A Gryphon's Life
Erster Zyklus: Krallen
Kapitel Eins – Der Wassermagier
Achtzehnter September 2005 – 11:22
Anspannung zog sich durch Alex' Körper, während er sich konzentrieren musste. Er stand in der Mitte eines großen Saals. Einige brennende Fackeln hingen von den Wänden und spendeten ihr Licht. Sie wurden vom Sonnenlicht unterstützt, das durch die großen Fenster in Alex' Rücken in den Saal schien. Seine Augen waren geschlossen, seine Arme waren verschränkt. Langsam breiteten sich seine Schwingen auseinander. Er öffnete wieder seine Augen und schaute den drei Lehrern an, die ihm gegenüber an einem Tisch saßen. „Ich gehe davon aus, dass dieser Prüfungssaal mit einem Bannkreis versiegelt wurde. Ist dem so?“, fragte Alex.
„Ja, Herr Eagle. Und bitte fahren sie mit der Überprüfung fort.“, bekam Alex von einem seiner Lehrer als Antwort. Er nickte und begann weitere Formeln und Sprüche zu flüstern. Magische Energie erfüllte den Raum und Alex' Handrücken leuchtete auf, als sein Wassersymbol erschien. Lange transparente Bänder wehten aus seinem Handrücken und folgten die Bewegungen seiner Hand. Plötzlich knallt Alex seine leuchtende Pfote auf den Boden vor seinen Füßen. Der Boden begann zu zittern und Risse wurden sichtbar, als sie sich durch den Steinboden zogen. Er hob wieder den Kopf und starrte seine Prüfer an, welche schon fleißig Notizen niederschrieben. Alex' Augen wechselten ihre Farbe von smaragdgrün zu ozeanblau, als er all die magische Energie entfesselte. Der Boden brach auf und der Prüfling auf seiner herausgetrennten Bodenplatte wurde von einer kräftigen Wasserfontäne in die Luft gedrückt.
Alex blieb in seiner gebückten Haltung, während er sich auf der Bodenplatte balancierte. Er war ungefähr fünf Meter über den Köpfen der Prüfungskommision und schaute auf diese herab. Nach ungefähr zehn Minuten ließ er die Wasserfontäne wieder in den Boden zurückfallen und die Marmorplatte krachte herunter. Von lautem Getöse begleitet zertrümmerte die herausgebrochene Bodenplatte das Gestein am Ende des Lochs. Alex schaute auf und erhob sich von den Trümmern unter sich. Er wandte seinen Kopf zur Seite und schaute aus dem Fenster. Er konnte die Wolkendecke zwischen den schwebenden Inseln der Ätherwelt sehen. „Ich werde nun die letzte geforderte Demonstration beginnen.“, ließ Alex verlauten.
Ein Nicken der Prüfungskommision im seinem Augenwinkel sagte ihm, dass er die Erlaubnis dazu erhalten hatte. Er schloss die Augen und murmelte die nötigen Formeln für den letzten Spruch. Dabei entfaltete er seine großen schwarzen Schwingen auf dem Rücken und begann mit ihnen zu schlagen. Er nahm eine schwebende Position vor seinen Prüfern ein. Sein Handrücken leuchtete erneut auf und er streckte seine Arme aus. Wasser sammelte sich in seinen Händen, während es von allen Seiten durch das Glas und die Wände schoss. Kleine Trümmer und Glasscherben bedeckten den Boden, als der Prüfling mitten in seiner Konzentration steckte. Alex öffnete die Augen erneut und wirbelte mit seinen Armen herum, als sich das Wasser in der Luft verteilte. Eine ozeanblaue Aura erschien um Alex herum und die Kommision ließ ein „Oh!“ verlauten, während sie die Aura des Magierprüflings betrachteten. Das Wasser in der Luft um Alex herum formierte sich zu einem kugelförmigen Schild um seine schwebende Gestalt. Es begann zu rotieren und formte ein starkes Wasserschild um seinen Körper. Das Leuchten um Alex' Körper erhellte die ganze Kugel und zeigte die Endform des Wasserschilds, dass Alex performierte. Die drei Lehrer an ihren Tischen begannen zu klatschen und Alex ließ das Schild zusammenbrechen. Das Wasser klatschte zu Boden und Alex sank auf den festen Grund herab.
