Die wärmeren Lande
(Eine Furry-Story von Dario Abatianni (C)03.02.1999)

1

Dunkelheit hatte sich über die frühsommerliche Landschaft gelegt. Ein lauer Wind ließ das kleine Feuer am Wegesrand leicht flackern. Leuchtende Funken stiegen vereinzelt aus den Flammen auf, wirbelten in der warmen Luftströmung herum und erloschen schließlich lautlos. Die schlanke Gestalt eines Fuchses saß am Rande des Feuers. In seinen sanften, braunen Augen spiegelte sich der Schein der Flammen wider, während er in das sich immerwährend ändernde Muster blickte. Langsam nahm er einen Schluck aus seinem Becher und ließ den warmen Tee seine Kehle hinabrinnen. Neben ihm lagen die Überreste eines spärlichen Abendessens: Ein kleines Stück Brot, zwei oder drei Knochen eines Kaninchens, eine Blätterpackung, in der noch ein wenig Fleisch war, und ein halb gegessener Apfel.

Den ganzen Tag über war Rotpelz nun schon in nachdenklicher Stimmung. Wahrscheinlich war seine innere Unruhe auch für seine Appetitlosigkeit verantwortlich. Er wußte nicht warum, aber immer wieder kehrten die Gedanken und Erinnerungen aus seiner Kindheit zurück. Während seiner langen Wanderschaft geschah es nur selten, daß er an sein altes Leben dachte, aber an Tagen wie diesem schien dieses Leben greifbar nahe.

Er nahm einen weiteren Zug aus dem Becher, den er in seinen schwarzen Pfoten hielt. Dabei fiel sein Blick auf das Fell, das sich an die dunklen Flecken anschloß. Fuchsrot, ja, verdammt, ja! Wie oft hatte er dieses Fell verflucht, weil es ein immerwährendes Risiko für ihn und seine Familie darstellte. Bis zu seiner zwölften Sonne hatte er in der Eiswüste weit im Norden gelebt, denn im Grunde war er ein Polarfuchs. Aus einer Laune heraus hatte ihm die Natur ein fuchsrotes Fell wachsen lassen, ganz im Gegensatz zu dem weißen Pelz, den der Rest seiner Familie besaß.

Zu Anfang hatte er sich darüber gefreut, daß er sich von den anderen Füchsen abhob, doch bald schon mußte er feststellen, daß die Neckereien seiner Geschwister nur die kleineren Unannehmlichkeiten waren. Sein auffälliger Pelz machte ihn in der Eiswüste zu einem weithin sichtbaren Ziel für größere Raubtiere, und so mußte er mehr als einmal um sein Leben laufen, wenn ein Eisbär ihn als sein Mittagessen auserkoren hatte.

Vor acht Sonnen hatte er schließlich sein altes Leben aufgegeben und war aus der Polarregion in den Süden gewandert, um die wärmeren Lande zu erreichen. Dort würde sein Fell niemandem mehr schaden. Seinen Spitznamen - Rotpelz - trug er jedoch weiterhin. Er verdrängte im Laufe der Sonnen, die verstrichen, seinen wahren Namen, den er in seinem Herzen aber immer noch behielt.

Der Tee war mittlerweile kalt geworden und Rotpelz schüttete den Rest des Getränkes ins Feuer. Zischend stiegen kleine, nach Kräutern duftende Dampfwolken auf. Der Fuchs schnupperte und genoß den Geruch, der sich ausbreitete. Dann griff er nach seinem Rucksack und nahm eine Decke heraus, die er dann auf dem Boden in der Nähe des Feuers ausrollte. Er streckte sich behaglich darauf aus und blickte in den klaren Himmel, aus dem die Sterne auf die Welt hinabsahen. Wo immer du auch hingehen wirst, mein Sohn, die Sterne werden dich begleiten. Das waren die Worte seines Vaters gewesen, als er seine Heimat verlassen hatte. Viele Nächte hatte er zu den weißen Punkten am Himmel hinaufgeblickt, einige Male auch durch Tränenschleier. In dieser Nacht war der Anblick der Sterne aber mehr beruhigend als betrüblich. Sie folgten ihm wohin er auch ging - als stumme Zeugen seiner Reise.

Rotpelz öffnete müde ein Auge, als ein Sonnenstrahl seine Nase kitzelte. Die Blätter der Bäume bewegten sich im leichten Wind des frühen Morgens und zauberten komplizierte Fleckenmuster auf sein Fell und das Gras seines Lagerplatzes. Er hatte sehr tief geschlafen, noch nicht einmal ein Fetzen eines Traumes war ihm in Erinnerung geblieben. Er schloß das Auge wieder und genoß die frische, kühle Luft, die sanft mit den Haaren seines Pelzes spielte.

Doch schließlich rappelte er sich auf und streckte sich. Tau glitzerte wie aufgereihte Perlen auf den Spinnennetzen, die kunstvoll gewoben in den Sträuchern hingen. Es war der vollkommene Beginn eines Frühsommertages.

