Augen
(Eine Science-fiction-Kurzgeschichte (C)01.10.1997 by Dario Abatianni)
Li wischte sich den Schweiß von der Stirn, während sie versuchte, mit Miken Schritt zu halten. Hinter sich hörte sie Lemker und Danil, die ihr dichtauf folgten. Von ihren beiden Sicherheitsleuten hatte sie schon längere Zeit nichts mehr gesehen. Jez führte die Gruppe zusammen mit Miken an, während sich Calla in der Nachhut befand. Sie war sich über den Sinn dieser Maßnahme nie ganz sicher gewesen, aber nachdem sie gesehen hatte, wie sehr Miken auf der Begleitung durch die Sicherheitsleute bestanden hatte, wollte sie auch nichts mehr dagegen sagen. Vielleicht war ja tatsächlich etwas dran an seiner Befürchtung, daß sie hier auf Gefahren stießen. Und wenn nicht nun, dann würden sie zumindest tatkräftige Hilfe beim Tragen der Ausrüstung haben.
Okklon war ein Planet, wie sie ihn sich wünschte. Hier wechselten sich ausgedehnte Wälder mit schroffen Gebirgsketten ab, die wie kräftige Zähne aus ihnen herausragten. Vom geologischen Standpunkt her war der Planet an sich nichts Außergewöhnliches, aber er war immerhin einen Besuch wert.
Miken und Lemker waren da ganz anderer Meinung. Dieser Planet produziere sehr merkwürdige seismische und vulkanische Aktivität, und das müsse untersucht werden. Bisher hatten sie allerdings außer dieser merkwürdigen, elektromagnetischen Strahlungsquelle nichts finden oder bemerken können. Bei diesem Gedanken blickte sie wieder auf ihr Meßgerät, das in einer Tasche an ihrer Seite baumelte. Die Feldstärke stieg immer noch an, also hatten sie die Quelle der Strahlung noch nicht erreicht. Li seufzte. Wenn es so weiterging, war sie erschöpft, bevor sie auch nur den ersten Vulkan zu Gesicht bekamen. Daher war sie auch heilfroh, als von vorne der Ruf »Pause!« zu ihr drang. Die Uhr zeigte drei Stunden nach Aufbruch. Höchste Zeit für eine Rast, wie sie fand.
Während sie ihre Portion der Marschverpflegung löffelte, beugten sich die drei anderen Forscher über eine Karte des Sektors, in dem sie sich befanden. Anscheinend waren sie gut vorangekommen, drei Viertel ihres Weges lagen bereits hinter ihnen. Danil stellte indessen einige Berechnungen an, was bei ihm soviel hieß, daß er vorübergehend nicht ansprechbar war; lediglich das Klappern der Laptop-Tasten und ein gelegentliches Schnaufen verrieten, daß er noch am Leben war.
Ein Rascheln aus dem Unterholz ließ sie alle herumfahren. Jez war bereits aufgesprungen und hatte seine Waffe entsichert, doch jetzt war wieder alles ruhig. »Wird wohl ein Tier gewesen sein, das sich vor uns erschreckt hat«, vermutete Lemker. »Kein Grund zur Beunruhigung.«
Tatsächlich blieb bis zu ihrem Aufbruch alles still. Die Forscher verstauten ihre Habseligkeiten und machten sich wieder auf den Weg. Jetzt hielt Li sich mehr in der Nähe der Gruppenspitze auf, um den Weg voraus besser erkennen zu können. Dabei schielte sie mit einem Auge immer wieder auf ihr Meßgerät, um die Stärke der elektromagnetischen Strahlung - die entfernte Ähnlichkeit mit Radiowellen hatte - zu überwachen. Seltsamerweise schien sie immer weiter anzusteigen, je näher sie diesem Vulkan kamen, den Lemker als ihr Ziel ausgewählt hatte. Li wußte nicht, warum er gerade an diesem Berg so interessiert war, aber er würde schon seine Gründe dafür haben.
Wie sie vermutet hatten, kam schon bald die Spitze des Kraters in Sicht. Mit diesem neuen Ziel vor Augen kamen sie noch schneller voran, da sie die Richtung nicht mehr über ihre Karte, sondern nun durch Sichtkontakt bestimmen konnten. Gewohnheitsmäßig betrachtete sie die Skala ihres Scanners; wie sie es sich schon gedacht hatte, war die Feldstärke kontinuierlich angewachsen. Probehalber aktivierte sie den Lautsprecher, um sich das Signal einmal akustisch ausgeben zu lassen, erhielt aber außer einer Menge Rauschen und undefinierbaren Pfeiftönen kein brauchbares Ergebnis.
Binnen einer Stunde waren sie am Rande des dichten Waldes angekommen und standen nun an der Stelle, wo sich der Vulkan aus dem Grün in den Himmel erhob. Er war nicht besonders steil, nur die zerklüftete Felslandschaft, die zum Gipfel führte, erschien nicht sehr leicht zu bezwingen. Also schlugen sie erneut ein Lager auf, um sich für den bevorstehenden Aufstieg am nächsten Morgen auszuruhen.
Erschöpft, aber durchaus gutgelaunt, blickte Li von ihrem erhöhten Standpunkt aus über die Landschaft von Okklon. Der größte Teil der Umgebung war mit dichten Wäldern bestanden, wie der, den sie am Vortag durchwandert hatten. Irgendwo dort war auch der kleine Gleiter gelandet, mit dem sie auf die Oberfläche gekommen waren. Weiter in der Ferne konnte sie eine Gebirgskette erkennen, in der es mit Sicherheit noch weitere interessante Forschungsstätten gab. Sogar ein kleiner See war inmitten der Pflanzen auszumachen. Alles in allem gar kein so schlechtes Bild.
Sie wandte sich wieder ihren Begleitern zu, die bereits damit beschäftigt waren, die Haltegurte für ihre Jetpacks zu befestigen. Vor ihr fiel der etwa einhundert Meter durchmessende Krater nahezu senkrecht ins Berginnere ab. Lemker hatte ihnen versichert, daß der Vulkan sich in einem stabilen Zustand befand und ein Ausbruch nicht zu befürchten sei. Li wußte natürlich genauso gut wie er, daß die Seismologie eine Wissenschaft war, die immer noch nicht völlig zuverlässig war. Der Rauch, der aus dem Krater aufstieg unterstützte Lemkers Aussagen auch nicht unbedingt, obwohl Miken ihm darin recht gab. Dennoch war sie mehr als gewillt, in den Krater hinabzusteigen - ihr Meßgerät zeigte immer noch diese merkwürdigen Werte an, und sie war neugierig zu erfahren, was sie wohl aussenden mochte. Eiligst schnallte sie sich ihren eigenen Raketengürtel, Schutzmaske und Sprechfunkgerät um, damit sich der Aufbruch nicht unnötig verzögerte. Danil blieb vorerst bei Calla und Jez auf dem Gipfel, um die Verbindung mit dem im Orbit kreisenden Mutterschiff Escrutador aufzubauen.