„Das war ein sehr schöner Wasserschild. Nur wenige in ihrem Alter sind in der Lage es so schön auszubilden wie sie es uns gerade gezeigt haben.“, sprach einer der Lehrer. „Dies reicht auf jeden Fall, um ihren Patzer beim Illusionieren auszubügeln. Und ihre Wasserbeschwörungen sind auch viel besser geworden, als sie eigentlich momentan in der Lage sein sollten. Ich denke ihrer Zulassung zum zweiten Niveau steht nun nichts mehr im Wege, Herr Eagle“, fügte ein weiterer Lehrer hinzu und alle drei schüttelten Alex die Hand.
Er wusste, dass er die Schulausbildung mit dieser Prüfung bestanden hatte. Die Magierschule hatten ihm alle notigen Basissprüche der friedlichen Wassermagie zum Überleben beigebracht. Nun war es an der Zeit, dass Alex entweder einen Beruf innerhalb der Ätherwelt ergreife oder sich auf die Erde herabließe, um seine Fähigkeiten zu testen und zu verfeinern. Dies war der einzige Weg das erste Magierniveau zu erreichen. Zu den Bedingungen gehörten auch Lebenserfahrungen zu sammeln, mental weiter zu reifen und die Entwicklung eines eigenen Spruches. Alex hatte während seiner vierzehn Schuljahre immer davongeträumt zu einem Magier der ersten Klasse zu gehören. Seine Noten und Beurteilungen waren meistens positiv und mit der Zulassung zum zweiten Magierniveau konnte er nun den letzten Schritt antreten.
Langsam veränderte sich Alex' Umgebung. Er konnte fühlen wie sich der Bannkreis um diesen Raum herum auflöste und alle Schäden nach und nach verschwanden. Der Raum wurde in seinen Ausgangszustand zurückversetzt und sah wieder so schön und edel aus wie davor. Alex' Lehrer setzten sich wieder hin und begannen zu schreiben, während Alex nochmal einen Blick aus dem Fenster riskierte. Er sah die Wasserinsel, seine Heimat, an der Magierschule ganz langsam vorbeidriften. Er konnte die Hauptstadt, die Vororte und die Bergsiedlungen sehen und seinen alten Schulweg verfolgen, als er noch auf die Elementargrundschule gegangen war. Er fühlte ein leichtes Ziehen in seinem rechten Arm und fühlte die Erschöpfung in seinem Körper, da er innerhalb der letzten zehn Minuten fünf kräftezehrende Zaubersprüche vorführen musste. Jedoch war er glücklich, dass diese Prüfung nun endlich hinter ihm lag.
Die Türen öffneten sich und Alex wandte sich ihnen zu, als einige andere Magier den Raum betraten. Sie hatten schon den nächsten Prüfling im Schlepptau, während Alex in der Menge jemand Anderes erblickte. Es war ein stattlicher Mann, der eine sehr edle Robe trug. Die Robe war scheinbar aus tiefblauer Seide. Sie bedeckte seinen recht gesund und fit wirkenden Körper bis auf die Hände. Es waren die Hände eines Reptils, die auf ihrer Oberseite mit blauen Schuppen bedeckt waren. Die Unterseite hatte weiße Schuppen, die auch die Farbe der frisch gefeilten Krallen bedingten. Dieser Mann hatte die Kapuze der Robe über den Kopf gezogen, jedoch konnt Alex die Konturen der Reptilienschnauze gut erkennen. Er schaute in klare, blaue Augen. Auf der rechten Brustpartie der Robe waren das Emblem der Schule und das Wasserzeichen eingearbeitet. Diese Zeichen ließen ihn als den Schulleiter der Wasserabteilung erkennen. Alex wandte sich von dem Fenster und dem wunderbaren Ausblick ab, als er seine Robe wieder in die richtige Position schob und korrigierte. Er trat mit langsamen Schritten zur Menge in der Nähe der Tür.
