Wie auch schon gestern stand Monika in der Tür und wartete auf ihn. Als sie ihn kommen hörte, machte sie ein paar Schritte in seine Richtung. »Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst.«
»Ja, ich bin etwas aufgehalten worden. Gehen wir in die Küche, ich muß dir was erzählen.«
Sie setzten sich an den runden Holztisch, auf dem das Frühstück auf die beiden wartete. Frank war allerdings nicht nach Essen zumute. Monika hatte seine Aufregung offensichtlich bemerkt, denn sie rückte mit ihrem Stuhl zu ihm heran und legte eine Hand auf seine Schulter. »Was ist passiert?«
»Ich weiß nicht, ob du mir glauben wirst.«
»Versuch es mal.«
Er räusperte sich. »Na ja, gut. Ich bin auf dem Rückweg wie üblich durch den Wald gejoggt. Da habe ich dann diese Geräusche gehört, so als ob ein Mensch Schmerzen hätte. Im Wald habe ich dann auch einen Mann gefunden, der ein paar böse Wunden hat. Aber das Merkwürdigste war das Tier, das er bei sich hatte.« Er machte eine kleine Pause, um seine Gedanken zu ordnen. »Du weißt ja, daß ich Tiere aller Art liebe, aber diesmal wäre ich am liebsten davongelaufen.«
»Was für ein Tier war es denn?«
Frank überlegte. »Eigentlich... Ich weiß nicht. Doch, natürlich weiß ich es, aber irgendwie auch wieder nicht.«
Monika machte ein fragendes Gesicht. »Wie soll ich denn das verstehen?«
»Nun, es ist zwar ein Tier, das ich kenne, das aber nicht ganz so aussieht, wie es sollte. Ach, Scheiße! Es ist eine schwarze Katze, aber sie ist zwei Meter groß!« Frank war aufgesprungen und wedelte jetzt mit den Armen herum. »Aber sie ist verletzt, genau wie der Mann. Ich muß ihnen helfen, statt hier herumzuquatschen.«
Während Monika noch mit verblüfftem Gesichtsausdruck am Tisch saß, eilte er aus dem Raum und suchte in seiner kleinen Praxis alles Verbandsmaterial zusammen, das er finden konnte. Außerdem nahm er noch die Jodflasche und ein Antiseptikum mit. Auf dem Weg aus dem Haus kam ihm seine Tochter entgegen. »Ich komme bald zurück, Monika«, sagte er und verließ das Haus.
»Warte, Papa! Ich komme mit.«
»Nein! Das will ich nicht. Wer weiß, was das für ein Kerl ist. Und auch das Tier... Das ist zu gefährlich, ich muß alleine gehen.«
»Wenn es gefährlich ist, dann nicht nur für mich, sondern auch für dich«, gab Monika zurück. Damit hatte sie auch schon die Haustüre geschlossen und kam zu ihm auf die Straße. »Wenn das stimmt, was du erzählst, wirst du Hilfe brauchen.«
Frank sah ein, daß seine Tochter sich nicht umstimmen lassen würde, und so gab er nach. »Also gut, komm ruhig mit. Aber wir müssen uns beeilen.« Er nahm ihre Hand. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
»Nein, Paps.«
»Dann komm jetzt.« Langsam führte er sie den Weg hinunter, wurde nach und nach schneller, bis sie beide im Laufschritt Seite an Seite die Straße entlang liefen. An der gleichen Stelle wie vorhin bog Frank in den Wald ein. Hier mußten sie langsamer gehen, denn Monika fand sich auf dem unebenen Waldboden weniger gut zurecht. Schließlich erreichten sie die Stelle, an der Frank den Mann und sein Tier verlassen hatte. Sie schienen sich seit vorhin nicht bewegt zu haben. Die einzige Veränderung war, daß der Mann die Katze nicht mehr kraulte, da sie anscheinend eingeschlafen war. Er selbst hingegen war hellwach. Als er Frank und seine Tochter bemerkte, blickte er zu ihnen hinüber.
»Monika, wir sind da.« Frank führte sie vorsichtig bis zu dem Fremden hin. »Wir werden zuerst seine Stirnwunde versorgen, ich schätze, die ist gefährlicher. Danach kümmern wir uns um... um die Katze.«
»Wo ist sie?« fragte Monika.
»Zwei Meter rechts von dir. Sie schläft.« Frank stellte den Koffer ab, den er sich aus der Praxis mitgenommen hatte und besah sich die Verletzung genauer. »Gib mir mal die Jodflasche und zwei Wattestäbchen.«
Monika hatte ihm schon oft in der Praxis geholfen, und so kam sie schon bald mit dieser Situation klar. Während ihr Vater die Wunden behandelte, reichte sie ihm die Sachen an, die er brauchte.
»Es scheint alles gar nicht so schlimm zu sein«, sagte Frank, während er arbeitete. »Ein wenig Verband, und die Kratzer werden von selbst abheilen. Das Bein ist zum Glück auch nicht gebrochen, wahrscheinlich verstaucht.« Schließlich war er fertig und wandte sich seiner Tochter zu. »Jetzt kommt die Katze dran.«
»Wird sie uns etwas tun?« fragte Monika, die sich bei dem Gedanken an eine zwei Meter große Katze gar nicht wohl fühlte.
Nein. Linq wird friedlich sein.
»Was?« fragte Monika. »Wer wird friedlich sein?«
Frank blickte sie an. »Was ist los?«
»Ich dachte, du hättest was gesagt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich wohl vertan. Führ mich bitte zu ihr hin, ja?«
Frank nahm sie sanft bei der Schulter und brachte sie zu dem riesigen Tier hin, das sie nun neugierig beobachtete. Dort wies er sie an, auf ihn zu warten, während er die Sachen holte. Dann kniete er sich neben dem Hinterlauf ins Laub und untersuchte den Schnitt. Vorsichtig tupfte er etwas Jod auf die Stelle, und die Katze zuckte kurz zusammen, wehrte sich aber nicht. Behutsam hob Frank den Hinterlauf an und legte ihn auf Monikas Bein. Während er den Verband befestigte, strich sie mit einer Hand über das Fell.
»Oh mein Gott«, sagte sie leise.
»Was hast du?« Frank hielt kurz in seiner Beschäftigung inne.
»Das ist ja wirklich eine riesige Katze. Oh, Scheiße! Ich hab' Angst.«
»Bleib ruhig sitzen«, sagte ihr Vater. »Sie wird dir nichts tun.« Er fuhr fort, den Verband um die Wunde zu wickeln. »Ich habe mir schon gedacht, daß du mir nicht glaubst. Aber jetzt weißt du es ja selbst. Dieses Tier ist riesengroß.«
»Das macht mir ja solche Angst.«
Linq weiß, daß ihr helfen wollt. Er wird euch nichts tun.
»Wer ist Linq?« fragte Monika.