Zischend schwebten die drei Wissenschaftler den Schlund des Vulkanes hinunter. Sie hielten sich nahe beieinander, um den Sichtkontakt nicht zu verlieren. Die hier in der Luft überall vorherrschende Asche machte es unmöglich, genaueres über die Beschaffenheit der Kraterwand zu sagen. »Laßt euch nicht zu schnell abfallen«, schlug Miken vor. »Wer weiß, nachher platschen wir unversehens in einen Magmasee, bevor wir überhaupt wissen, was passiert ist. In dieser Suppe hier kann man ja die Hand vor Augen nicht erkennen.«
»Du würdest vermutlich schon lange vorher Feuer fangen«, sagte Lemker belehrend. »Das Gestein ist so heiß, daß du dich einem solchen See schon aufgrund der Wärme nicht zu stark nähern könntest.«
Miken lachte. »Ach komm, Lemker! Das sollte ein Witz sein.«
»Wir sollten uns erst einmal einen festen Sims am Kraterrand suchen, wo wir landen können«, erwiderte Li. »Von dort aus sehen wir dann weiter.«
Wenig später hatten sie festen Untergrund erreicht. Li wartete, bis die beiden anderen neben ihr aufsetzten und wandte sich dann der Kraterwand zu. Vorsichtig befühlte sie den warmen Stein, der unter ihren Fingern schwach vibrierte. »Bist du sicher, daß der Vulkan ruht?« fragte sie.
»Meine Messungen haben keine alarmierenden Werte ergeben«, antwortete der Vulkanologe. »Und Lemker hat keine ungewöhnlichen Erdbewegungen feststellen können. Ich bin mir also ziemlich sicher, daß der Vulkan noch eine Weile schlafen wird.«
»Dann sollten wir uns mit der Untersuchung beeilen, solange er nicht aufwacht.« Erneut holte sie den Feldscanner hervor und schaltete ihn in einen anderen Modus um, der es ihr erlaubte, feinere Unterschiede der Strahlungsintensität zu messen. Dann drehte sie sich ein paar mal hin und her, um die ungefähre Richtung der Strahlenquelle auszumachen. »Ich glaube, es kommt von dort her«, sagte sie, und wies in den Nebel. Gleich darauf zündete sie ihr Jetpack und folgte dem Ausschlag des Meßgerätes.
»Was ist das da vorne?« fragte Miken, als sie nach einiger Zeit vor sich einen dunklen Schatten im Rauch erkennen konnten.
»Ich glaube nicht, daß es einer von uns jetzt schon identifizieren könnte«, gab Lemker zurück. »Wir sollten näher heranfliegen.«
Wie wäre es mit ein wenig Phantasie? fragte sich Li in Gedanken und verdrehte die Augen. Wenn dieser Mann nicht ein solch guter Wissenschaftler wäre, hätte sie wahrscheinlich schon vor Beginn der Okklon-Mission darauf bestanden, einen anderen Mann einzustellen. Aber wahrscheinlich wäre sie mit ihrem Gesuch beim Institute for Planetary Examination ohnehin auf taube Ohren gestoßen. Schließlich wurden dort die Teams zusammengestellt; der Einzelne hatte da wenig Möglichkeiten, etwas zu ändern.
Je näher sie dem Objekt kamen, desto deutlicher wurden die Konturen. Schließlich, als sie sich auf etwa fünf Meter genähert hatten, konnten sie erkennen, daß es sich um ein Stahlgebilde handelte, das entfernte Ähnlichkeit mit einem der Shuttles hatte, die das IPE zur Planetenerkundung benutzte. Allerdings waren bei diesem Gleiter deutliche Schäden zu erkennen. Mehrere große Löcher klafften in Rumpf und Leitwerk, das Glas der Pilotenkanzel war geborsten und eines der Triebwerke hing schief in seiner Einfassung. Als sie neben dem Schiff aufsetzten erkannten sie auch deutlich die schwärzlich verfärbten Stellen in der Keramikhülle.
»Ich frage mich, was diese Beschädigungen verursacht haben könnte.« Miken fuhr mit einem Finger vorsichtig über einen Rußfleck neben der Aufschrift Visitor. »Es scheint so, als wäre das Shuttle angegriffen worden.«
»Was haltet ihr davon, erst einmal drinnen nachzusehen, ob noch Logbuchaufzeichnungen existieren?« fragte Lemker. »Dann haben wir möglicherweise auch den Grund für die Beschädigungen.«
Li atmete hörbar ein. »Wie Sie wünschen, Doc.« Sie achtete nicht auf den säuerlichen Blick, den Lemker ihr zuwarf und ging zur Eingangsluke. Hinter einer Klappe kam ein Zahlenfeld zum Vorschein, über dem ein Plasmadisplay eingelassen war. Probehalber tippte sie ein paar Ziffern ein, erntete aber nur die lapidare Meldung, daß sie den falschen Öffnungscode eingegeben habe. Auch nach mehreren Versuchen war das Schloß nicht dazu zu bewegen, die Tür freizugeben. »Ich fürchte, das wird so nichts«, teilte sie den anderen beiden mit. »Wir sollten Danil kommen lassen. Der hat dieses Ding in ein paar Sekunden auf.« Sie schickte einen entsprechenden Funkspruch ab.
»Li! Lemker! Ich glaube, das solltet ihr euch mal ansehen.« Miken war inzwischen um das Schiff herumgegangen und winkte sie nun zu sich. Als sie ihn erreicht hatten, wies er mit der Hand auf ein auf dem Boden liegendes Bündel. Beide erkannten ziemlich sofort, daß es sich dabei um eines der Crewmitglieder handeln mußte. Allerdings war er bösartig entstellt. Über ihm, an der Außenhülle des Shuttles, prangte ein Wort, das der oder die Tote offensichtlich mit seinem eigenen Blut geschrieben hatte: »AUGEN«
Li wandte sich entsetzt ab. »Mein Gott!« stieß sie hervor.
»Ich frage mich, was hat das Ganze mit Augen zu tun?« Miken legte Li eine Hand um die Schulter, um sie ein wenig aufzumuntern.