„Darf ich annehmen, dass Alex Eagle seine Prüfung geschafft hat?“, frage der Reptilenmann und schaute zum Prüfer. Dieser hatte genickt und ein paar letzte Zeilen auf einer Rolle Pergament niedergeschrieben, bevor er sich dem Schulleiter hinwandte. Er reichte ihm die schriftliche Bestätigung und der Schulleiter trat vor Alex, der sich zum Gruße auf ein Knie herabließ.
„Ich, Su-Chi, benutze die Kraft meines Amtes, um dich, Alex Eagle, in den Kreis des zweiten Niveaus zu erheben. Steh auf, denn ich hab die Bestätigung, dass du dein Können unter Beweis gestellt hast.“, sprach der Schulleiter und Alex erhob sich aus seiner kniehenden Haltung. Er schaute auf und lächelte, während die beiden sich gegenseitig die Hände schüttelten. „Ich hoffe ich sehe dich morgen Abend auf dem Abschlussball.“
Alex errötete, als ihm der Schulleiter diese Worte zuflüsterte. Mit einem etwas gesenkten Blick drehte er sich zur Seite, um einem anderen Lehrer in die Augen zu schauen. Dieser hatte eine braune Kiste in den Händen. Der Schulleiter öffnete die Kiste und in ihr war ein brauner langer Unterarmschoner, der über den Handrücken reichte. Der Schulleiter nahm den Handschuh heraus und zog ihm Alex auf den rechten Unterarm. Der Schoner hatte auf seinem Handrücken eine Fassung, welche einen eliptischen Saphir eingesetzt bekam. „Ich denke du bist nun fertig hier, Alex. Der Nächste! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“, sprach der Schulleiter erneut und Alex verließ strahlend den Raum.
Neunzehnter September – 15:43
Langsam öffnete sich die Tür zum Badezimmer und inmitten von dichten Dampfschwaden trat Alex vorsichtig heraus. Noch hier und da tropfte Wasser von seinem Körper, Arme und Schwingen auf dem Rücken. Er hatte ein großes, weißes Badehantuch um seine Hüften gewickelt und trocknete sich mit einem anderen Handtuch den Hinterkopf. Er trapste durch den Flur direkt in sein Zimmer und schloss sich darin ein.
Alex lebte nur mit seinem Adoptivvater zusammen, da seine Eltern schon tot waren. Sein Adoptivvater war meistens sehr beschäftigt und konnte Alex meist nur Abends beiwohnen und sich um ihn kümmern. Alex hatte das all die Jahre nicht sonderbar gestört, denn er hatte gelernt damit umzugehen. Auf der anderen Seite hatte er dadurch sehr viel Freizeit für sich zur Verfügung. Daher konnte er sich auch in aller Ruhe umziehen und seine schwarzen Federn trocknen. Er betrachtete sich dabei in seinem großen Spiegel, während das Handtuch über seine Muskelkonturen rieb.
Alex gehörte zum Geschlecht der Greifen, was ihm nicht immer ein Vorteil oder Segen war. Sein Körper bestand zum großen Teile aus dem eines Kaffernadlers, jedoch mischten sich unterhalb seiner Gürtellinie einige Merkmale von Löwen hinzu. Alex' gesamter Körper war mit schwarzen Federn und Fell bedeckt. Sein Kopf war der eines Adlers, mit tiefschwarzen Federn, einem leuchtenden, scharfen Schnabel und grünen Augen, die gestochen scharf ihre Umgebung beobachteten. Sein Oberkörper war recht gut ausgeprägt und seine Brustmuskeln hatten schon begonnen sich etwas nach vorne zu entwickeln, da Alex in seiner Freizeit einiges an Sport und Kraftübungen machte. Er sah sich selber nicht als Kraftpaket wie es einige seiner Klassenfreunde waren, aber er war auch kein zierlicher Schwächling. Auch sein Bauch zeugte von den Ansätzen von Muskeln, die unterhalb der schwarzen Federn versteckt waren. Seine Hand, die die selbe Oberfläche wie die Füße eines Greifvogels hat, war mit vier Fingern und einem Daumen mit je einer kleinen Kralle ausgestattet. Seine Beine hatten starke Muskeln und waren mit schwarzem Fell bedeckt. Hinter seinem Körper waren zwei große Flügel an seinen Schultern angebracht und er hatte einen gelben Schwanz mit einer geplegten schwarzen Quaste an seinem Ende.