Das Feuer in seinem steinernen Becken war mittlerweile zu einer nur noch leicht schwelenden Glut verkümmert. Er brauchte aber nicht lange, um es zu neuem Leben zu erwecken. Fröhlich summend füllte er seinen Becher mit Wasser aus seiner Feldflasche und hängte das Tongefäß dann in die Drahtschlaufe, die über das Feuer ragte. Während das Wasser sich langsam erwärmte, holte er aus einem seiner kleinen Beutel ein bräunliches Blatt heraus, das er vorsichtig zwischen seinen Pfoten zerrieb. Ein aromatischer Duft stieg ihm in die Nase, und er sog gierig die Luft ein. Geduldig wartete er, bis die Flüssigkeit in dem Becher zu sieden begann. Vorsichtig ließ er das zerkleinerte Blatt in das Gefäß rieseln, in dem sich das Wasser schon bald bräunlich verfärbte.

Währenddessen packte Rotpelz seine restlichen Sachen zusammen und wickelte das Fleisch, das von seinem Abendessen übrig geblieben war, aus seiner Blätterhülle. So weit ein ausreichendes Frühstück.

Das Feuer war schnell gelöscht. Der Fuchs schwang sich seinen Rucksack und den kurzen Jagdbogen über die Schulter und zog weiter nach Süden. Er hatte kein spezielles Ziel. Seit er seine Wanderung in die wärmeren Lande begonnen hatte, war er stets seiner Nase gefolgt. Lediglich zu Beginn seiner Reise hatte er sich für eine Zeit in einem kleineren Dorf am Ufer des Meeres niedergelassen.

Seinen Aufenthalt dort hatte er dazu genutzt, die Bräuche und Sitten des fremden Landes kennenzulernen und sich an die ungewohnten Temperaturen anzupassen, die ihm bereits hier zu schaffen machten. Damals hatte er schon geglaubt, er müsse die halbe Welt durchwandert haben, doch die Zukunft belehrte ihn eines besseren. Nachdem er das Dorf verlassen und seine weitere Reise in Angriff genommen hatte, entdeckte er Land um Land, durchstreifte er Wald um Wald und überquerte Fluß um Fluß. Er erkannte, daß das, was er immer für die Welt gehalten hatte, nur ein kleiner Teil eines unglaublich großen Ganzen sein mußte.

Ungefähr zu dieser Zeit geschah es, daß in ihm die Neugier auf das Land hinter dem nächsten Hügel aufkam. Kaum hatte er sich in einem Dorf niedergelassen juckte es ihn auch schon in den Pfoten zu erfahren, wie es wohl ein paar Meilen weiter den Weg hinab aussehen mochte. Er war zu einem Abenteurer, einem Weltenbummler geworden, den es nie lange an einem Ort hielt. Und er wurde es nie müde, seine wechselnde Umgebung zu betrachten und sich an ihr zu erfreuen.

Natürlich machte ihn ein solcher Lebensstil auch einsam; er blieb nie lange genug an einem Fleck, um andere Leute kennenzulernen oder Freundschaften zu schließen. Sie würden ohnehin nicht von Dauer sein, denn er wußte, irgendwann würde er weiterziehen und sie zurücklassen müssen.

Sein Weg führte ihn diesmal durch eine recht offene Landschaft. Hier und da hatten sich einige Bäume zu kleinen Wäldchen zusammengerottet. Dazwischen erstreckten sich wild wuchernde Felder voller Kräuter und Gräser, deren Blüten und Samen die Luft mit würzigen Düften erfüllten. Rotpelz ließ sich regelmäßig am Wegesrand nieder und zupfte vorsichtig die eine oder andere Pflanze aus, die er neugierig betrachtete, befühlte und beschnupperte. Bis zum Mittag hatte er eine ganze Sammlung verschiedenster Blumen und Gräser zusammengestellt, die sich an Farbenpracht gegenseitig überboten.

Als die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hatte, beschloß er, eine Rast einzulegen. Er suchte sich ein hübsches Plätzchen am Rande des Weges aus und schlug dort sein Lager auf. Die Kräuter, die er gesammelt hatte, zeichnete er behutsam in sein Notizbüchlein, das er in einem der Dörfer weit im Norden erworben hatte, und verstaute sie dann in einem seiner Beutel, die er mit festen Lederschnüren an seinem Rucksack befestigt hatte. Während er rastete bemerkte er die Wolken, die sich langsam aber sicher vom Westen her näherten. Scheinbar würde es über Nacht Regen geben, eine ihm nicht ganz unwillkommene Abwechslung zur Wärme des Tages. Dennoch wollte er schnell aufbrechen, um eines der Wäldchen zu erreichen, die etwas Schutz vor der Nässe versprachen. Flink packte er seine Ausrüstung wieder ein und machte sich erneut auf den Weg.