»Ich hoffe, Danil braucht nicht zu lange«, murmelte Lemker. »Wir sollten schnellstmöglich herausfinden, was mit der Besatzung geschehen ist.«
Das Zischen eines Jetpacks ließ sie aufhorchen. Weiter oben im Dunst waren zwei Lichtpunkte zu erkennen, die sich zu ihnen hinunterbewegten. Über Funk dirigierte Miken den Neuankömmling zu ihnen. Als Danil schließlich gelandet war, machte er sich sofort an die Arbeit. Mit fachmännischem Blick betrachtete er das Codeschloß eine geraume Zeit, bevor er schließlich eines seiner Werkzeuge aus seiner Umhängetasche holte, und die Verkleidung löste. Das Gewirr bunter Drähte und Glasfaserverbindungen schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. Zielstrebig sortierte er ein paar der Verbindungen aus, riß sie kurzerhand auseinander und begann, die blanken Enden miteinander zu verdrillen. Dann klappte er das Panel wieder zurück und tippte auf eine Taste. Mit einem Zischen senkte sich die Tür ein Stück in den Rumpf des Schiffes ab und verschwand dann seitlich in der Wand. »So, das hätten wir«, sagte der junge Mann lächelnd. »Wer will als erster?«
Lemker drängelte sich an Danil vorbei. »Schwing keine großen Reden! Wir haben es eilig.« Damit betrat er das Shuttle.
»Gute Arbeit«, sagte Li, und klopfte dem Computerspezialisten auf die Schulter. »Wollen mal sehen, was das Logbuch uns zu erzählen hat.«
Während sie vorsichtig den Innenraum betraten, erklärte sie ihm, was sie bereits entdeckt hatten. Lemker war indessen bereits bis zur Pilotenkanzel vorgedrungen und betrachtete sich die Apparaturen. Irgendwie kam ihm die Ausstattung bekannt vor, doch schien alles auf einem recht alten Stand der Technik zu sein. »Danil?«
»Ja? Was?« Der junge Mann betrat gerade den Raum. »Du meine Güte! Das ist ja früheste Steinzeit!«
»Das ist mir auch schon aufgefallen. Was denkst du? Können wir das Logbuch auslesen? Ich kenne mich mit dieser alten Technik nicht so besonders gut aus.«
Danil kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Ich schätze, das sollte möglich sein, solange der Zentralspeicher nicht beschädigt ist. Aber zuerst brauchen wir Energie, um die Systeme wieder in Gang zu-«
In diesem Augenblick erschütterte ein Beben das Shuttle, und die vier Forscher wurden zu Boden gerissen. Bevor sie sich aufrappeln konnten, gab es einen zweiten Ruck, weniger heftig, aber dennoch stark genug, um einige der Apparaturen zu Boden zu schleudern.
»Verfluchter Mist!« rief Miken aus. »Wir sollten so schnell wie möglich aus dem Krater raus! Scheinbar ist der Vulkan aufgewacht.«
»Aber wir brauchen das Logbuch«, rief Lemker zurück. »Ansonsten können wir nicht herausfinden-«
»Scheiß auf das Logbuch! Wir verschwinden von hier, und zwar sofort!« Miken wirbelte herum und verließ hastig die Kanzel. Dabei zog er Li mit sich, die schwer gestürzt war und nicht alleine aufstehen konnte.
Lemker blickte gehetzt um sich. In einer Ecke kauerte Danil und bastelte an irgendeiner Apparatur herum. »Verdammt! Ich glaube, wir sollten wirklich abhauen. Wenn hier gleich alles in die Luft geht, bleibt nicht mehr viel von uns über.«
»Ich bin sofort soweit«, keuchte Danil. Die mittlerweile schwefelhaltige Luft drang durch die Masken und machte das Atmen schwer. Wenig später rappelte er sich auf und hielt triumphierend ein viereckiges Kästchen in die Höhe. »Okay, ich bin fertig. Jetzt können wir los.« Er wandte sich dem Ausgang zu und half Lemker, dessen Maske mittlerweile von innen beschlug. Draußen zündeten sie ihre Jetpacks und schwebten dem Kraterrand entgegen.
*
Auf dem Gipfel angekommen steuerten sie gleich darauf den Wald unter sich an, um so weit wie möglich vom Krater wegzukommen. Über Funk holten sie sich die Koordinaten der restlichen Expeditionsteilnehmer, die sich bereits in Sicherheit gebracht hatten. Plötzlich hörten sie ein dumpfes Grollen hinter sich, gefolgt von einem dumpfen Knall. Der Vulkan stieß eine kleine Magmafontäne aus, die von einer Menge Qualm und Gesteinsbrocken gefolgt wurde. Scheinbar würde es keinen richtigen Ausbruch geben, aber das Schiff und die auf dem Gipfel zurückgelassene Ausrüstung waren unwiederbringlich verloren.
»Tja, scheinbar war ihm nicht ganz wohl, und er mußte einmal kräftig rülpsen, bevor er sich wieder schlafen legen kann«, sagte Miken, während er den rauchenden Gipfel des Berges betrachtete. »Ein Jammer, daß wir das Logbuch nicht mehr auslesen konnten.«
»Das vielleicht nicht«, erwiderte Danil, der mit zerrissener Kleidung im Lager kauerte. »Aber ich habe den Zentralspeicher ausgebaut, der eigentlich alle wichtigen Daten des Schiffes in sich haben dürfte.« Er hielt das Kästchen hoch, das er aus der Raumfähre entfernt hatte. »Ich muß mich nur etwas ausruhen, dann werde ich mich an die Analyse machen.«
»Laß dir ruhig etwas Zeit damit, und komm erst einmal wieder zu Atem«, sagte Li. Als von Danil keine Antwort kam, blickte sie zu dem jungen Mann hinüber. Er saß mit vornübergesunkenem Kopf auf einem Baumstamm und war offensichtlich eingeschlafen. Sie blickte ihn eine Zeitlang an, wandte sich dann aber an Miken. »Ein erloschener Vulkan, also?«
»Ich habe nie behauptet, daß er erloschen wäre«, verteidigte er sich. »Ich sagte, er ruht. Leider kann man nie genau vorhersehen, wann ein Vulkan seine Ruhe unterbricht. Es war natürlich ein ziemlich großer Zufall, daß er gerade jetzt aufwachen mußte, aber - wie gesagt - nicht vorherzubestimmen.«
»Wenigstens haben wir den Zentralspeicher.« Li lehnte sich zurück und betrachtete den immer noch stark rauchenden Gipfel. »Wird er richtig ausbrechen?«
»Nein, das ist unwahrscheinlich«, sagte Lemker. »Es gibt keine Anzeichen für eine Eruption. Solche kleineren Zwischenfälle wie heute kommen häufig vor, ohne daß ein Vulkan gleich komplett in die Luft geht. Wenn ein solches Ereignis bevorstände, würde uns die Mannschaft des Mutterschiffes rechtzeitig warnen. Schließlich haben die da oben alle Daten des Planeten abrufbereit.«
»Was ist eigentlich aus Danils Empfangseinrichtung auf dem Krater geworden?« fragte Miken plötzlich.