Der Greif genoss es sich im Spiegel zu beobachten, während er weiter seinen Körper trocknete. "Man darf doch ein wenig in sich selbst verliebt sein, nicht?", fragte sich Alex und grinste sein Spiegelbild an. Nachdem er dann endlich trocken war, wandte sich Alex von seinem Spiegel ab und schritt vor seinen begehbaren Kleiderschrank und durchsuchte ihn nach seiner Kleidung, die er gerne zum Ball tragen würde. Die Wahl fiel ihm nicht besonders schwer. Er wählte ein weißes, kurzärmliges Hemd, eine schwarze Hose und eine schwarze Robe, die jeder männlicher Prüfling zu seinem Abschluss tragen sollte. Eine Tradition, die sich schon viele Jahre an der Magierschule gehalten hatte und Alex wollte sie auch nicht in Frage stellen. Seine Robe war eine Spezialanfertigung von wegen seiner Flügel auf dem Rücken. Während sich der Greif wieder vor dem Spiegel bewunderte, sah er auch in dem Spiegel das Spiegelbild seiner Uhr, die in großen roten Lettern sechszehn Uhr vierundzwanzig anzeigte. Voller Entsetzen, dass es schon so spät war, drehte sich Alex um und schritt zu seinem Nachttisch herüber. Mit der Uhr in den Händen starrte er auf die Anzeige, die auf sechszehn Uhr fünfundzwanzig umschaltete.
"Ich komm zu spät!", schrie Alex in Gedanken, als er das Treppenhaus nach unten rannte und immer zwei Stufen mit einem Schritt nahm. Geschwindt riss er seinen Schlüsselbund von dem Schlüsselbrett und öffnete die Haustür, nachdem er sich ein Paar dunkle Stiefel angezogen hatte. Dass die Tür lautstark hinter ihm ins Schloss fiel, konnte Alex kaum hören, da er schon längst in der Luft war, um seinen Bus an der Haltestelle zu erreichen.
Neunzehnter September – 22:13
Die Rockmusik war laut, der Alkohol floss in Strömen. Einige von Alex' Mitschüler hatten schon längst über den Durst getrunken und lagen als halbe Alkoholleichen in Ecken und auf Tischen im Festsaal der Gaststätte "Zum Wirbelwind" auf der Windinsel. Alex's ganzer Jahrgang und auch die Lehrer dieses Jahrganges hatten sich hier getroffen, um die bestandene Prüfung zum zweiten Magierniveau zu feiern. Die Rockband von Alex' Freund Toby war auf der Bühne und gaben ihre besten Stücke zur Show. Alex war in der Mitte auf der Tanzfläche und hatte seine Hand um die zärtliche Pfote von Jessica geschlossen, während die beiden umeinander tanzten. Ihre Körper vermischten sich mit der Menge der anderen Ex-Schülern um sie herum, als sie sich zu der Musik bewegten und tanzten.
Jessica war eine zierliche Häsin und Alex's beste Freundin. Jedoch hatte sich zwischen ihnen niemals was ergeben, obwohl sie viele Stunden ihres Lebens miteinander verbracht hatten. Viele von Alex's Freunden hatten zu dem Zeitpunkt schon einen Freund oder eine Freundin, jedoch hatte Alex nicht wirklich das Interesse an einer Beziehung gehabt. In buntem Neonlicht getaucht hatte der Festsaal einen besonderen und erweckenden Eindruck gemacht, während die Massen vor der Bühne tanzten und den Boden zum Beben brachten.
Nachdem das aktuelle Lied zu Ende gespielt wurde, wechselte die Band und sanfte, ruhige Klänge erfüllten die Luft. Viele Singles verließen die Tanzfläche und machten Platz für die echten Paare, da die Liebeslieder nun nur für sie gespielt wurden. Obwohl Alex und Jessica von außen her wie ein Paar wirkten, entschlossen sich beide die Tanzfläche zu verlassen. Alex ging herüber zum Buffet und besorgte für sich und seiner Begleitung einige kleine Snacks und zwei Gläser mit der fruchtigen Bowle. Jessica saß auf einem Stuhl neben der Wand und hatte für Alex einen Platz neben ihr freigehalten. Der Greif ließ sich auf den Stuhl nieder und reichte seiner Begleitung ihr Glas.