»Was ist? Was für ein Linq?« Frank befestigte die Bandage und sah von seiner Arbeit auf. »Moment mal, woher hast du das?«
»Was habe ich?«
»Linq. Dieses Wort.« Er dachte einen Augenblick nach. »Der Mann da vorne hat auch so komisch gesprochen, und ich bin sicher, daß er auch dieses Wort gesagt hat.«
»Ich dachte, du hättest es mir gerade selbst gesagt. Aber wenn ich genau darüber nachdenke, es war gar nicht deine Stimme.«
»Ich habe bestimmt nichts gesagt. Aber nebenbei bemerkt: Gehört hab ich auch nichts.«
»Aber ich. Linq wird euch nichts tun. Das habe ich gehört.«
Frank dachte noch einen Moment lang nach und stand dann auf. »Wie auch immer, wir müssen sie jetzt erst einmal zu uns bringen, bevor sie hier draußen noch jemand findet, der es weniger gut mit ihnen meint.« Er ging zu dem Fremden hinüber. »Können Sie gehen?« fragte er und begleitete den Satz mit entsprechenden Gesten. Als der andere schwach nickte, zeigte Frank auf die Katze. Wieder nickte der Mann. Wahrscheinlich würde sie ihm sowieso überallhin folgen. Monika und er halfen dem Mann auf die Beine und stützten ihn, während sie zurück durch den Wald gingen. Wie es Frank erwartet hatte, stand das Tier bald darauf auf und humpelte hinter ihnen her.
»Wo willst du sie denn unterbringen?« fragte Monika auf halbem Wege zum Haus.
»Hmmm. Ich schätze, wir werden ihn im anderen Zimmer einquartieren. Die Katze kommt in die Garage. Wenn ich den Wagen rausfahre, wird dort genug Platz sein.« Das andere Zimmer war Franks Bezeichnung für Thomas' altes Kinderzimmer. Er sprach nicht gerne über seinen Sohn oder seine Frau, die Erinnerung war immer noch zu schmerzhaft. Aus diesem Grunde flüchtete er sich in seine Arbeit und bemühte sich, so wenig wie möglich darüber nachzudenken. Deshalb erfand er auch solche Namen für Dinge, die ihn sonst zu sehr belasten würden.
»Das wird wohl so gehen«, bemerkte Monika. »Ich bin gespannt, was wohl noch alles passieren wird.«
»Für meinen Geschmack ist schon genug passiert. Ich werde zusehen, daß die beiden so schnell wie möglich wieder gesund werden, damit sie dahin gehen können, wo sie herkamen, wo immer das auch ist.«
Sie waren an ihrem Haus angekommen. Wie Frank angekündigt hatte, holte er das Auto aus der Garage und brachte den Fremden dort hinein, damit ihm das Tier folgte. Als er den Mann dann in das Haus führen wollte, schüttelte dieser den Kopf.
»Linq. Eya uhs Linq.« Er deutete auf sich und das Tier. Offensichtlich wollte er nicht, daß sie getrennt wurden. Frank zuckte mit den Schultern und ließ ihn mit der Katze zusammen in der Garage. Kaum hatte sich der Mann auf einer dünnen Matte, die Frank sonst für sich hier liegen hatte, wenn er mal etwas am Wagen basteln mußte, ausgestreckt, schlief er auch schon ein.
Als Monika wenige Augenblicke später mit etwas zu Essen in die Garage kam, hielt Frank sie an der Tür auf. »Sie schlafen. Stell es einfach hierhin und komm mit ins Haus.«
Leise kam sie seinen Worten nach. Aber als sie gerade das Tor geschlossen hatte, glaubte sie, ein leises »Danke« vernommen zu haben.
»Was tun wir jetzt?« fragte Monika, als sie schließlich zusammen im Wohnzimmer saßen.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, sagte Frank. »Eine solche Situation ist ja schließlich nicht alltäglich. Auf jeden Fall sollten wir niemandem davon erzählen. Erstens würde man uns wahrscheinlich für verrückt erklären, zweitens könnten weniger freundliche Menschen Wind von der Sache bekommen. Wer weiß, womöglich würde man uns sogar glauben und ihn irgendwohin verfrachten, wo sie dann sonstwelche Tests mit ihnen anstellen würden.«
»Und die Katze?«
Frank schwieg einen Augenblick. »Die bleibt hoffentlich, wo sie ist. Ich meine, ich hoffe, daß sie sich nicht in den Kopf setzt, hier herumzustreunen, wenn sie erst einmal wieder richtig laufen kann.«
Monika dachte kurz nach. »Was, wenn sie wieder gesund sind? Wohin werden sie dann wohl gehen?«
»Dahin, woher sie gekommen sind, denke ich. Wo das allerdings ist, kann ich mir nicht vorstellen.«
»Vielleicht kriegen wir das ja noch raus.«
*
Mitten in einem ruhigen Traum wachte Monika auf. Sie lauschte auf Geräusche, die sie womöglich geweckt haben könnten, aber es war alles vollkommen still. Sie begann gerade wieder in einen leichten Schlaf hinüberzudämmern, als sie plötzlich eine leise Stimme hörte. Sie war sicher, daß sie den Klang dieser Stimme schon einmal vernommen hatte, aber die Worte konnte sie nicht verstehen. Einen Moment lang war wieder alles ruhig. Doch dann hörte sie wieder etwas, lauter diesmal - und klarer. Sie war sich nun sicher, woher sie die Stimme kannte. Sie hatte sie heute im Wald zum erstenmal gehört. Jetzt bemerkte sie, daß sie sie eigentlich nicht wirklich gehört, sondern eher in ihrem Kopf gehabt hatte, als würde sie über etwas nachdenken, doch diese Gedanken waren nicht ihre eigenen.
Wasser. Ich bin durstig, ich brauche Wasser.
Monika hatte wenig Zweifel, wer dort zu ihr sprach, aber sie konnte es nicht glauben. Wie war es möglich, daß sie ihn hier hören konnte? Auch die Tatsache, daß sie ihn eigentlich gar nicht hörte, beruhigte sie nicht, im Gegenteil: Es machte die ganze Sache noch unheimlicher. Diese Stimme in ihrem Kopf, die einfach so zu ihr sprach, brachte sie schon ein wenig aus der Fassung. Dann richtete sie sich langsam auf und ließ ihre Beine aus dem Bett baumeln. Dort fanden ihre Füße die Hausschuhe, und dann ging sie in die Küche, um ein Glas mit Wasser zu füllen. Beinahe hätte sie das Gefäß fallen gelassen, denn ihr wurde in diesem Augenblick klar, daß sie die Stimme verstanden hatte, obwohl der Mann eine andere Sprache benutzte. Zumindest hatte er sehr merkwürdig geredet, als ihr Vater zu ihm gesprochen hatte. Die Stimme in ihrem Kopf verstand sie aber klar und deutlich.
Langsam suchte sie sich ihren Weg durch den Flur nach draußen. Ein kühler Nachtwind wehte und zog durch den dünnen Stoff ihres Nachthemdes. Behutsam ging sie zum Garagentor. Schon bald konnte sie die leise Stimme des Fremden hören, der sanft zu seinem Tier sprach. Schüchtern klopfte sie an das Metalltor. »Hallo? Ich bringe Ihnen etwas zu trinken.«
Die Stimme verstummte, und Monika öffnete leise das Tor. Die großen Federn quietschten leicht, als es sich Stück für Stück hob. Schließlich ging sie in die Garage und schloß die Nacht wieder hinter sich aus. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht Durst. Ich habe Ihnen etwas Wasser mitgebracht.« Sie hielt das Glas in die Richtung, in der sie den Fremden vermutete. Sie konnte hören, wie die riesige Katze leicht und regelmäßig atmete.
Vielen Dank, ich bin wirklich sehr durstig, sagte die Stimme, und einen Augenblick danach regte sich etwas vor ihr. Sie ging noch ein paar Schritte weiter. Sie vermutete, daß sie jetzt nur noch etwa einen Meter von dem Mann entfernt war. Sie kniete sich auf den Boden und streckte die Hand mit dem Glas aus. Der Fremde nahm es dankbar an. »Ifen mella. Guaten.« Sie hörte, wie er seinen Durst stillte und wollte gerade wieder aufstehen, als sich eine sanfte Hand auf ihre Schulter legte. Geh nicht. Bleib noch einen Augenblick bei mir.