Lemker zuckte mit den Schultern. »Die ist vermutlich zerstört worden.«
»Was also bedeutet, daß wir der Crew von hier aus keine Nachricht über die Ereignisse senden können. Schöne Scheiße.«
»Wir können immer noch zum Shuttle zurück und von dort aus einen Funkspruch absetzen«, meinte Li. »Wir müssen ohnehin zurück, um neue Ausrüstung und Raketen für die Jetpacks zu holen.«
»Dann sollten wir keine Zeit verlieren und aufbrechen, bevor es dunkel wird.« Jez stand auf und stieß Danil an, damit er wach wurde. »He, aufstehen, Kleiner. Es geht weiter.«
Li verzog das Gesicht. »Das wäre auch ein wenig sanfter gegangen.«
»Warum?« fragte Jez. »Er ist jetzt wach, oder nicht?«
Danil rieb sich die Augen und blickte sich verschlafen um. »Wohin gehen wir denn? Ich dachte, der Vulkan sollte noch untersucht werden.«
»Vorher müssen wir aber noch zum Shuttle zurück, damit wir dem Mutterschiff eine Nachricht senden können«, erklärte die Geologin. »Außerdem wolltest du doch noch den Zentralspeicher auslesen.«
»Ja, richtig. Die Sendeanlage ist futsch. Nur einen Augenblick noch, ich bin sofort soweit.«
Bald darauf waren sie wieder unterwegs. Das Rascheln, das sie am Vortag gehört hatten, wiederholte sich nun mehrfach. Zuerst blickten sie sich jedesmal wachsam um, aber bald schon waren diese Geräusche zur normalen Kulisse ihrer Umgebung geworden. Doch plötzlich hörte Li einen überraschten Ausruf von Calla, die zusammen mit Lemker die Führung übernommen hatte. »Verflucht! Was ist das für ein Ding?«
Sofort rannte sie zu der Quelle der Aufregung, wo sich inzwischen auch die restlichen Mitglieder der Expedition eingefunden hatten. Dabei machte sich ihr Knöchel, den sie sich bei ihrer Flucht aus dem Vulkan angeschlagen hatte, wieder schmerzhaft bemerkbar. Calla hatte ihre Waffe erhoben und zielte auf ein merkwürdiges, fliegendes Objekt von einem Meter Durchmesser, das vor ihr in der Luft hing. Es war rund mit ovalem Querschnitt und besaß mehrere Glaslinsen, die ab und zu heraustraten und dabei summende Geräusche von sich gaben. Während sie das Ding betrachteten, kam ein weiteres aus dem Dickicht heraus und umkreiste die Gruppe.
»Ich weiß nicht, was es ist, aber es wird uns gleich in Ruhe lassen.« Jez erhob nun seinerseits die Waffe und feuerte einen Schuß ab, noch bevor einer der anderen etwas sagen konnte. Es gab einen Knall, und das Flugobjekt zerplatzte in einem bläulich-weißen Funkenregen. Sekundenbruchteile später war das andere Ding im Unterholz verschwunden.
»Warum hast du das getan?« fragte Miken verärgert. »Wer weiß, was das für Maschinen sind. Möglicherweise wäre es gar nicht nötig gewesen, auf sie zu schießen.«
Jez ignorierte den aufgeregten Wissenschaftler und stapfte zu dem auf dem Boden liegenden Metallobjekt hinüber. Er stieß es probehalber mit seinem Fuß an, doch es bewegte sich nicht. Dann richtete er den Lauf seiner Strahlenpistole darauf, doch Danil kam ihm zuvor. »Warte! Vielleicht kann ich noch etwas herausfinden, bevor du alles kurz und klein schießt. Es ist sowieso kaputt.« Mit einem verächtlichen Schnauben wandte sich der Sicherheitsmann um und kehrte zu den anderen zurück. Danil kniete sich neben dem rauchenden Metallhaufen hin und begann ihn zu untersuchen. Vorsichtig zog er einige Drähte auseinander und entfernte er das eine oder andere Blech, das ihm die Sicht auf das Innere des Gerätes versperrte.
»Eine beeindruckende Konstruktion«, sagte er schließlich. »Eine solch kleine Antigrav-Einheit habe ich selten gesehen. Und die Linsen hier gehören zu zwei unabhängigen TriDi-Systemen, die allerdings höher integriert sind, als unsere besten Kameraentwicklungen. Alle Achtung! Wer diesen Droiden hier konstruiert hat, verstand sein Handwerk. Wäre es möglich, es mitzunehmen und eingehender zu studieren?«
»Ich glaube nicht, daß das sinnvoll ist«, sagte Lemker. »Es belastet uns nur unnötig beim Gehen. Wir sollten uns diese Stelle auf dem Navigator markieren und später zurückkehren, wenn wir mehr Zeit haben.« Er winkte den anderen. »Laßt uns weitergehen. Wenn diese Dinger nochmals auftauchen sollten, verscheuchen wir sie. Solange wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben, sollten wir kein unnötiges Risiko eingehen.«
Li dachte mit einem Schaudern an die rußgeschwärzte Keramikhülle des Gleiters im Krater, sagte aber im Interesse der anderen nichts.
*
Gegen Einbruch der Dämmerung erreichten sie ihren Landeplatz. Hier, wo der Wald begann und das Gelände sanft abfiel, waren sie vor knapp zwei Tagen zu ihrer Mission aufgebrochen. Mittlerweile hatten sie ihre Handlampen eingeschaltet, um den Weg vor sich besser erkennen zu können. Seit sie die beiden Objekte hinter sich gelassen hatten, waren keine weiteren Droiden mehr aufgetaucht. Lediglich ein Schwarm Insekten, angelockt von den hellen Lichtkegeln ihrer Leuchten, begleitete sie den Rest des Weges bis zu ihrem Shuttle Dauphin. Doch dort, wo sie ihren kleinen Gleiter verlassen hatten, fanden sie Verwüstung vor. Das Plasglas der Kanzel war gesplittert, die Seitentür eingebeult und das Landegestell eingeknickt. Die Nase der Fähre steckte im Gras, und überall waren Brandspuren zu erkennen.
