Haben Tiere eine Seele?

Eine sehr seltsame Frage, meiner Meinung nach, doch eine, die wir Menschen sehr häufig stellen. Eine näherliegende: Haben Indianer eine Seele? Menschen mit anderen Hautfarbe? Juden?
Wenn wir uns darüber einig sind, sollten wir dennoch nicht vergessen, dass es Zeiten gab, in denen dies nicht selbstverständlich war. Der Gründung aller heutigen Staaten auf den amerikanischen Kontinenten gingen Vernichtungskriege gegen die Urbevölkerung voraus, denen gerade diese Seele abgesprochen wurden, da sie nur Tiere seien.
Nicht vernichtet, sondern als Sklaven ausgebeutet wurden Afrikaner nur wenig später, wieder von den amerikanischen Siedlern - größtenteils Europäern, also unseren eigenen Ahnen - mit dem gleichen Argument: Sie seien Tiere, haben keine Seele.
Und um noch ein rezenteres Beispiel zu geben, nenne ich nur das Schlagwort drittes Reich. Einige aus meiner eigenen Generation haben noch Väter, die in jener Zeit potentiell vielleicht auch am Holocaust beteiligt gewesen waren, von den Pogromen, von denen das gesamte Mittelalter überschattet wurde ganz abgesehen.
Es ist für uns Menschen sehr einfach, alles was anders ist als Minderwertig zu betrachten. Nur 'wir' haben eine Seele - und mit diesem Argument haben wir im Nachhinein betrachtet die furchtbarsten Verbrechen an der eigenen Art begangen, millionen von Toten, dadurch legitimiert, dass ein Mensch einem sich von ihm in Aussehen oder Abstammung unterscheidenden anderen Menschen diese "Seele" absprach.
Die Unterschiede zwischen einem Menschen und anderen Lebewesen sind ungleich viel größer als die zwischen einem Mitteleuropäer und einem Menschen, dessen Abstammung beispielsweise im Kongo, Afghanistan oder Palästina liegt. Wenn wir umso leichter schon jemanden die Seele absprechen können, je mehr er sich von uns unterscheidet, rät uns das nicht geradezu zu einer allerhöchsten Vorsicht ob der einleitenden Frage, ob Tiere eine Seele haben?
Mit dieser Frage verknüpfen sich für viele unserer Artgenossen ja noch weitergehende Privilegien wie Gefühle, Bewußtsein, das gesamte Innenleben, durch das sich jeder von uns definiert. Es sollte uns allerdings bewußt sein, dass es noch heute primitive Stämme gibt, die keine erste Person in ihrer Sprache kennen - statt "Ich gehe essen" heißt es "Dieser Mann geht essen". Auch die häufig zitierten Spiegelexperimente, die dazu herangezogen werden, um zu beweisen, dass die meisten Tiere ja überhaupt keine Seele haben könnten - inwiefern ist dieser Beweis aussagekräftig? Wenn Tiere wirklich jedesmal denken würden, dass jedesmal, wenn sie sich einer gut reflektierenden Wasseroberfläche nähern, sie ein Rivale von dort unten betrachten würde - würden sie dann wirklich ihren Kopf mit entblöster Kehle senken um zu trinken?
Und nur weil unsere Gattung sich im Spiegel selbst erkennen kann - tun wir uns damit nicht sehr leicht diese schon seid Jahrmillionen veranlagte Fähigkeit zu einer Einteilung in "intelligente" und "dumme", oder noch krasser, in beseelte und unbeseelte Lebewesen zu benutzen? Die moderne Biologie hat in vielen Experimenten einwandfrei bewiesen, dass der Mensch von Affen, Affen wieder von anderen Säugetieren, alle Säugetiere wieder von kleinen Nagerähnlichen Urahnen abstammen und so weiter, bis hinab zu den allerkleinsten Bakterien. Wo ist die Seele aufgetaucht? Gab es einen Punkt wo sie plötzlich da war? Können wir behaupten, die einzigen Lebewesen zu sein, die das Konzept der Seele kennen, weil wir noch nie mit einem Tier darüber kommunizieren konnten? Davon abgesehen, dass es auch durchaus kommunikationsfreudige Menschen gibt, die dieses Konzept ablehnen oder nicht verstehen (wollen?).