Sie setzte sich wieder hin. »Was kann ich für Sie tun?«
Wo bin ich hier?
»Ich glaube nicht, daß es Ihnen viel nützen wird, wenn ich es Ihnen sage.« Sie hatte die Vermutung, daß er noch nicht einmal von dieser Welt war.
Er seufzte einmal tief. Ja, das ist wahr. Ich habe meine eigene Welt hinter mir gelassen, denn sonst wären Linq und ich vernichtet worden. Wir haben den Sprung gerade zur rechten Zeit gemacht. Er machte eine kurze Pause. Du und dein Vater, ihr seid sehr freundlich und hilfsbereit gewesen.
»Das war doch selbstverständlich«, wehrte sie etwas verlegen ab.
Oh nein, ganz gewiß nicht. Es gibt nicht viele Menschen, die so handeln würden. Die meisten wären spätestens bei Linqs Anblick davongelaufen. In eurer Welt gibt es ja keine solchen Wesen.
»In unserer Welt...« Monika dachte einen Augenblick nach. »Warum sind Sie überhaupt hier? Sie haben gesagt, daß Sie vor etwas geflohen sind?«
Wir wurden gejagt. Mein Freund und ich, wir dienen einem Baron, der über ein kleines Land herrscht und zu dessen Volk ich gehöre. Doch einer der Barone eines angrenzenden Gebietes griff uns vor ein paar Nächten an, um unser Land zu erobern. Wir kämpften gegen ihn, zwei Tage und Nächte lang. Ihre Reittiere gegen unsere, ihre Soldaten gegen die Männer unseres Heeres. Während dieses Kampfes kamen Linq und ich schwer in Bedrängnis. Wir konnten uns nur noch durch einen Zauber retten, der uns von der Kampfstätte fortbrachte. Und so sind wir hierher gekommen. Aber während ich hier meine Wunden kuriere, kämpfen meine Kameraden in der Schlacht weiter. Deshalb werde ich so bald wie möglich dorthin zurückkehren.
»Aber Sie können nicht gehen, jedenfalls nicht in Ihrem Zustand. Die Wunden müssen erst heilen, sonst sind Sie für niemanden ein Nutzen.«
Ich werde bleiben, aber nicht gerne. Der Gedanke an die Schlacht nagt an mir. Ich darf meine Freunde nicht so im Stich lassen.
Monika war entschlossen, den Mann auf andere Gedanken zu bringen. »Sind Sie noch durstig? Oder möchten Sie etwas essen?«
Vielen Dank, aber ich brauche nichts. Du warst sehr freundlich zu uns.
Sie nickte. »Gern geschehen.« Schüchtern senkte sie ihren Kopf ein wenig. »Ich möchte Sie gerne etwas fragen.« Sie wartete einen Moment, bevor sie weitersprach. »Sie und ich, wir verstehen uns. Ich meine, ich höre Ihre Stimme in meinem Kopf, und ich verstehe ihre Worte. Aber mein Vater scheint Sie nicht zu verstehen. Was ist der Grund dafür?«
Dein Vater ist es, wie die meisten anderen Menschen deiner und meiner Welt auch, gewöhnt, mit seinen Augen zu sehen und mit seinen Ohren zu hören. Aber du bist nicht auf das angewiesen, was du siehst. Da du dich viel mehr auf deine Sinne verlassen mußt als andere bist du empfänglicher für alles, was die meisten nicht einmal bemerken. Linq und ich, wir verständigen uns über unsere Gedanken, da er nicht sprechen kann. Genauso spreche ich mit dir. Meine Gedanken werden in deinem Geist zu Worten, die du verstehst. Auf diese Art nehme ich deine Gedanken in meinem Geist wahr. Wenn ich auch deine Sprache nicht verstehe, so formen sich die Gefühle, die du hast, zu Bildern und Worten.
Unwillkürlich berührte sie ihre geschlossenen Augen. Sie hatte sich schon so sehr an ihre Blindheit gewöhnt, daß sie kaum noch darüber nachdachte. Jetzt, durch diesen Fremden, erschien es ihr wieder völlig neu. Die Dunkelheit um sie herum erschien plötzlich viel greifbarer. Lange vergessene Gefühle kamen zu ihr zurück. Sie erinnerte sich wieder daran wie es war, als sie noch ihr Augenlicht besessen hatte. Überrascht fühlte sie eine Träne, die ihr über die Wange lief und dann einen Finger, der sie behutsam trocknete.
Ein dumpfes Brummen schreckte sie auf. Es kam ganz aus der Nähe, von ihrer linken Seite. Keine Angst, das ist nur Linq. Er führte ihre Hand, bis sie das weiche Fell des Tieres berühren konnte. Sie zuckte zurück, doch er hielt sie sanft fest. Er wird dir nichts tun. Er liebt es, gestreichelt zu werden.
Unsicher berührte sie das dichte Fell. Langsam strich sie mit ihrer Hand durch die langen Haare, dann spürte sie die Vibrationen des Körpers der schnurrenden Katze. Bald wurde sie mutiger, ihre Hand strich durch die Mähne des Tieres. Sie mochte die Art, wie es in ihren Handflächen kitzelte, und das lauter werdende Schnurren zeigte, daß auch Linq zufrieden war. Kurze Zeit später streichelte sie das Fell mit beiden Händen. »Es ist wundervoll«, sagte sie verzückt. »Ich hätte nicht gedacht, daß sein Fell so weich ist. Es fühlt sich beinahe wie Seide an.«
Eine Zeitlang saß sie nur da und streichelte die Katze, während sie ihre Gedanken frei wandern ließ. Der Fremde hatte seitdem nicht wieder mit ihr gesprochen, und eine kurze Frage zeigte ihr, daß er wieder eingeschlafen war. Das erinnerte sie an ihre eigene Müdigkeit, die sie vollkommen vergessen hatte. Behutsam stand sie auf und verließ die Garage durch das Tor, wobei sie darauf achtete, daß die Federn nicht allzulaut quietschten.
Als der dunkelhaarige Fahrer des roten Jaguar-Cabrios am nächsten Morgen an der Tür läutete, hätte Frank am liebsten so getan, als wäre er nicht zu Hause. Aber der Mann im teuren Anzug und Krawatte, Leo, ein guter Freund von ihm, der jetzt ein Architekturbüro besaß, hatte ihn schon bemerkt und winkte ihm durch das kleine Fenster in der Tür zu. Also ging Frank durch den Flur und ließ in herein.
»Grüß dich«, sagte Leo. »Hast du heute etwas Zeit?«
»Ja, eigentlich schon. Komm rein.« Frank ließ ihn an sich vorbei und schloß die Tür. »Geh schonmal ins Wohnzimmer, ich komme gleich nach.« Er ging in die Küche, um zwei Gläser und eine Flasche Mineralwasser zu holen, während Leo es sich in einem der Sessel bequem machte. Schließlich schloß Frank sich seinem Freund an und füllte die beiden Gläser. »Was gibt's denn?«
»Ich dachte, wir könnten zusammen ein wenig joggen gehen«, meinte Leo. »Ich bin schon lange nicht mehr hier gelaufen. Ich bin es leid, ewig dieselbe Strecke abzuklappern.«
Frank nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Von mir aus gerne. Ich wollte sowieso gleich los. Eigentlich bin ich schon jetzt spät dran. Ich frage mich nur, warum Monika noch nicht wach ist. Sonst sitzt sie immer schon vor mir am Tisch. Heute morgen war sie allerdings noch im Bett, als ich gefrühstückt habe.«
Leo zuckte mit den Schultern. »Vielleicht fühlt sie sich nicht so gut. Wann gehen wir?«
»Wenn du willst, sofort. Ich muß mich nur noch schnell umziehen.«
»Ich warte dann am Wagen«, sagte Leo. »Bis gleich.« Frank ging ins Schlafzimmer, um sich seine Joggingsachen anzuziehen, während Leo wieder nach draußen ging, um sich seine Kleider aus dem Jaguar zu holen.