Mit großen Augen näherte sich die Gruppe dem zerstörten Shuttle. Rund um den Rumpf des Gleiters lagen Wrackteile im Gras, die im Licht der Lampen schwach schimmerten. Jez gab den anderen ein Zeichen, stehenzubleiben und winkte Calla, ihm zu folgen. Vorsichtig betraten die beiden mit entsicherten Waffen das kleine Schiff, das wie ein verwundetes Tier im Gras lag. Wenig später kamen sie wieder heraus. »Keine Gefahr. Es ist niemand drinnen.«
Im Innern der Dauphin sah es nicht minder verwüstet aus. Die Apparaturen wiesen ausnahmslos Spuren hoher Gewaltanwendung auf, die meisten der Knöpfe und Bedienelemente der Brücke waren zerstört oder zumindest beschädigt, und der große Schirm, der normalerweise für die visuelle Kommunikation an einer der Wände hing, lag zersplittert am Boden. Der Geruch nach verbranntem Plasglas lag in der Luft.
»Oh, Mann! Die Mistkerle haben ganze Arbeit geleistet.« Lemker hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte sich in dem verwüsteten Raum um. Inzwischen waren Li und Danil den abschüssigen Boden hinuntergeklettert und untersuchten die Trümmer nach intakten Teilen, die sich noch verwenden ließen. »Nicht einmal die Notrufanlage funktioniert mehr.«
»Fragt sich nur, wer das hier auf dem Gewissen hat«, meinte Miken. »Laut dem Bericht der IPE gilt Okklon als unbewohnt. Auch die Escrutador hatte keine intelligenten Lebensformen ausmachen können.«
»Um eine Verwüstung anzurichten, muß man nicht sonderlich intelligent sein«, warf Jez ein. »Dazu braucht es nur rohe Gewalt.«
»Um eine Strahlenwaffe zu bedienen aber schon«, gab Lemker zurück. »Einige dieser Schäden weisen eindeutig auf den Einsatz eines solchen Gerätes hin.«
Weiter hinten im Kommandoraum flackerte ein Plasmaschirm auf. Danil hatte es geschafft, eines der Terminals wieder in Gang zu bringen. Leider war dies nur eines der Hilfsgeräte, mit dem man keine Funkverbindung aufbauen konnte. Es reichte allerdings, um den Zentralspeicher der Visitor anzusprechen und seinen Inhalt auf dem Schirm auszugeben. Bald schon rasten die Logbucheinträge der Crew seit Beginn des Fluges vorbei. So wie es aussah, würde es noch eine ganze Weile dauern, bis sie den letzten Eintrag erreicht hatten.
Inzwischen hatten Miken und Calla die restlichen, unbeschädigten Vorratspakete zusammengetragen und ein paar davon geöffnet, damit sie sich alle ein wenig stärken konnten. »Wie lange brauchst du, um einen Notfallsender zu bauen?« fragte Miken.
Danil sah von seinem Terminal auf und schien zu überlegen. »Wenn wir alle notwendigen Teile und Werkzeuge haben, vielleicht drei, vier Stunden. Dafür müßten wir allerdings eines der Energypacks aus dem Antriebssystem am Heck hereinholen. Die sind ja wenigstens noch intakt.«
»Bin schon unterwegs.« Li stand auf und kletterte den schiefen Boden zum Ausgang des Shuttles hinauf.
»Warte!« rief Miken ihr hinterher. »Du solltest nicht alleine rausgehen. Außerdem sind die Dinger verdammt schwer. Ich helfe dir.«
Wenig später standen die beiden am Heck der Dauphin. Miken entriegelte den Verschluß der Klappe, hinter der sich die Energypacks befanden und nahm sie ab. Li umfaßte den Griff einer Zelle und zog daran. Mit einem Ruck rutschte einer der quaderförmigen Stahlbehälter ein Stück auf sie zu. Mit vereinten Kräften trugen sie ihn zum Eingang des Shuttles, wo sie ihn zuerst einmal absetzten um zu verschnaufen. Gerade, als sie sich bückten, um ihre Last wieder aufzuheben, sahen sie einen Schatten ganz in der Nähe vorbeischweben. Kurz darauf blitzte es grell auf und ein Energiestrahl traf den Rumpf des Gleiters und hinterließ ein schwelendes Loch.
»So ein Mist!« rief Miken aus. »Li! Mach, daß du reinkommst! Calla! Jez! Wir werden angegriffen!« Schnell half er Li in das Shuttle zu klettern und zog sich dann selbst hinauf. In diesem Augenblick tauchte ein weiterer Schatten auf, der eine kurze Salve auf das Schiff abfeuerte. Miken konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen, bevor die Strahlen in die Außenhaut einschlugen.
Calla und Jez stellten sich seitlich der Tür auf und erwiderten das Feuer. Doch es wurde schon bald klar, daß die Angreifer zahlenmäßig überlegen waren. Noch dazu waren sie keine Wesen aus Fleisch und Blut, die sich vor Verletzungen in Acht nehmen mußten. Schon kurze Zeit später mußten die beiden die Tür mit gemeinsamer Anstrengung verschließen, um vor den fliegenden Droiden sicher zu sein. Allerdings war dies auch nur ein Aufschub, da die Strahlenprojektile weiterhin auf den Gleiter einprasselten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Hülle nachgeben und einen Weg nach innen freigeben würde.
»Wir müssen das Shuttle verlassen. Auf Dauer werden die uns hier grillen.« Lemker lief mit hochrotem Kopf auf und ab.
»Meinst du, das sieht draußen anders aus?« fragte Miken, während er sich die Verletzung an Lis Knöchel genauer ansah. »Die sind uns zehnfach überlegen. Du würdest keine zwanzig Meter weit kommen.«
»Das weiß ich alles selber«, gab Lemker gereizt zurück. »Aber wenn wir hierbleiben, werden sie über kurz oder lang auch zu uns durchdringen. Wir müßten es bis in den Wald schaffen. Dort hätten wir eine Chance, sie abzuhängen oder zumindest die Angriffswucht zu verringern.«
Li sog mit einem Zischen die Luft ein, als Miken ihr eine Ladung Kältespray auf die blaue Stelle an ihrem Fuß sprühte. Danach trug er etwas von der Salbe aus ihrem Verbandskoffer auf und wickelte eine Bandage darum. »Danil, wie gut schätzt du ihre Nachtsichtfähigkeit ein?«
»So weit, wie ich sehen konnte, waren sie in der Beziehung recht gut ausgestattet. Allerdings kann ich nichts über ihre Reaktionszeit sagen. Möglicherweise könnten wir sie mit den Leuchten blenden, aber dann nur für kurze Zeit.«
»Die wohl kaum ausreichen dürfte, um den Waldrand zu erreichen«, ergänzte Calla und wies auf Li, die gerade damit beschäftigt war, ihren verbundenen Fuß in einen der Stiefel zu zwängen.