Werden diese damit zu Tieren? Hat man eine Seele nun, wenn man versteht, was das ist, wenn man daran glaubt oder von der anderen Seite gefragt, was maßen wir uns eigentlich an, irgendetwas über die Seele zu wissen?
Alles Leben stammt wie bereits gesagt aus einem einzigen "Guss", sind alle auf ultimativ grundlegende Weise gleich aufgebaut, auch wenn jedes Lebewesen für sich allein durch die genetische Varianz immer ein einmaliges Individuum ist, das einen einzigartigen Lebenslauf hat, der zwar wiederrum für alle Individuen in einer Art ähnlich sein mag, aber in Einzelfällen auch krass anders sein kann.
Um nur einen Beleg für die Individualität, die Tiere im Laufe ihres Lebens erhalten können zu nennen, es ist dokumentiert, dass eine Löwin ein Anthilopenjunges in ihren Muttertrieb mit einbezog, mit der Auswirkung für den Rest ihres Lebens, dass sie mit großer Häufigkeit in der Nähe von Anthilopenherden gesehen wurde, allerdings ausschließlich andere Tiere riss, also ihren Ernährungsplan Aufgrund rein triebhafter - oder gefühlshafter? - Motivation so veränderte, dass sie eine bestimmte Tierart trotz ihres instinkgesteuerten Jagdtriebs verschonen konnte - dies ist wohl kaum genetisch zu erklären.
Nein, dass allein Menschen, Menschenaffen, oder "intelligente" Tiere eine Seele haben sollen klingt für mich nicht logisch.
Entweder ist diese Seele universell und jedes Lebewesen besitzt eine, oder das gesamte Konzept ist eine reine Luftnummer, geschaffen von einer Spezies mit großer Rechenkapazität des Gehirns und einem Hang zum Größenwahn, der sich darin äußert, dass sie ihr Phantasiekonstrukt nur sich selbst zugestehen wollen.
Im letzteren Fall ist die Vergnügungsgesellschaft des beginnenden Jahrtausends wohl oberflächlich betrachtet die beste aller Möglichkeiten für den Menschen, mit all ihrer Rücksichtslosigkeit anderen Menschen und vor allem der restlichen Biosphäre gegenüber, da tatsächlich nach uns die Sinflut kommt und alles egal ist - das gesamte Konzept Leben ließe sich auf eine günstige Ansammlung von Zufällen auf dieser kleinen blauen Welt beschreiben, als chaotisches System, dass schließlich zu uns heute geführt hat, aber letztendlich uns egal sein kann, denn nur wir zählen und das auch nur solange wir leben und alles was zählt ist, dass es uns persönlich gut geht.
Wenn dem aber nicht so ist, verüben wir durch unser reines Bestehen Moment für Moment unsägliche Verbrechen an anderen beseelten Wesen. Wenn wir einen Schritt in eine Wiese tun, bringen wir damit potentiell Tod und Verderben über unabschätzbar viele andere Seelen - wir verursachen ständig Leiden an anderen, die alle von uns verschieden sind - und vergessen wir nicht, auch jeder einzelne Mensch ist ein Individuum - aber mit denen wir doch alle die Beseeltheit gemeinsam haben. Dagegen, dass wir Leiden verursachen, können wir uns nicht wehren. Nicht, indem wir noch so gut aufpassen, nicht indem wir Vegetarier oder Veganer werden, denn auch Pflanzen wären beseelt, ganz davon abgesehen, dass unsere Immunabwehr tagtäglich millionen, wenn nicht milliarden Bakterien vernichtet, damit sie uns nicht vernichten, und noch nichteinmal der Selbstmord wäre ein Ausweg, denn auch er verursacht Leiden, da wir genau betrachtet Symbionten sind - denn ein Leben ohne Darmbakterien wäre schlecht vorstellbar, genauso wie unser Tod auch ihr Ende bedeuten würde.