*
Frank hatte sich gerade umgezogen, als er von draußen einen Schrei hörte. Er eilte durch den Flur und stand kurz darauf vor seinem Haus, wo Leo mit weit aufgerissenen Augen bis an seinen Wagen zurückgewichen war und wild mit den Armen herumfuchtelte. Frank ahnte bereits, was geschehen war. Als er sich dann seinem Freund näherte, konnte er sehen, daß das Garagentor offen stand. Wenige Momente darauf kam auch Monika nach draußen geeilt, ihr leichtes Nachthemd flatterte in der morgendlichen Brise. »Was ist passiert?« fragte sie aufgeregt.
»Leo hat gerade unseren Gast entdeckt«, sagte Frank verärgert.
»Gast? Ich glaube, ich spinne! Was um alles in der Welt ist das?« Leo nahm seinen Blick nicht für einen Augenblick von der großen Gestalt in der Garage.
Franks Ärger wich langsam einer gewissen Belustigung. »Eine Katze, oder was denkst du.«
»Das ist doch krank! Eine Katze! Das ist ein Monster, ein riesiges Ungetüm! Wie kannst du denn sagen, es sei ein Gast?«
»Weil es ganz einfach so ist«, erklärte Frank. »Beruhige dich erst einmal, dann werde ich dir erzählen, was gestern passiert ist. Ich schätze, jetzt wo du sie gesehen hast, wirst du diese Geschichte auch glauben. Ich habe dir vorher nichts davon erzählt weil ich dachte, daß es keinen Zweck hätte. Aber nun sieht die Sache ganz anders aus. Es wäre schlecht, wenn ich dir nichts erzählen würde.«
»Hör auf zu quatschen, Frank, und komm endlich zur Sache.« Nach und nach hatte Leo sich wieder unter Kontrolle. Zumindest hatte er aufgehört, mit den Armen zu wedeln.
»Wir sollten besser reingehen und alles bei einer Tasse Kaffee besprechen«, schlug Frank vor. »Monika, bist du so lieb?«
»Klar doch. Ich nehme an, eine Tasse Kaffee wird Leo nach diesem Schreck gut tun. Ich werd' mich dann auch gleich anziehen.« Sie wandte sich um und ging ins Haus, während Leo die Katze immer noch mißtrauisch anstarrte.
Später saßen Frank und sein Freund am Tisch, Leo goß sich schon die dritte Tasse ein. »Und du willst mir wirklich weismachen, daß die beiden einfach so in eurem Wald aufgetaucht sind?«
»Genau so ist es«, bestätigte Frank. »Ich war gerade beim Joggen, wie jeden Morgen. Du kannst mir glauben, zuerst habe ich auch einen Riesenschreck bekommen. Aber schließlich mußte ihm ja jemand helfen. Besser ich, als einer, der weniger gute Absichten hat.«
»Nächstenliebe schön und gut, aber wer weiß, was für Absichten die beiden haben. Ich meine, dieses Riesenvieh gehört schließlich nicht hierher, und woher sie gekommen sind, wißt ihr ja auch nicht,«
»Sie sind auf der Flucht«, sagte Monika, die gerade zur Tür hereinkam. »Der Baron, in dessen Land sie leben, ist von einem anderen Volk angegriffen worden.«
»Woher weißt du das?« fragten Frank und Leo zur gleichen Zeit.
Monika setzte sich in einen der freien Sessel an den Wohnzimmertisch. »Er hat es mir erzählt. Er und Linq, das ist seine Katze, sie wurden angegriffen, und nur durch einen Sprung in unsere Welt konnten sie ihr Leben retten.«
Jetzt war Frank an der Reihe, ungläubig dreinzublicken. »Er hat es dir gesagt? Wieso verstehst du seine Sprache? Ich habe immer nur irgend so ein Kauderwelsch gehört, aus dem ich nicht schlau wurde.«
»Ich eigentlich auch, aber er spricht mit mir, wie mit seiner Katze. Seine Worte entstehen in meinem Kopf. Du verstehst ihn nicht, weil du nicht gelernt hast, dich auf deine Sinne zu verlassen. Ich schon.«
»Du meinst, er spricht mit dir durch Telepathie?«
»So könnte man es nennen.«
Frank schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Schöne Aussichten. Zuerst taucht bei mir ein Typ auf, der eine riesige Katze zum Freund hat, und dann erzählt mir meine eigene Tochter, daß sie eine Telepathin ist. Was kommt als nächstes? Grüne Männchen mit Laserpistolen?«
»Komm, krieg dich wieder ein. Es ist wirklich wahr. Ich habe ihm gestern nacht ein Glas Wasser gebracht, weil er durstig war. Da hat er mir alles erzählt, warum er hier ist und so. Darum weiß ich auch, warum ich ihn verstehen kann.«
»Deshalb warst du auch heute morgen nicht auf«, stellte Frank fest, und Monika nickte. »Das ist ja eine schöne Geschichte, in die wir da hineingeschlittert sind.«
»Und was hast du jetzt mit deinem Gast vor?« fragte Leo.
Frank zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich wird er sowieso gehen, wenn er wieder gesund ist. Was danach geschieht, ist mir so ziemlich egal.«
»Und wenn er nicht geht, was dann?«
»Er wird in seine Welt zurückkehren«, sagte Monika.
»Wieso bist du dir da so sicher?«
»Er hat mir von den Kämpfen erzählt, die er zu bestehen hatte, seit sein Land unter dem Angriff seiner Feinde steht. Ich bin sicher, daß er seine Kameraden nicht im Stich lassen wird. Wahrscheinlich wird er früher aufbrechen, als wir denken.«
»Irgendwie wäre ich um so glücklicher, je früher das passiert«, meinte Frank. »Die ganze Sache bereitet mir nämlich mehr Kopfzerbrechen als dir, wie es scheint. Du hast ja offensichtlich schon Freundschaft mit den beiden geschlossen.«
»Also ich würde dem Kerl nicht über den Weg trauen«, meinte Leo. »Und der Katze schon gar nicht.«
»Das ist ja auch kein Wunder!« fuhr Monika auf. »Du siehst doch nur das, was deine Augen dir zeigen. Wenn du mal ein wenig genauer hinsehen würdest, mit deinem Herzen, nicht mit deinen Augen, dann würdest du einsehen, daß nicht alles, was anders ist, gleich etwas Schlechtes sein muß! Dann würdest du erkennen, daß er ein guter Freund ist.« Sie war aufgesprungen und eilte jetzt so schnell sie konnte aus dem Zimmer.
»Monika!« rief Frank, doch sie achtete nicht auf ihn.
»Was hab ich denn gesagt?« fragte Leo.