„Es ist doch ein recht schöner Abend für einen Ball, oder?“, sagte Jessica, während sie direkt auf die Tanzpaare schaute. Einige dieser Paare hatten ihre Arme fest umeinander umschlungen oder sie küssten sich im gedämpften Licht. Unerwartet klatschen einige Magier dezent in ihre Hände und es erschienen Irrlichter, die zwischen den tanzenden Paaren umher schwirrten. Alex nahm einen Schluck von der Bowle und nickte. „Es wirkt fast wie eine Illusion. Viele von ihnen werden wir niemals wiedersehen.“, fügte er hinzu.
„Wusstest du, dass die Abgängerquote dieses Jahr über 66% liegt? Mehr als die Hälfte wollen sogar versuchen das erste Magierniveau zu erreichen.“, sprach Jessica bis sie plötzlich für einen kurzen Moment schwieg, „Du hast mir bis heute niemals gesagt, ob du weggehen wirst.“ Alex hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass diese Frage an diesem Abend kommen wird. Bisher hatte er es immer versucht sich um eine Stellungnahme zu drücken, denn er wusste ebenfalls, dass Jessica die Antwort nicht hören wollte. „Ich werde fortgehen...“, sprach der Greif ohne jegliche Gefühlsregung. Er wollte kein Drama aus diesem Thema machen, jedoch war dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt.
„Warum hast du das niemals gesagt, dass heute Abend unser letzter sein wird? Du bist so gefühllos!“, brüllte sie Alex an, nachdem sie spontan vom Stuhl aufgesprungen war. Alex leerte sein Glas und stellte es auf einen kleinen Tisch neben seinem Stuhl. Er stand ebenfalls auf und schaute zu Jessica herüber. „Es gibt Gründe für all dies...“, meinte er zu der Situation. Er blickte kurz zur Tanzfläche und den Anderen in dem Saal, um zu sehen, ob jemand von dem kleinen Streit etwas mitbekommen hatte. „Auf diese Gründe bin ich mal gespannt.“
Alex hielt ihr seine offene Hand hin und bat sie ihm zum Balkon zu folgen. Dort wartete er, während der Mond den Balkon in ein mystisches Licht tauchte. Wie eine schemenhafter Abdruck stand der schwarze Greif vor der Hauptstadt der Windinsel, die sich hinter dem Balkon erstreckte. Nachdem Jessica neben ihm am Geländer ihren Platz gefunden hatte, begann Alex zu erzählen. „Weißt du eigentlich, warum ich niemals zugelassen hatte, dass wir uns näherkamen? Ich wusste schon bevor ich dich kennengelernt hatte, dass ich fortgehen werde. Ich wollte keine Beziehung, die einen festen Endpunkt haben wird und daher habe ich immer etwas distanzierter unsere Freundschaft gesehen. Ich werde auf den Planeten hinuntergehen und dort hoffentlich meine Erfüllung finden. Vielleicht wirst du ja in so hundert Jahren was über mich lesen können. Und bevor du es sagst... Ich weiß, dass ich ein längeres Leben haben kann, aber das möche ich nicht. Ich werde Erfahrungen sammeln und Magier des ersten Niveaus werden.“
Jessica verblieb während Alex' Worten still und nickte nur zu einigen Schlagwörtern. Tränen standen ihr in den Augen, als ihr langjähriger Freund ihr erzählte, dass sie sich wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Am Ende fügte Alex noch hinzu, dass er um 10 Uhr des nächsten Tages den Termin im Büro des Wassergottes habe. Er wusste, dass er ihre Hoffnungen am Boden zerschmettert hatte, aber er musste es tun, um seinen Lebenstraum zu erfüllen. Das moderne Leben war für ihn nichts, wonach er sich sehnte, und selbst Jessica war kein ausreichender Grund für ihn zu bleiben. Sie würde schon den Mann ihrer Träume finden, da war er sich sicher. Bevor Alex sich dann noch entschließ den Ball zu verlassen, hatte er Jessica in seine Arme genommen und ihr einen kleinen Kuss auf ihre Stirn gegeben. Er verschwand in den Schatten der Nacht, um zur Wasserinsel zurückzukehren.