»Dann müssen wir schneller sein«, sagte Miken. »Was ist mit den Jetpacks? Wir gehen raus, strahlen die verfluchten Teufel mit den Lampen an und steigen dann blitzschnell auf. Im Wald gehen wir wieder runter und verstecken uns.«
Lemker strich sich über das Kinn. »Riskant. Was, wenn sie sich von unseren Leuchten nicht blenden lassen?«
»Dann sind wir auch nicht schlechter dran als jetzt«, kommentierte Jez. »Zur Not können wir uns die Biester noch eine Zeitlang vom Halse halten.« Dabei strich er mit einer Hand über seine Waffe, die er griffbereit am Gürtel trug.
Schließlich entschieden sie sich für den Ausfall und rüsteten sich aus. Jeder von ihnen nahm sich eine Strahlenpistole und ein Jetpack aus dem Versorgungsraum. Dann stellten sie sich hintereinander an der Außenluke auf und warteten auf das Startsignal. Danil hatte in zwischen die Restenergieversorgung auf die Außenleuchten der Dauphin umgeleitet, um den Blendeffekt zu erhöhen. Lemker gab das Zeichen. Fast im selben Moment traten Jez und Calla die Tür auf.
*
Grelles Licht flammte auf dem Landeplatz des Shuttles auf, als die sechs Menschen aus der Luke kamen. Gleich darauf zischten die Strahlenprojektile um sie durch die Luft. Einer nach dem anderen stiegen sie in den Nachthimmel auf, um die Kampfdroiden zu verwirren. Wo sie konnten, strahlten sie ihnen mit den Leuchten entgegen, was im ersten Moment sogar einen gewissen Effekt zeigte. So schnell es die Raketenaggregate zuließen hielten sie auf den dichten Wald zu, der in der Nähe begann. So gut sie konnten verteidigten sie sich gegen die kleinen Kampfroboter. Calla und Jez holten ein gutes Dutzend aus der Luft, bevor sie zwischen den Wipfeln verschwanden. Lemkers Jetpack wurde von einem der Droiden getroffen, doch der Seismiker schaffte es noch, sanft im Wald zu landen. Dort angekommen ließen sie ihre Raketengürtel fallen und stellten die Triebwerke auf volle Kraft, wodurch sie ungelenkt und ziellos durch die Bäume schossen. Sie selbst duckten sich hinter dichtem Buschwerk und krochen tiefer in das Unterholz hinein. Über sich konnten sie die Droiden sehen, die wie ein Haufen aufgeregter Bienen umherschwirrten.
Ohne zu zögern krabbelten sie schnellstmöglich von ihrer alten Landestelle weg, deren Licht man durch die Bäume noch deutlich erkennen konnte. Tatsächlich schafften sie es, die Droiden hinter sich zu lassen; für Li war es auch höchste Zeit, sie war mittlerweile fast am Ende ihrer Kräfte.
»Wir können von Glück sagen, daß sie keine Wärmesensoren besaßen«, sagte Danil, der sich schnaufend an einen Baum lehnte. »Sonst wäre es wahrscheinlich nicht so glimpflich für uns ausgegangen.«
Li wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mir hat es gereicht, danke.«
»Wenn wir ein paar Plasmagewehre gehabt hätten, wären die Dinger wie die Fliegen vom Himmel gefallen«, brummte Jez. »Wer konnte aber auch ahnen, daß sich derart angriffslustige Maschinen auf diesem gottverlassenen Erdball befinden.«
»Wer hat denn zuerst angegriffen?« gab Lemker mit erhobener Stimme zurück. »Du warst es doch, der einen von ihnen grundlos beschossen hat.«
»Jetzt bin ich also schuld daran, daß wir hier festsitzen, wie?« Wütend wandte sich der große Mann dem Seismologen zu.
»Sofort aufhören!« Miken stellte sich zwischen die beiden Streithähne und breitete die Arme aus. »Es nützt uns jetzt überhaupt nichts, wenn wir gegenseitig Beschuldigungen austauschen. Wir sollten besser überlegen, was wir nun anfangen. Die Escrutador muß benachrichtigt werden, damit sie uns einen Rettungstrupp schicken. Vermutlich wundern die sich ohnehin schon, warum sie keine Meldung erhalten.«
»Ach was«, schnaubte Calla verächtlich. »Ich kenne doch Captain Karel. Der wird sich erst in ein paar Tagen nach uns erkundigen. Immerhin waren für diese Expedition zwei Wochen angesetzt.«
»Dann ist es um so wichtiger, daß wir das Mutterschiff benachrichtigen. Aber zuerst sollten wir uns einen sicheren Platz zum Ausruhen suchen.«
Li stöhnte unwillkürlich auf. »Können wir nicht hierbleiben? Ich weiß nicht, wie lange ich noch gehen kann.«
»Das wäre keine so gute Idee«, erwiderte Lemker. »Diese Droiden werden vermutlich nach uns suchen. Da wäre es besser, wir legen so viel Strecke wie möglich zurück.«
»Wenn es denn sein muß.« Mühsam rappelte Li sich wieder auf. »Wohin wollen wir-«
Ein bläulicher Strahlenblitz schoß durch das Unterholz in die Gruppe und prallte vor einen der Baumstämme, dicht an Danils Kopf vorbei. Gleich darauf wurden Geräusche aus dem Wald hörbar. »Alles auf den Boden!« schrie Calla und bezog hinter einem Baum Stellung. Jez war ebenfalls in Deckung gegangen und feuerte auf einen Schatten, der sich im Unterholz bewegte. Bald darauf erkannten sie mehrere Laufdroiden, die zielstrebig auf ihr Lager zuhielten.
»Das sind zu viele!« rief Calla. »Lauft los, wir decken euch den Rückzug!«
Die vier Forscher wandten sich um und liefen in den Wald hinein, während die beiden anderen die Droiden so lange beschäftigten, bis sie zu nahe herangekommen waren. Dann folgten sie der Gruppe.