*
Sie fühlte die starken Arme des Fremden um ihren schlanken Körper, während sie sich weinend an ihn klammerte. Er strich ihr beruhigend über das Haar und murmelte leise Worte in seiner eigenen Sprache. Monika ließ ihrem Kummer freien Lauf. »Sie hatten recht«, sagte sie leise mit tränenerstickter Stimme. »Die Menschen sehen immer nur das, was sie sehen wollen. Den wahren Wert einer Sache erkennen sie nicht. Anscheinend müssen wir erst blind sein, um wirklich klar sehen zu können.«
Du darfst nicht zu hart zu ihm sein, sagte er. Seine Angst läßt ihn nicht los. Er kann nun einmal nicht begreifen, daß etwas, das bedrohlich aussieht, nicht unbedingt auch gefährlich sein muß. Ich denke, das würden die wenigsten verstehen.
»Ich verstehe es«, sagte sie. »Sie und Linq, Sie sind die besten Freunde, die ich seit langer Zeit hatte. Vor ein paar Jahren hatte ich viele gute Bekannte, aber die waren keine wirklichen Freunde. Nach meinem Unfall wollten sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie haben mich alleine gelassen, als wenn ich plötzlich zu einem Ungeheuer geworden wäre, dem man am besten aus dem Weg geht. Aber ich bin doch immer noch die gleiche, die ich immer war.«
Sie haben wahrscheinlich nur Angst.
»Angst? Wovor? Vor mir?«
Vor sich selbst. Angst, etwas falsch zu machen. Sie haben normalerweise nichts mit jemandem zu tun, der nicht sehen kann. Sie fürchten sich davor, dich durch ein falsches Wort oder etwas anderes zu verletzen. Für sie bist du in einer verzweifelten Situation. Vielleicht scheuen sie aber auch die Vorstellung, daß es ihnen mal ähnlich ergehen könnte.
»Nur Alexandra ist bei mir geblieben. Sie hat als einzige verstanden, daß ich mich nicht in meine tiefsten Depressionen zurückgezogen habe. Sie ist eine wahre Freundin.«
Vielleicht verdienst du nur gute Freunde. Du bist wirklich ein gutes Mädchen.
»Finden Sie?«
Ja. Dein Herz ist gut, und wenn jemandem wirklich etwas an dir liegt, wird er dies auch feststellen. Ansonsten sieht auch er nur mit seinen Augen.
Monika wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mir so lange zugehört haben. Dieses Gespräch hat mir sehr gut getan. Vielen Dank.« Sie hielt einen Moment inne, dann lächelte sie. »Wir haben uns jetzt schon so lange unterhalten, aber ich weiß noch nicht einmal, wie Sie heißen.«
Ich hielt das nicht für so wichtig. Aber wenn du meinen Namen wissen willst, sollst du ihn erfahren. Ich werde in unserer Welt Zallnyr genannt.
»Ich bin Monika.«
Ich weiß.
*
»Hör mal, Leo«, sagte Frank und beugte sich leicht über den Tisch. »In der ganzen Zeit, in der ich Monikas Vater war, bin ich selten in einer Situation gewesen, in der ich nicht wußte, was das Beste für sie ist. Nur, jetzt sieht es anders aus. Ich möchte, daß du mir einen Rat gibst, ich weiß nämlich nicht mehr weiter. Soll ich ihre Freundschaft mit dem Fremden dulden, oder wäre das ein Fehler?«
Leo machte ein überraschtes Gesicht. »Das fragst du gerade mich? Ich habe nicht einmal eine Tochter, außerdem ist diese Situation nicht gerade alltäglich. Du kennst Monika doch viel besser als ich sie je kennen werde und den Fremden auch, zumindest ein bißchen. Ich möchte mich da nicht gerne einmischen. Tut mir leid, aber das steht mir nicht zu.«
»Das stimmt natürlich. Eine blöde Frage, aber ich bin einfach total fertig. Vielleicht hast du es noch nicht bemerkt, aber meine Nerven sind nur noch dünne Spinnenfäden. Zum einen, weil dieser Fremde mir einen ganz gehörigen Schock verpaßt hat, zum anderen aber auch wegen Monika und ihrer Geschichte, daß sie ihn verstehen kann.«
»Vielleicht solltest du mit ihr darüber sprechen«, schlug Leo vor. »Du könntest dich ja auch mit ihrer Hilfe mit ihm unterhalten und herausfinden, was er nun vorhat, oder wann er wieder gehen wird.«
»Ja, das könnte ich tun. Aber möglicherweise bringt sie das noch näher zu ihm, als sie es jetzt schon ist. Ach verdammt, ich weiß einfach nicht mehr, wo mir der Kopf steht!«
Leo legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Reg dich doch nicht auf. Es ist keine Schande, daß du im Augenblick nicht alles auf die Reihe kriegst. Ich kann mir denken, was jetzt mit dir los ist, ich hab ihn und sein Tier ja auch gesehen. So was ist ja schließlich wie gesagt nicht alltäglich. Deshalb schlage ich vor, die ganze Sache nicht lange zu zerreden. Geh einfach zu ihm hin. Frag ihn, was los ist. Solange wir hier sitzen und reden wird sich nichts weiter ergeben.«
»Du denkst, so einfach ist das?«
»Ja, eigentlich schon. Was spricht dagegen?«
Frank seufzte leise. »Wahrscheinlich ist es wohl wirklich das Beste, was ich im Moment tun kann. Von nichts kommt nichts, nicht wahr?« Mit einer entschlossenen Geste stützte er seine Hände auf den Oberschenkeln ab und erhob sich. »Also gut, reden wir mit ihm. Wer weiß, was wir dann alles erfahren werden.« Er ging um den Tisch herum. »Ich hoffe nur, Monika versteht, daß ich Zweifel habe. Ich möchte ihr nicht gerne wehtun.«
»Sie wird es schon begreifen. Schließlich ist sie ja kein Kind mehr.«
Frank nickte. »Richtig. Vollkommen richtig. Ich weiß nicht, ob ich alleine zu dieser Entscheidung gekommen wäre, Leo. Danke dir.«
»Gern geschehen. Wozu hat man denn Freunde?«
Sie verließen das Wohnzimmer, in dem der Rest des dampfenden Kaffees mittlerweile vergessen auf dem Tisch stand. Auf dem Weg zur Garage überdachte Frank die Sache noch einmal. Tat er denn auch das Richtige? Ihm kam wieder der Augenblick in den Sinn, als sie wütend den Raum verlassen hatte. Vielleicht würde sie ihn verstehen. Wenn sie es aber nicht tat und er sie für sich verlieren würde... Das wäre unerträglich. Nein, dachte er. Sie ist klug genug, mich zu verstehen. Entschlossen ging er ohne zu zögern voran, während Leo ihm folgte.