Zwangzigster September – 8:40
Draußen läuteten die Glocken des Wasserschreins und ein heller Sonnenstrahl erhellte das Zimmer durch das Fenster. Alex stand in der Mitte seines Zimmers. Alles war aufgeräumt, das Bett war wieder frisch bezogen. Er hatte das Zimmer in den ordentlichen Zustand zurückversetzt, welchen es hatte, als er mit sieben Jahren hier eingezogen war. Nur einige seiner persönlichen Gegenstände, die er nicht auf seine Reise mitnehmen konnte, waren noch auf Regalen und Tischen verteilt. Ein kleiner lederner Rücksack lag neben der Tür und beinhaltete etwas Proviant, ein paar Magierbücher und eine kleine Klinge in einer Lederscheide. Sein Adoptivvater hatte ihm die Waffe noch geschenkt, da es auf dem Planeten zu der Zeit sehr gefährlich war. Alex hatte in der Schule hauptsächlich Magie und deren Anwendung als Unterrichtsstoff, jedoch hatte er zusätzlich den Nahkampfunterricht besucht und gelernt, wie man mit einigen Standartwaffen kämpfen kann.
Bei einem letzten Blick in den Spiegel sah Alex seine neue Kleidung, die für den Planeten momentan typisch sind. Er trug ein beigefarbenes Leinenhemd mit dunklen, langen Hosen. Um seinen Hals war war ein indigogefärbter Umhang gelegt, der auf der Rückseite das Emblem seiner Schule trug. Ein einfacher Gürtel hielt die Hose an ihrer Stelle und Alex hatte einen kleinen Beutel mit einigen Münzen am Gürtel hängen. Mit dieser Ausrüstung musste er sein neues Abenteuer beginnen. Bereit zum Abschied wandte sich der Greif zur Tür und verließ sein Zimmer.
Auf dem Esstisch in der Küche lag noch ein Zettel mit einem kleinen Packetchen. Beinahe hätte Alex es nicht gesehen, aber verwundert laß er den Zettel und kratzte sich am Hinterkopf. Jessica hatte ihm diesen Zettel geschrieben, auf dem sie ihm alles Gute wünschte und ihm „Lebe wohl!“ sagte. Das Packetchen war ebenfalls von ihr und der Inhalt war ein Amulett. Alex hob das Amulett an seiner Schnur an und beobachtete, als es im Sonnenlicht hin- und herschwang. Die Schnur war schwarz und recht dick für ein Halsschmuck. Das Amulett bestand aus einem geschliffenen Saphir in Form eines Wassertropfens. Mit einem Lächeln legte er sich das Amulett um den Hals und versteckte es unter seinem Hemd. Bevor Alex das Haus verlaß, hatte er sich im Türrahmen der Haustür nochmal umgereht und einen letzten Blick in sein Zuhause genossen. Er wandte sich zu gehen und schloss die Tür zum letzten Mal in seinem Leben.
Zwangzigster September – 9:58
Su-Chi stand mit dem Rücken zur Tür seines Schulbüros am Fenster und genoss die Aussicht. Die Sonne erhellte das ganze Zimmer durch die großen und pompösen Fenster gegenüber der Tür. Große Eichenschränke, gefüllt mit Akten, Büchern und Schriftrollen, zierten die linke Wand, während einige gerahmte Landschaftsmalereien und Portraits der anderen Wand einen individuellen Hauch verleihten. Zwischen der Fensterfront und der großen Eingangstür stand der luxeriöse Schreibtisch des Schulleiters. Langsam erhob sich Su-Chis Arm und er schob den Ärmel zurück, um auf seiner Uhr nachzuschauen. Gerade als es sieben Uhr und zwei Minuten anzeigte, konnte der Schulleiter ein kräftiges Klopfen an der Tür vernehmen. „Es ist offen!“, sagte Su-Chi bestimmt und er schaute weiter über die Berge und Lavaseen der Feuerinsel, die sich vor seinem Fenster langsam vorbeidrehte.