Li hatte gedacht, daß sie jeden Augenblick zusammenklappen würde, doch im Angesicht der Gefahr schaffte sie es, noch ein paar Reserven ihres Körpers zu mobilisieren. Allerdings erkannte sie dabei nicht mehr, wohin sie eigentlich rannte. Sie spürte Mikens Arm, der sie durch das Gewirr von Bäumen und Strauchwerk führte. Sie konzentrierte sich darauf, ihre Beine in einem schnellen Ablauf zu bewegen. Dann stürzte sie, fiel kopfüber einen Abhang hinunter, überschlug sich mehrfach und prallte gegen einige Bäume, ehe sie irgendwann im Laub liegenblieb unfähig, auch nur eine weitere Bewegung zu machen. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Stimmen ihrer Begleiter, dann spürte sie, wie sie hochgehoben wurde und jemand sie weitertrug. Einige Augenblicke später verlor sie das Bewußtsein.
Miken schüttelte die Benommenheit ab, die ihn überkommen hatte, als er vor den Baumstamm am Fuße des Abhanges geprallt war. Als er sich umsah, erblickte er Lemker, der sich gerade mühsam aufrappelte. Ein Stück weiter erkannte er Danil, böse zugerichtet, aber offensichtlich noch am Leben. Li lag etwa drei Meter von ihm entfernt; ihre Leuchte glomm nur noch schwach. »Seid ihr in Ordnung?« fragte er in die Runde.
»Mehr oder weniger«, brummelte Lemker. »Mir tut jeder Knochen im Leib weh.«
Danil stand langsam auf. »Du Glücklicher. Ich fühle mich, als würde ich gar keine Knochen mehr haben. Li?«
Die junge Frau antwortete nicht. Als Miken zu ihr ging, stellte er fest, daß sie zwar noch atmete, aber nicht bei Bewußtsein war. Er sah sich um, während sich die anderen beiden zu ihm gesellten. Sie waren einen Hang hinuntergerollt, der plötzlich vor ihren Füßen aufgetaucht war. Ein Stück weiter im Wald konnten sie dunkle Konturen ausmachen, die sie wahrscheinlich gut verbergen würden. »Laßt uns dort drüben hingehen. Da ruhen wir uns aus, bis Jez und Calla kommen.« Er hob Li auf seine Arme und ging los. Die anderen beiden folgten ihm schweigend. Wenig später erreichten sie die Stelle, die Miken vom Ende des Abhanges gesehen hatte. Doch statt der erwarteten Bäume fanden sie dort die überwucherten Außenwände eines Gebäudes, das mitten im Wald stand.
»Ja von wegen, kein intelligentes Leben«, schnaufte Lemker. »Und wer hat dann dieses nette Häuschen hier gebaut?«
»Das sieht mir aus, wie eine Art Basisquartier«, sagte Danil, der die Wand genauer zu untersuchen begann. »Metall, vermutlich Stahl. Gut geeignet, um sich vor Angriffen zu schützen. Wir sollten den Eingang suchen.«
»Was, wenn wir bemerkt werden?« Miken blickte sich unsicher um.
»Ich glaube nicht, daß da noch jemand drinnen ist«, erwiderte Danil. »So wie es aussieht, ist das Gebäude schon seit längerem verlassen. Überall sind Ranken und Zweige an den Wänden hochgeklettert. Deswegen haben die Sensoren wahrscheinlich auch keine höheren Lebensformen entdeckt, weil sie den Planeten längst verlassen haben.«
Vorsichtig umrundeten sie das Gebäude und fanden schließlich eine Tür, die ins Innere des Bauwerkes führte. Hier ließ Miken seine Kollegin sanft zu Boden gleiten. Unvermittelt hörten sie ein Rascheln hinter sich, und Calla kam aus dem Unterholz. Ihr Gesicht war ziemlich zerkratzt, aber ansonsten schien sie in guter Verfassung zu sein. »Wir haben sie abgeschüttelt«, berichtete sie. »Wo ist Jez?«
»Hier ist er nicht«, antwortete Lemker. »Wir nahmen an, er wäre bei dir.«
»War er auch. Aber dann haben wir uns getrennt, um die Mistviecher von zwei Seiten aus anzugreifen. Danach habe ich ihn aus den Augen verloren.« Sie zuckte mit den Schultern. »Na, egal. Er wird schon wieder auftauchen. Und ihr habt hier ein lauschiges Plätzchen zum Übernachten gefunden?«
»Wenn wir hineinkommen, ja.« Er wies auf die Tür, wo Danil gerade damit beschäftigt war, die Arbeitsweise des Öffnungsmechanismusses zu entschlüsseln. Schließlich schlug er einmal kurz mit der Faust vor die Wand, und eine Klappe öffnete sich.
»Na bitte«, murmelte der Computertechniker, während er sich das Bedienfeld und die Anzeige darüber genauer ansah. Die Tasten waren mit merkwürdigen Zeichen beschriftet, die er nicht lesen konnte. Er tippte ein wenig auf ihnen herum, bis das Display rötlich aufleuchtete und ebenfalls einige dieser merkwürdigen Zeichen darstellte. Er bemerkte schnell, daß ihm hier wildes Ausprobieren nicht weiterhelfen würde, also nahm er das Bedienfeld mit Hilfe seiner Spezialwerkzeuge aus der Verankerung und betrachtete das Kabelgewirr dahinter. »Das wird schwierig«, murmelte er. »Eine solche Technik habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen.«
»Kannst du es öffnen?« fragte Miken, der sich neben Li auf den Boden gekniet hatte.
Danil zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich muß erst einmal analysieren, was das hier für ein System ist und nach welcher Logik es arbeitet.«
Während sie warteten, tauchte eine Silhouette im Wald auf, die sich in ihre Richtung bewegte. Calla leuchtete in die Richtung des Objektes und erkannte Jez, der sich langsam näherte. Sie wollte gerade die Lampe wieder senken, als sie sah, daß sich etwas auf seinem Kopf befand. Es hatte entfernte Ähnlichkeit mit den Flugdroiden, die sie bei der Dauphin angegriffen hatten. »Verfluchte Scheiße!« stieß sie hervor. »Danil, beeil dich, wir bekommen Gesellschaft!« Sofort zog sie ihre Waffe und zielte. »Halt! Bleib stehen, oder ich schieße!«
Das Wesen vor ihr, das einmal Jez gewesen war, zog seine Waffe und feuerte einige Schüsse auf die entsetzt starrende Gruppe ab, ohne dabei in ihrem Näherkommen zu stoppen. Calla schoß zurück, traf den Körper des sich willenlos bewegenden Mannes mehrfach in Brust und Kopf; doch scheinbar ließ er sich davon nicht aufhalten. Erst als sie ihm ins Bein schoß, strauchelte er und blieb einen Moment lang liegen. Sein Arm jedoch führte die Waffe immer noch mit unverminderter Kraft. Calla zielte und erwischte den Droiden, der sich an Jez Kopf festgeklammert hatte. Mit einem dumpfen Knall zerplatzte das Gehäuse, und zurück blieb ein Haufen rauchenden Altmetalls.