Quietschend öffnete sich das Tor der Garage, und Frank trat zusammen mit seinem Freund ein. Erschreckt blieb er stocksteif stehen, denn Monika lag mit dem Rücken an die Katze gelehnt. Das Tier hatte einen Vorderlauf um den Körper seiner Tochter gelegt und schnurrte leise, während der Fremde lächelnd zusah. Monika schien zu schlafen, doch als sie die beiden bemerkte, wandte sie ihren Kopf ihnen zu. Auch auf ihrem Gesicht lag ein Lächeln, von der Art, wie Frank es noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
»Er mag mich, Papa«, sagte sie. »Zallnyr sagt, Linq mag, wie ich rieche. Findest du auch, daß ich gut rieche?«
»Monika! Bist du verrückt?« Frank bemühte sich, leise zu sprechen, obwohl er seine Aufregung eigentlich laut hinausschreien wollte. »Was tust du da?«
»Keine Angst, Linq tut mir nichts. Er mag mich wirklich. Und ich mag ihn auch.«
»Ich glaube, jetzt geben meine Nerven gleich ganz den Geist auf«, sagte Frank und näherte sich behutsam dem großen Tier, das ihn aus seinen gelben Augen neugierig anblickte. »Ist er wirklich friedlich?«
»Nur weil er groß ist? Natürlich ist er friedlich.«
»Schon gut, ich glaube dir ja.« Frank dachte an vorhin zurück und bemühte sich, seine Tochter nicht weiter aufzuregen. »Er sieht wirklich nicht böse aus, eben nur wie eine Katze, zwar eine recht große, aber sonst stimmt alles.« Er mußte lachen als er merkte, daß er nur redete, um seine Nervosität zu überspielen. Schließlich blieb er einen Meter vor dem riesigen Kopf stehen. Linq reckte seine Nase nach vorne und beschnupperte den Neuankömmling. Frank stand absolut still, während das Tier ihn untersuchte. Er spürte, wie Leo sich hinter ihm anspannte und den Atem anhielt. Aber seiner Tochter zuliebe ignorierte er seine eigene Furcht und wartete ab. Schließlich schien die Katze zufrieden zu sein, sie legte ihren Kopf auf die freie Pfote, die sie vor sich ausgestreckt hatte. Leo holte hörbar Luft.
Wenig später hatte Frank es sich auf dem Boden bequem gemacht. Er und der Fremde unterhielten sich mit Monikas Hilfe, so erfuhr er alles, was Zallnyr bereits seiner Tochter erzählt hatte. Das ließ ihn anders über Linq und seinen Herrn denken, da er nun wußte, warum sie beide eigentlich hier waren. Er war auch erleichtert zu hören, daß sie, sobald Zallnyr wieder bei Kräften war, in ihre eigene Welt zurückkehren würden. Anschließend kümmerte Frank sich um die Verletzungen des Mannes, die nun bereits viel besser aussahen als vorher. Auch Linqs Pfote begann zu heilen. Während er die neuen Verbände anlegte, gingen ihm Monika und sogar auch Leo zur Hand. Dabei bemerkte auch er das samtene Fell der Katze. Nach und nach hatte er jede Scheu vor dem Tier verloren, Leo aber hielt immer noch einen gewissen Sicherheitsabstand ein.
So saßen sie da und redeten, bis es Mittag wurde. Monika bereitete in der Küche etwas zu Essen vor, während Frank die Katze mit allen Fleischvorräten fütterte, die er in seinem Schrank hatte finden können. Bald kam seine Tochter mit einem Tablett zurück, auf dem sie vier Teller und einen großen Topf trug. Die Vier verzehrten einen leckeren Gemüseeintopf, und danach ruhten sie sich gemeinsam ein wenig aus, lachten und machten Witze, um die Zeit vergehen zu lassen.
»Ach ja, ehe ich es vergesse«, sagte Leo und stand auf. »Ich habe dir die Zeichnung mitgebracht, die du haben wolltest. Ich hole sie dir, sie liegt bei mir im Auto. Der neue Geräteschuppen wird sich wirklich prächtig neben der Garage machen«, fügte er hinzu, während er schon auf dem Weg nach draußen war. Monika und Frank blieben bei Zallnyr und warteten darauf, daß er zurückkam. Statt dessen hörten sie etwa eine Minute später einen schrillen Schrei. Sie tauschten erschreckte Blicke, und Frank sprang auf, um draußen nachzusehen.
»Sei vorsichtig«, rief ihm Monika hinterher.
Den Rat seiner Tochter beherzigte Frank nur allzugerne. Langsam spähte er um die Ecke zum Vorplatz hin, auf dem Leo den Jaguar abgestellt hatte. Der Wagen war noch immer dort, die Tür stand weit offen und der hellbraune Lederkoffer, in dem Leo seine Papiere aufzubewahren pflegte, lag etwa einen Meter davon entfernt auf dem Boden.
»Leo?« rief Frank. »Wo steckst du?«
»Was ist los?« fragte Monika von drinnen heraus.
»Leo ist verschwunden«, antwortete er, während er den Platz im Auge behielt. »Der Wagen steht noch da, mit offener Tür. Ich hoffe, es ist ihm nichts passiert.«
»Er hat geschrien«, gab Monika zu bedenken.
»Ich werde ihn suchen. Ihr wartet solange hier, bis ich wieder da bin.«
»Nein, geh nicht da raus! Bleib hier! Wer weiß, was da los ist. Ich hab so ein komisches Gefühl.« Monika kam zu ihm herüber und hielt ihn fest, als er gerade gehen wollte. »Ich habe Angst. Du darfst nicht gehen.«
Frank drehte sich zu ihr um. »Ich weiß, daß es möglicherweise gefährlich ist, aber Leo braucht vielleicht Hilfe. Wenn es nicht schon zu spät ist.«
»Aber du darfst nicht alleine gehen. Ich werde mitkommen.«
»Um Himmels Willen, Monika! Manchmal werde ich aus dir wirklich nicht schlau. Gerade eben erzählst du mir, was alles passieren könnte, und jetzt sollen wir uns beide in Gefahr begeben? Außerdem, und verstehe mich bitte nicht falsch, wenn es für mich schon gefährlich ist, wie soll ich da verantworten, daß du mit mir gehst?«
»Ich will dich nicht verlieren.«
Franks Stimme wurde eine Spur sanfter. »Ich weiß, Kleines, ich will auch nicht, daß dir etwas zustößt. Deshalb sollst du ja auch hier bleiben. Hier bist du sicherer, als sonst irgendwo.«
Linq könnte ihn begleiten. Seine Verletzung ist nicht sehr stark, und es würde ihm nichts ausmachen.
»Würdest du das zulassen?«
»Was zulassen?« fragte Frank, der den Gedankenaustausch der beiden natürlich nicht mitbekommen hatte.
»Zallnyr hat gerade vorgeschlagen, daß du mit Linq gehen sollst. Ich glaube, er hat recht. Das ist wirklich sicherer.«
Frank zögerte. Dann fing er den Blick des Mannes auf, der auf ihm ruhte. »Wird das Tier denn auch wissen, was es tun soll?« Als er bemerkte, wie sich Monikas Gesichtsausdruck ein wenig verdüsterte, fügte er schnell hinzu: »Schon gut, schon gut. Warum nicht. Dann komm, Linq, wollen wir mal sehen, was da los ist.« Zu seiner eigenen Überraschung stand die Katze auf und trottete langsam aus der Garage. Verblüfft ging er hinterher, um nicht den Anschluß zu verlieren. Hinter ihm schloß sich das Garagentor mit einem leichten Knarren der alten Federn.
Draußen sah er nichts Besonderes. Angespannt näherte er sich dem roten Cabrio. Linq beschnüffelte bereits den Koffer, den Leo zurückgelassen hatte. Scheinbar fand er nichts von Interesse, da er ihn schon bald links liegen ließ und weiter um den Wagen herumschnupperte. Frank war nun selbst dort angekommen und sah in das Innere des Jaguars hinein. Alles schien normal zu sein. Es sah so aus, als wäre Leo einfach verschwunden. Langsam ging Frank zur gegenüberliegenden Hausecke, blieb dort stehen und lugte vorsichtig um sie herum. Vor sich konnte er den Hinterhof seines Hauses sehen, den schmalen, mit Steinplatten ausgelegten Weg, der bis zu dem alten Holzverschlag führte, den er schon lange hatte abreißen wollen. Als Ersatz wollte er einen neuen Geräteschuppen bauen, der direkt an die Garage anschließen sollte. Leo hatte ihm angeboten, eine Zeichnung dafür zu entwerfen. Anscheinend war er nun damit fertig geworden. Frank hoffte, daß es nicht die letzte Zeichnung war, die sein Freund angefertigt hatte. Mit steigender Nervosität näherte er sich dem Verschlag, vor dem der Boden, wie er gerade erkannt hatte, ziemlich aufgewühlt war.