Die Tür öffnete sich und Alex schloss sie auch sofort, nachdem er eingetreten war. Langsam trat er näher und blieb ein paar Meter vor dem Schreibtisch stehen. Er stand nun mitten auf das Symbol der Wassermagie und stellte seinen Rucksack vor sich auf den Boden. „Ich bin da, Schulleiter Su-Chi. Alex Eagle meldet sich zum Antritt der Reise.“, sagte Alex, während in ihm etwas Anspannung und Nervosität aufkeimte. Es war für ihn das erste Mal, dass er seine Heimat verlassen wollte. Er wusste ebenfalls, dass es wahrscheinlich kein Zurück geben wird, denn eine Reise zwischen der Ätherwelt und der anderen, normalen Welt war nur hohen Magiern, Elementarwesen und den vier Göttern der vier Elemente gestattet. Nur diese Kreturen hatten die Fähigkeiten und das Wissen die Tore zwischen den beiden Welten zu öffnen und Wesen durch die Tore zu schleusen. Es war nicht davon auszugehen, dass Alex dieses Wissen und die benötigten Fähigkeiten sammeln könnte.
„Schön, dass du da bist, Alex.“, sagte Su-Chi nun in einem freundlichen Ton und er wandte sich von der gewaltigen Aussicht und den Fenstern ab. Ein kleines Lächeln stand ihm auf seinen Reptilienlippen und er schritt neben dem Schreibtisch entlang in Richtung seines ehemaligen Schülers. „Ich bin so froh, dass du es so weit geschafft hast, Alex. Es macht mich stolz, dass du deine Abschlussprüfungen mit guten Noten abgeschlossen hast.“, sprach Su-Chi, während er Alex seine Hände auf die Schultern legte. „Jedoch betrübte es mich auch, als du mir vor drei Jahren, nachdem du das dritte Magierniveau erreicht hattest, mitgeteilt hast, dass du die Ätherwelt verlassen möchtest. Viele, die das erste Magierniveau erreichen wollen, gehen in die großen Weiten der Feuer- und Windinsel oder in die noch unbekannten Gebirge der Erdinsel... Aber es gehen nur wenige Schüler und verlassen die Ätherwelt. Wir hören von ungefähr ein Zehntel der Auswanderer ein weiteres Lebenszeichen, nachdem sie die Ätherwelt verlassen und ich hoffe, dass ich von dir wieder was hören werde.“
Su-Chi legte eine kleine Pause ein und nahm auch seine Hände wieder von Alex' Schultern runter. Alex hatte die ganze Zeit geschwiegen und hatte seinen Kopf etwas gesenkt. „Ich wollte nicht...“, begann Alex sich zu rechtfertigen, aber Su-Chi hob die Hand und wieß den Greifen an weiter zu schweigen. „Es ist dein gutes Recht, Alex. Wir haben dir in 13 Jahren alles beigebracht, was ein Wassermagier zum Überleben in der fremden Welt braucht. Du hast sogar die Kampfzauber überdurchschnittlich gut gemeistert und gezeigt, dass du dich verteidigen kannst. Wenn es einer aus deinem Jahrgang schaffen kann, dann bist du es. Aber dennoch ist jetzt ein Moment des Abschieds. Kennst du die Regeln für die Aufnahme in das erste Magierniveau?“, erklärte Su-Chi und schaute gespannt auf den jungen Mann vor sich.