Währenddessen arbeitete Danil fieberhaft daran, die Tür zu öffnen. Zum Glück lenkte Calla den Angreifer so weit ab, daß er nicht auf ihn zielen konnte. Trotzdem zitterten seine Hände in Panik, während er versuchte, den Schließmechanismus zu umgehen. Wieder flackerten die rotglühenden Zeichen auf dem Display auf, doch diesmal begleitet von einem lauten Klicken. Einen Moment später glitt die Tür zischend auf.
So schnell sie konnten betraten sie den dahinterliegenden Raum, denn aus dem Wald schwirrten bereits neue Kampfdroiden heran. Danil, Lemker und Miken, mit der immer noch bewußtlosen Geologin in den Armen, liefen den Gang weiter voraus, während Calla zurückblieb, um die Droiden daran zu hindern, in das Gebäude einzudringen, denn die Tür ließ sich leider nicht mehr schließen.
Der Korridor endete vor einer Stahltür, an der ein Schild mit merkwürdigen Zeichen hing. Miken zog an der Klinke, und der Eingang öffnete sich. Dahinter flammten Leuchtflächen auf, die in der Decke eingelassen waren. Ein großer Bildschirm, der an einer Wand hing, zeigte eine Vielzahl sich bewegender Punkte auf einer Art Übersichtskarte des Planeten. »Ich werde Calla Bescheid geben, daß sie sich bis hierher zurückfallen lassen soll«, sagte Miken, während er Li sanft an einer der Wände lehnend absetzte. »Kümmert ihr euch um die Droiden. Schaltet meinetwegen die ganze Anlage hier ab.«
Der Vulkanforscher lief den Gang zurück, während Danil sich an die Arbeit machte. Lemker betrachtete sich indessen die Schriftzeichen genauer. »Ich habe diese Schrift schon einmal gesehen«, sagte er schließlich. »Sie gehört zum Volksstamm der Belthae. Allerdings ist dieses Volk im großen Krieg um Belthasis III vollständig vernichtet worden. Scheinbar hatten sie vor, sich hier niederzulassen.«
»Deshalb auch diese Anlage«, führte Danil den Satz weiter, während er die einzelnen Knöpfe und Schalter auf dem Bedienfeld untersuchte und ausprobierte. »Niemand sollte ihnen diesen Planeten streitig machen.«
Miken kam in den Raum zurück, gefolgt von Calla, die eine letzte kräftige Salve in de Gang hineinschoß. Dann schlossen sie die Tür. Beinahe im selben Augenblick hörten sie das Hämmern der Projektile auf dem Metall.
Immer neue Zeichen und Grafiken erschienen auf dem großen Plasmaschirm, während Danil die Tasten bearbeitete. Die Anzeige der Flugobjekte blieb dabei beständig sichtbar, und so konnten sie erkennen, daß sich immer mehr Droiden dem Bunker näherten.
Plötzlich bildeten sich auf dem Metall der Tür bläuliche Anlaßfarben, und wenige Augenblicke darauf wurde der Eingang aufgesprengt, wobei Miken von der Druckwelle mitgerissen und an die hintere Wand geschleudert wurde. Calla war sofort zur Stelle und hielt die Eindringlinge davon ab, in den Raum zu gelangen. Lemker zog nun ebenfalls seine Waffe und unterstützte die Sicherheitsfrau nach Kräften. Miken rappelte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auf, doch sein rechter Arm hing schlaff an seiner Seite herunter. Eine merkwürdige Hitze machte sich in dem kleinen Raum breit, die wahrscheinlich von der verbogenen Tür herrührte, die nutzlos am Boden lag.
Danil hatte inzwischen eine weitere Grafik auf den Schirm gebracht, deren Beschriftung mit einem rot blinkenden Rahmen umsäumt war. Sein Finger schwebte über dem Bestätigungsknopf, doch er war sich nicht sicher, ob er damit nicht vielleicht die Selbstzerstörung des Systems einleiten würde.
»Danil! Mach schon!« rief Miken. »Wir haben sonst keine Chance mehr!«
Unschlüssig blickte der junge Mann sich um, sein Gesicht zeigte Panik. Doch dann faßte er sich und ließ die Hand auf den Knopf niedersausen. Was daraufhin folgte, war Stille.
*
Li erwachte. Um sie herum war es hell geworden, das Licht des Tages fiel durch das Blätterdach über ihr. Miken und die anderen saßen erschöpft neben ihr im Laub. Als sie sahen, daß sie wach war, erzählten sie ihr, was geschehen war. Nachdem Danil den Angriffsmodus abgeschaltet hatte, waren die Droiden im gleichen Augenblick inaktiv geworden und schwebten nun harmlos in der Nähe des Gebäudes. Im Augenblick war der Computertechniker damit beschäftigt, einen Notsender zu bauen, der ein Signal zur Escrutador hinaufschicken sollte, damit man sie so schnell wie möglich von hier fortbringen würde. Jez war nicht mehr zu helfen gewesen, daher hatten sie seinen Körper in mehrere Decken gewickelt. Mikens Arm war wahrscheinlich gebrochen, doch das würde man auf der Krankenstation des Mutterschiffes schnell wieder in den Griff bekommen.
Nachdem sie ihr alles erzählt hatten, aßen sie eine Kleinigkeit und legten sich hin. Auch Li schloß wieder die Augen, um diesmal einen friedlicheren Schlaf zu genießen.
Das Terminal der Dauphin hatte währenddessen den letzten Eintrag des Logbuches der Visitor erreicht. Die Nachricht war als äußerst dringend markiert und blinkte auf dem Schirm dem verlassenen Raum entgegen.
Planet
Okklon besitzt alte Verteidigungsmechanismen. Gefahrenstufe I, Code
35RJ-822. Mission wird abgebrochen!
ENDE