*
Ängstlich wartete Monika mit Zallnyr auf Frank. Sie suchte Zuflucht an seiner Seite, wie sie es bereits vorhin schon getan hatte. Diesmal waren aber auch seine Gefühle angespannt, das spürte sie. Er machte sich Sorgen, wahrscheinlich um Linq. Sie sorgte sich auch um das Tier, aber die Angst um ihren Vater war stärker. Wenn er nun nicht zurückkehren würde, wenn er nun wie Leo verschwinden sollte? Aber Leo hatte keine Hilfe gehabt, er hatte auch nicht damit gerechnet, daß etwas geschehen könnte. Wahrscheinlich würde ihr Vater schon bald wieder da sein. Auch Leo würde früher oder später wieder auftauchen, da war sie sich eigentlich sicher. Sie hatten wohl durch die merkwürdigen Ereignisse der letzten beiden Tage ein wenig die Nerven verloren und sahen jetzt überall neuerliche Absonderlichkeiten. Trotz dieser Gedanken fühlte sie sich aber immer noch nicht sicher. Ein nagendes Gefühl der Unsicherheit wollte sie nicht loslassen. Furchtsam lehnte sie sich an Zallnyr und wartete.
Es war bereits einige Zeit vergangen, als sie von draußen ein Geräusch wahrnahmen. Es klang wie Schritte, die vor der geschlossenen Garage auf und ab gingen. Ein leises Klicken klang ab und zu einmal auf, wie die Krallen eines großen Tieres. Monikas erster Gedanke war, daß es ihr Vater mit Linq sein würden, die zurückkamen. Aber dann hörte sie etwas, das ihre Hoffnung zunichte machte. Sie hörte das Geräusch eines schweren Körpers, der sich von außen gegen das Garagentor warf. Laut schallte es durch den kleinen Raum, und Monika klammerte sich mit einem Aufschrei an Zallnyr.
Wumm! Ein weiteres Mal schepperte das Tor unter dem Gewicht des Körpers, diesmal jedoch löste sich ein Teil der Verankerung, und klirrend fiel ein verbogenes Blech samt Schrauben zu Boden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Tor zusammenbrechen würde. Ihr Schicksal schien festzustehen. Auch Zallnyr konnte nicht mehr tun, als sie tröstend festzuhalten.
Wumm! Die Wucht der Schläge wurde zunehmend heftiger. Wumm! Ein weiteres Teil des Tores fiel zu Boden. Zallnyr und Monika zogen sich an die hinterste Wand der Garage zurück. Monika stützte sich an der Mauer ab. Dann schloß sich ihre Hand um etwas Hartes. Sie erinnerte sich; seit der Verschlag im Hof so baufällig geworden war, hatte ihr Vater seine Gartengeräte hier an der Wand aufgestellt, bis der neue Schuppen fertig sein würde. Sie tastete an dem Gegenstand entlang und fand heraus, daß es sich dabei um eine breite Schaufel handelte. Es war zwar nur eine kleine Hilfe, aber dennoch nahm sie sich vor, das Werkzeug zu ihrer Verteidigung zu benutzen, wenn es sein mußte.
*
Die Tür des Verschlages war geschlossen. Linq umrundete den Schuppen und schnupperte aufgeregt in der aufgewühlten Erde herum. Frank beobachtete das Tier, wie es sich nun mit einer Pfote an der Tür zu schaffen machte. Vom innerhalb des Holzaufbaues war ein leiser Schrei zu hören, und als Linq die Tür aufbekam erblickte Frank seinen Freund Leo, wie er sich in die hinterste Ecke des engen Raumes gekauert hatte. »Leo! Keine Panik, das ist nur Linq!«
Sein Freund blickte auf und erkannte die Situation. Vorsichtig richtete er sich auf. Sein Anzug sah ziemlich traurig aus, die Krawatte hing ihm nur noch lose um den Hals. »Sind sie weg?«
»Wer ist weg?«
Leo blickte sich suchend um. »Da war noch so ein Typ mit einer Katze, einer rotgetigerten. Sie haben mich am Wagen angegriffen, und ich bin hierhin geflüchtet. Aber scheinbar haben sie das Interesse an mir verloren.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das dunkle Haar. Beinahe im gleichen Augenblick hörten sie einen lauten Knall, der von der Vorderseite des Hauses kam. Linq wirbelte herum und starrte auf den schmalen Weg, der nach vorne führte. Geduckt schlich er sich bis zur Ecke vor. Währenddessen rumste es noch weitere drei Mal.
»Mein Gott, Monika!« Frank begann zu laufen. Innerhalb weniger Sekunden hatte er die Hausecke erreicht, an der Linq immer noch lauernd wartete. Als Frank um den massigen Körper des Tieres herumblickte, sah er die beiden, die Leo beschrieben hatte. Der Mann, zu dem die rotgetigerte Katze gehörte, stand auf dem Vorplatz in der Nähe des Jaguars, während sich sein Reittier erneut vor das schon arg verbeulte Garagentor warf. Scheinbar gehörte er zu den Gegnern, von denen Zallnyr erzählt hatte. Auf jeden Fall war er aber im Begriff, in das Versteck seiner Tochter einzudringen. Wahrscheinlich war er in erster Linie an dem Fremden interessiert, aber Frank vermutete, daß er auch nicht davor zurückschrecken würde, ein Mädchen zu verletzen, wenn es sich ihm in den Weg stellen würde. Und das würde sie mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit tun.
Auf einen weiteren wuchtigen Schlag des Tieres hin fiel das Tor laut scheppernd in sich zusammen. Triumphierend stieß der Mann einen lauten Kampfschrei aus und ging an den zerstörten Eingang heran. In diesem Augenblick stieß Linq sich ab und rannte laut fauchend auf die fremde Katze zu. Der Mann reagierte schnell. Er schwang sich mit gekonnter Bewegung auf den Rücken seines Gefährten und erwartete den Angriff der schwarzen Katze.