„Wenn ich mich richtig erinnere, dann muss ich meine magischen Fähigkeiten weiter ausbilden und stärken. Ich muss einen Zauber so stark entwickeln, dass man die Benutzung selbst in der Welt des magischen Äthers spürt...“, sagte Alex auf und stockte dann. Er stutzte und schaute etwas ratlos zu Su-Chi. Dieser lächelte und trat um den Schreibtisch nach hinten zu einem kleinen Stapel von Zetteln und Schriftrollen. „Du musst zusätzlich noch einen eigenen Spruch entwickeln und perfektionieren oder alternativ dich auf die Suche machen und einen bekannten Spruch der ersten Stufe finden und erlernen. Wenn du einen früheren Meister findest, kannst du natürlich von ihm diesen Spruch auch lernen.“, fügte Su-Chi nochmal hinzu. Alex nickte und hob seinen Rücksack vom Boden auf. Er stellte sich vor den Schreibtisch und stützte sich auf ihm ab. „Muss ich noch irgendwas unterschreiben oder so?“
„Nein, das mach ich für dich. Ich öffne gleich das Tor. Du wolltest doch auf diesen eher abgeschiedenen Kontinent, oder?“, fragte Su-Chi zur Sicherheit nach. Alex schaute ihn an und nickte erneut. „So ist es.“, fügte Alex nochmal hinzu. Beide erhoben sich von ihren Positionen und gingen du dem Symbol, dass auf dem Boden aufgemalt wurde. Alex stellte sich zwischen Su-Chi, der in der Mitte auf dem Symbol stand, und dem Schreibtisch am Rand des kreisförmigen Bereichs um das Symbol herum. Su-Chi erhob seine Hände und Arme gen Himmel und begann viele kurze Sätze in der Sprache der Magie zu murmeln. Für Alex war es das allererste Mal, dass er einen Spruch der ersten Stufe zu sehen bekam. Das Symbol unterhalb von Su-Chis Füßen begann zu leuchten und in dem blauen Licht der Wassermagie zu scheinen, als sich die magischen Energien in diesem Raum sammelten. Auf Su-Chis linken Handrücken begann es ebenfalls zu leuchten, als dort das Wasserzeichen erschien. Das Rauschen von Wasser ertönte in Alex' Ohren und er spannte sich in Aufregung und Vorfreude an. Langsam erhob sich seine Hand und umschloss den Saphir unter seinem Hemd, nachdem Su-Chi die letzten Formeln gesprochen hatte. Licht und Wasser schossen aus dem Boden und umzingelten den Schulleiter und den Schüler, als Alex einen Zug an seinem Körper bemerkte. Er drehte sich um und sah das riesige, blaulechtende Tor. Er verlor langsam den Halt und wurde durch den Sog in das Portal gesaugt und gezogen. Nach ein paar Sekunden gab Alex seinen Widerstand auf und ließ sich in das Tor ziehen, dass nach seinem Verschwinden im Portal recht schnell zusammenstürzte und sich große Wassermassen über den Boden ergießten, die auf magische Weise wieder verschwanden. Su-Chi stand zunächst etwas regungslos mitten im Raum und realisierte, dass der Zauber vollendet war. Jedoch war nun Alex für die erste Zeit weit weit weg und unerreichbar.
Alex hatte es sich etwas anders vorgestellt durch die Grenze zwischen Ätherwelt und der normalen Welt zu reisen. Er war so, als wäre man unter Wasser in einem blauen Strom, während man selber von dem Sog durch die Grenze gezogen wird. Alles um ihn herum war blau und es fühlte sich fast wie Wasser an, das um ihn herumgespült wurde. Jedoch fühlte er sich weder nass, noch konnte er darin atmen und Luft bekommen. Jegliches Gefühl für Raum und Zeit war verloren, er wusste auch nicht wie lange das noch dauern würde. Nach und nach wurde alles immer dunkler und das Blau der Flüssigkeit um ihn herum verschwand in der stärkerwerdenen Dunkelheit. Alex hatte noch sein Amulett und seinen Rucksack fest in seinem Griff während der Reise. Er dachte an Jessica und die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten. Er dachte an Su-Chi und seine Lehrer, die ihm 13 Jahre lang unterrichtet und betreut hatten. Er dachte an seinen Adoptivvater und versuchte sich an seine Eltern zu erinnern, bevor sie bei dem schrecklichen Unfall ums Leben kamen. Er öffnete nach seinen Gedankenausflügen wieder die Augen und es war schwarz. Kleine, schwache Lichtpflecke konnte er noch in der Dunkelheit ausmachen, als er wieder einen starken Zug an sich fühlt. Er wird aus heiterem Himmel schneller und stärker gezogen. Plötzlich wird es hell und ein rundes, geisendes Licht erscheint direkt vor ihm. Der Strom und der Sog waren plötzlich weg, die Geschwindigkeit blieb.
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