Einen Ausweg aus dem Kreislauf dieses Leidens wird es nicht geben, wir wären alle unendlich schuldig. Auf der anderen Seite allerdings müssen wir uns zugestehen, dass es keine Seele gibt, die keine Schuld auf sich lädt - Tiere fressen sich gegenseitig oder Pflanzen, Pflanzen wiederrum stehen in einer ständigen Konkurrenz um das meiste Licht und den besten Standort und wer zurückbleibt krepiert. Selbst Aasfresser haben keine Hemmungen, Konkurrenten verhungern zu lassen, während sie sich den Magen vollschlagen.
Wir können dies alles nicht verurteilen, sind wir doch selbst nicht besser, noch sind wir schlechter, denn objektiv verhalten wir uns ähnlich wie Parasiten im Tierreich oder die Gruppe Lebewesen, die die Landwirtschaft am meisten erzürnt: Wir benutzen unsere Fähigkeiten, in unserem Fall also unsere Fähigkeit zum logischen, abstrakten und komplexen Denken zusammen mit unseren großen Möglichkeiten der manuellen Manipulation, dazu uns exponentiell zu vermehren und dabei alles, was an biologischen oder geologischen für uns nutzbaren Schätzen vorhanden ist ohne viel nachzufragen auszunutzen. Zwar gibt es Umweltbestimmungen in einigen Ländern, aber diese gelten nicht überall und auf dem Großteil der Welt nicht in einem Maß, dass eine totale Ausbeutung in endlicher Zeit verhindert werden könnte.
So wie es aussieht, wird in dem Moment, in dem diese Welt von uns vollständig "konsumiert" wurde, sich unser Schicksal scheiden. Sind wir genügend technisiert, können wir unser Werk auf anderen Welten fortsetzen, vielleicht sogar einmal unsere eigenen Biosphären künstlich formen und so den alten Menschheitswunsch erfüllen und Gott spielen, während wir unsere Größe in dekadenten Exzessen genauso oder schlimmer weiterfeiern wie bisher, oder wir werden mit einem Großteil der Biosphäre dieses Planeten jämmerlich krepieren (- wobei ich, als persönliche Anmerkung, die letztere Möglichkeit favorisieren würde).
Diese Zukunftsvision ist natürlich unabhängig davon, ob jedes Lebewesen eine Seele hat oder nicht, aber sie ist unterschiedlich zu bewerten, denn anstatt dieser exponentiellen Vermehrung hin zur Vernichtung des aktuellen Lebensraum, tendieren die meisten Säugetierarten zu der Aufrechterhaltung eines Bestandes, für den der Lebensraum langfristig Versorgung bieten kann und wobei es genügend Räume gibt, in die es Möglich ist auszuweichen. Wenn nun nichts eine Seele hat, uns inklusive, so ist die von uns bis in diesen Augenblick praktizierte aus dieser Sichtweise heraus die richtige, denn der Tod unseres Planeten wird wohl wahrscheinlich erst unsere Kinder oder Kindeskinder treffen, wenn er nicht noch weiter in der Zukunft liegt, uns bräuchte er nicht zu kümmern.
Wenn allerdings alles beseelt ist, verhalten wir uns zwar vielleicht auch nicht anders als einige andere Arten von Leben, aber wir müssten uns bewußt sein, dass jedes Lebewesen genauso fühlt und denkt wie wir - nicht in der gleichen Weise natürlich, denn wir sind alle individuell, sondern insofern gleich, dass es immer eine Seele gibt, die es ja ist, die das Leben wertvoll macht, da sie das hier und jetzt des Gegenwärtigen mit dem "größerem Ganzen" - einer Göttlichkeit, egal wie man sie definieren will, verbindet. Wenn etwas keine Seele hat, ist es absolut gleich, was wir damit anstellen; wenn ein Wesen keine Seele hat interessiert es nichts und niemanden - außer vielleicht es selbst und andere Individuen in denen sein Schicksal chemisch nachvollziehbare Triebe / Gefühle erweckt - auch wenn wir es misshandeln und langsam zu Tode quälen (obwohl das in diesem Zusammenhang vielleicht das falsche Wort sein mag) würden.