Frank stockte der Atem, als die beiden Riesen aufeinanderprallten. Linq teilte Schläge aus, und sein Gegner wich ein paar Schritte zurück. Dann kämpften sie nach typischer Katzenart. In sicherem Abstand lauerten sie aufeinander, um dann plötzlich loszuspringen und mit ihren Krallen zuzuschlagen. Mehr als einmal trafen Linqs Klauen den Leib der roten Katze, aber mindestens genauso oft wurde er selbst erwischt. Gegenseitig fauchten sie sich an, ihre heiseren, wütenden Schreie hallten über den Platz. Während einer kurzen Schlagserie der berittenen Katze wich Linq nach hinten aus und sammelte sich zum Sprung. Die kräftigen Sehnen seines Körpers spannten sich sichtbar an, als er sich von dem sandigen Untergrund abstieß. Er erwischte sein Gegenüber hart an der Seite, und die riesige rotgetigerte Katze verlor das Gleichgewicht. Ihr Reiter wurde in hohem Bogen vom Rücken seines Tieres geschleudert, er landete etwa zehn Meter weiter auf einem kleinen Grasstück. Wenige Augenblicke später war Frank auf den Beinen. Er rannte an der auf der Seite liegenden Katze vorbei und erreichte den Fremden, als der sich gerade aufrichten wollte. Frank hielt ihn mit aller Kraft am Boden. In der Zwischenzeit war das Tier wieder aufgestanden und griff Linq nun wieder an. Jetzt, da sie keinen Reiter mehr trug, stürzte sich die Katze mit neuer Wendigkeit in den Kampf. Nur wenige Sekunden später war sie über ihm und verbiß sich in seinem Nacken. Linq knurrte und fauchte, aber er konnte sich nicht befreien. Frank blickte über seine Schulter, um zu sehen, was geschah. Aber auf eine solche Gelegenheit hatte der Reiter nur gewartet; er stieß Frank mit aller Kraft die Beine in den Körper, woraufhin dieser rücklings auf den Boden geworfen wurde. Keuchend blieb er liegen und versuchte, Atem zu schöpfen. Doch sein Gegner ließ ihm keine Zeit dazu. Nur Sekunden später war er aufgestanden und kam zu dem hilflos am Boden liegenden herüber. Beinahe gemächlich stemmte der kräftige Mann ihm sein Knie auf die Brust und beugte sich über ihn. Ein höhnisches Lächeln lag auf seinem blutenden Gesicht, als er mit der Faust ausholte. Aber er schlug nicht zu, sondern spannte sich plötzlich mit einem leisen Keuchen an und fiel dann zur Seite, wo er bewegungslos neben Frank liegenblieb.
»Papa, steh auf! Schnell!« Die Stimme seiner Tochter. Frank rollte sich von dem leblosen Körper weg und kam auf die Füße. Zallnyr stand mit Monika vor der Garage und winkte ihm zu. Er lief zu ihnen hinüber und wandte sich um. Von hier aus konnte er deutlich das Messer sehen, das im Rücken des Reiters steckte.
Frank reichte Zallnyr dankbar die Hand. »Ich weiß nicht, was ich ohne Ihre Hilfe getan hätte. Sie haben mir das Leben gerettet.«
»Er sagt, daß es seine Pflicht war«, erklärte Monika einen Augenblick später. »Geht es dir gut?«
»Es ist nur eine Prellung, glaube ich. Ansonsten habe ich dank seiner Hilfe nichts abbekommen.«
»Aber Linq ist noch in Gefahr!« Tatsächlich war es der großen schwarzen Katze noch nicht gelungen, sich aus dem Griff des roten Tieres zu befreien. Blut sickerte aus einer schweren Wunde an seiner Flanke auf den Boden. Sein Widerstand wurde immer schwächer. »Wir müssen etwas unternehmen, Papa, sonst wird sie ihn töten!«
Frank zermarterte sich das Hirn darüber, was er tun konnte. Ein Angriff war aussichtslos. Niemand konnte es mit diesem Riesen aufnehmen, wahrscheinlich reichte ein Schlag seiner Klauen, um einen von ihnen ins Jenseits zu befördern. Aber auch Linq würde nicht mehr lange durchhalten können.
»ATTACKE!« rief jemand, und plötzlich sah Frank seinen Freund, wie er hinter dem Haus hervorgerannt kam. Und wenige Augenblicke darauf schoß ein kräftiger Wasserstrahl auf das rote Ungetüm zu. Leo richtete den Strahl auf das Gesicht des Tieres, das nun von Linq abließ, um sich vor dem Wasser zu schützen. Die schwarze Katze kam auf die Füße und brachte sich schleunigst in Sicherheit. Leo hielt das andere Tier mit dem Schlauch auf Distanz, während er sich den anderen näherte. »Das Vieh ist abgelenkt!« rief er ihnen zu. »Tut was, aber schnell!«
Doch bevor einer von ihnen auch nur darüber nachdenken konnte, was sie tun sollten, verschwand das Tier plötzlich, und Leos Wasserstrahl traf auf den Jaguar. Ehe Leo reagieren konnte, war das Innere des Wagens völlig durchnäßt. »Scheiße!« rief er und richtete den Schlauch auf eine Stelle, wo der Strahl keinen Schaden anrichten konnte. Frank lief in der Zeit hinters Haus und stellte das Wasser ab. Endlich waren alle Aufregungen, zumindest für den Augenblick, vorbei.
*
Einige Zeit später hatten sie sich wieder alle vor der Garage versammelt. Linq lag auf der Seite und ruhte sich in der kühlen Luft des Tages aus. Zallnyr hatte sich neben seinem Freund niedergelassen, und die anderen drei saßen in einem lockeren Halbkreis um ihn herum. Monika gab seine Gedanken an die anderen weiter.
»Er sagt, daß er nun gehen muß, damit nicht noch weitere Unglücke geschehen. Diese rote Katze ist in seine Welt zurückgekehrt, und wahrscheinlich wird es hier in kurzer Zeit nur so von ihnen wimmeln, wenn er hierbliebe.«
»Aber Sie sind verletzt«, warf Frank ein. »Und Linq sieht auch nicht mehr kräftig aus. Wie wollen Sie denn den Kampf in Ihrer Welt überstehen?«
»Er wird von seinen Leuten erwartet«, sagte Monika. »Sie werden ihn beschützen.«
»Dann muß er ja eine wirklich wichtige Persönlichkeit in seinem Land sein, wenn ihm seine Feinde sogar in eine andere Welt folgen und seine Kameraden auf seine Rückkehr warten«, bemerkte Frank. »Einem normalen Soldaten würde man jedenfalls keine solche Aufmerksamkeit schenken.«
Zallnyr war in der Zeit aufgestanden und hatte sich von Linq auf den Rücken nehmen lassen. Er winkte zum Abschied noch einmal, und dann verschwanden er und die Katze mit einem leichten »Plopp«, als die Luft den Bereich ausfüllte, wo sie gerade noch gestanden hatten. Etwas fiel zu Boden.
»Was ist das?« fragte Frank und ging zu dem kleinen Gegenstand, der im Sand lag. Er hob ihn auf und brachte ihn zu den anderen. »Es ist eine Halskette mit einem Medaillon.«
»Ich weiß jetzt, wer er wirklich ist«, sagte Monika leise.
»Tatsächlich?« Frank blickte seine Tochter an. »Nun, dann raus mit der Sprache.«
»Er ist der Baron, von dem er erzählt hatte. Das Land ist sein Land.« Monikas Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte den Abschied noch nicht ganz verarbeitet.
Frank nahm sie in seine Arme. »Er hat uns noch etwas dagelassen, und ich glaube, daß es für dich bestimmt war.« Er legte ihr das Medaillon in eine Hand. Der Anhänger war recht klein, nur etwa so groß wie ein Zehnpfennigstück. Aber sein Gewicht war doch beachtlich.
Sie befühlte die Oberfläche des Medaillons. Es hatte eine kleine Öse am oberen Rand, durch die eine feine, leichte Kette gezogen worden war. Sie legte sie sich um ihren schlanken Hals und klippte den Verschluß zu.
Frank hatte den Eindruck, als würde der Anhänger leuchten. Aber nur einen kurzen Moment lang, dann war das Licht wieder verschwunden. Aber Monikas verblüffter Gesichtsausdruck bestätigte seine Vermutung, daß etwas geschehen war. Sie griff nach seiner Hand und begann, heftig zu atmen. »Monika? Was ist? Was hast du?«
»Ich... Papa, das Medaillon!« Ihre andere Hand umschloß den Anhänger, und sie strahlte plötzlich über das ganze Gesicht. Die Tränen flossen nun in stetem Strom. Sie umarmte ihren Vater heftig. »Ich kann sehen! Oh, Papa! Ich kann sehen!«
ENDE