Wenn etwas eine Seele hat, ist diese absolute Gleichgültigkeit über sein Schicksal nicht gegeben. Es hat keinen Sinn aufzuhören Fleisch zu essen, denn wir sind biologisch darauf ausgelegt, genausowenig, wie es sinnvoll - da unmöglich ist - jedes Leben zu verschonen. Durch unsere Existenz verursachen wir Leiden, aber Leiden gehört unabänderlich zu dieser Welt dazu. Die einzige Entscheidung, die wir treffen können, ist, ob wir gleichgültig gegenüber dem Schicksal anderer Lebewesen sind, die als potentielle Nahrung, Kleidung oder Unterhaltung in unser Leben treten, oder verantwortungsvoll. Das allerdings würde heißen, nicht mehr von der Natur zu nehmen, als sie vertragen kann, uns soweit einzuschränken, dass auch Lebewesen in 500, 1000 oder einer Million Jahre noch die Möglichkeit haben, auf dieser Welt in Freiheit ein für sie richtiges Leben zu führen und auch in Freiheit zu sterben, denn jedes Lebewesen, dass etwas derartig Göttliches in sich trägt wie eine Seele, hat es nicht auch dadurch das Recht auf Selbstbestimmung? Sicherlich versklaven einige Tiere auch einander, aber wir Menschen hätten die Möglichkeit, die gesamte Welt zu einer einzigen animalischen Sklaverei zu machen. Wir sind auch die einzigen, die dagegen halten könnten, wenn wir es kollektiv wollten, so wie wir heute kollektiv die weitere Vermehrung der Menschheit und Einschränkung der freien Wildbahn auf ein Minimum anstreben.
Ich weiß nicht, ob es eine Seele gibt, aber ich glaube, in dem Moloch des Konsums und immer größeren, immer schnelleren Wachstum liegt nicht die Chance der Menschheit, sondern das Vorspiel eines in einer endlichen Anzahl von Generationen folgenden Untergangs, egal, ob dieser nun hier auf der Erde, auf dem Jupitermond Europa oder in fernen Galaxien stattfinden wird und auf dessen Weg wir so unendlich viel zerstören und so unendlich viel Leid anrichten werden.
Auch wenn andere Lebewesen keine Seele haben - und wir damit auch nicht, die allermeisten unserer Art ziehen es vor, ihr Leben auf dieser Welt fortzusetzen anstatt es durch eines anderen Hand beenden zu lassen. Jedes andere Lebewesen "denkt" darüber für sich sicherlich genauso, so es dazu fähig ist, oder fordert zumindest nicht wirklich dazu auf, es zu versklaven, zu quälen in fürchterlichen Experimenten oder zu töten. Sicherlich werden wir nicht ohne organisierte Landwirtschaft, moderne Medizin oder tierischen Nahrungsmitteln auskommen, aber wollen wir es verantwortungsvoll oder eigennützig angehen?
So viel Leid verursachen wie für unseren Lebensraum verkraftbar, oder so viel wie wir für uns für nötig erachten, oder gar soviel wie Möglich ist, eingeschränkt allein durch lokale menschliche Gesetze und (/oder) die physischen Gegebenheiten?
Denn auch wenn nichts eine Seele hat, verbindet das alle Lebewesen, auch so hat das Leben für jedes einzelne lebendige Geschöpf den gleichen, hochgehaltenen Wert, wenn auch alleine für sich selber. Zu wissen das, egal ob es nun Seelen gibt oder nicht, alle Lebewesen mit uns, mit mir und dir, im selben Boot sitzen, sollte dazu führen, dass wir Respekt auch vor anderen Spezien bekommen und diese nicht unnötig und grausam behandeln. Wie wir mit diesem Planeten, und jedem weiteren, den wir vielleicht eines Tages kolonisieren werden, umgehen davon hängt auch ab, ob wir, wenn wir unsere Eitelkeit ablegen, die uns von allen anderen Lebewesen nur in unserer Phantasie abgrenzt, uns im Spiegel, diesem von uns selbst so hochgelobten Ausdruck von Bewußtsein und Intelligenz, selbst in die Augen schauen und behaupten können, dass wir Verantwotung zu übernehmen gelernt haben, dass wir nicht den Großteil unserer Zeit auf Erden nur an unsere kleine Ecke, an uns selbst, gedacht haben sondern auch an alle Wesen, die von uns so unsterschiedlich, aber im innersten doch ganz genau gleich wie wir sind.
06-17-02

-Pilgrim

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