Als die ersten Regentropfen fielen, war Rotpelz immer noch unterwegs. So weit er in der beginnenden Dunkelheit sehen konnte, war auch in der nächsten Zeit nicht mit einem Unterschlupf zu rechnen. Er hielt kurz an, um sich seinen Umhang aus dem Ranzen zu holen, schlang ihn sich um die Schultern und wanderte weiter. Die Wolken verdichteten sich zusehends und er meinte, in der Entfernung ein tiefes Grollen wahrgenommen zu haben. Er schnüffelte aufmerksam und nickte stumm; ein Gewitter war im Anzug.

Wenige Minuten später zuckte der erste Blitz grellweiß über den Himmel. Der Donner folgte wenig später. Die Regentropfen fielen nun dichter und wurden von einer aufkommenden Brise umhergewirbelt. Rotpelz ärgerte sich ein wenig über den Wetterumschwung, stapfte aber beständig weiter. Es war nicht das erste Mal, daß er auf seiner Reise vom Regen überrascht wurde, und immerhin würde er morgen recht schnell wieder trocken werden.

Die Blitze wechselten sich nun in schneller Folge ab. Nur wenige Augenblicke blieb es dunkel, bis ein erneutes Aufflammen des Lichts die Landschaft in ein gespenstisch weißes Leuchten tauchte. Während der ganzen Zeit grummelte und donnerte es in den Wolken. Als ein weiterer Blitz die Umgebung erhellte, sah Rotpelz eine steinerne Brücke, die sich über einen schmalen Fluß spannte. Dahinter konnte er ein paar Gebäude sehen. Erfreut beschleunigte er seine Schritte.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis er die Brücke erreicht hatte. Der Regen fiel stetig herab, rann über den steinernen Steg und seine Brüstung. In diesem Moment flammte erneut ein Blitz auf, der unmittelbar von lautem Donner gefolgt wurde. Rotpelz verharrte. Da war noch etwas anderes gewesen. Über den Donner hinweg hatte er ein anderes Geräusch vernommen, das von unterhalb der Brücke kam. Probehalber schnupperte er, doch der Regen machte jeden anderen Geruch zunichte. Vorsichtig entfernte er sich einige Schritte seitwärts von der Brücke und kletterte die Böschung zum Fluß hinab. Dann bewegte er sich langsam auf das Steingebilde zu, das sich dunkel gegen die Landschaft dahinter abhob.

Ein Flackern in den Wolken, dann wieder ein lautes Poltern. Und erneut hörte er das Geräusch - wie ein leises, erschrecktes Wimmern. Scheinbar versteckte sich jemand unter der Brücke.

»Hallo?« fragte Rotpelz, als er den Steg erreicht hatte und in die Dunkelheit darunter spähte. »Ist da jemand?«

Die Antwort war ein spitzer Schrei und das Scharren von Füßen, die sich hastig entfernten. Einen Augenblick lang glaubte Rotpelz, die Reflexionen eines Augenpaars zu sehen. Wer auch immer hier unten hockte, mußte völlig verängstigt sein.

»Keine Angst«, sagte er leise und taste mit seiner Kraft voraus. Er erfühlte Furcht und Unsicherheit; Furcht vor ihm, dem Gewitter und - vor etwas anderem.

Sanft umfing er die Gefühle und begann, sie zu zerstreuen. »Ich werde dir nichts tun.« Die Angst wurde schwächer, ließ sich aber nicht vollständig beseitigen. »Das Gewitter wird noch eine Weile anhalten. Aber ich habe einige Häuser gesehen, nicht weit von hier. Vielleicht sollten wir versuchen, dort Unterschlupf zu finden.« Während er sprach, machte er ein paar Schritte voraus. Er fühlte die Bewegung eines Körpers, der sich langsam zurückzog.

Rotpelz war so angespannt, daß er zusammenzuckte, als ein neuerlicher Blitz, gepaart mit kräftigem Donnerschlag, die Stille zerriß. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte er erkennen, wer sich da vor ihm in der Dunkelheit verbarg.

»Glaube mir«, sagte er. »Ich will dir nichts tun.«

»Geh fort!« sagte das Katzenweibchen leise. »Laß mich zufrieden!«

Der Fuchs spürte die Furcht, die immer noch von ihr ausging. Er nahm seine Kraft noch einmal zusammen und kämpfte gegen sie an. »Es wird wärmer und trockener dort sein. Du mußt dich nicht fürchten. Alles wird gut.« Behutsam streckte er eine Pfote in die Richtung aus, wo er die Gestalt zuletzt gesehen hatte, und berührte einen Moment lang feuchtes Fell.

Die Katze machte einen Satz nach hinten und stieß einen unterdrückten Schrei aus. Doch Rotpelz fühlte, daß es mehr die Überraschung war als die Furcht, also näherte er sich weiter. Als er sie zum zweiten Mal berührte zuckte sie nur kurz zusammen, blieb aber, wo sie war. Seine Augen hatten sich mittlerweile so weit an die Dunkelheit angepaßt, daß er sie sehen konnte. Sie hatte sich ganz in die hinterste Ecke des Brückenüberhanges gezwängt und hielt die Augen fest geschlossen; sie zitterte am ganzen Körper.

»Willst du mit mir kommen, oder möchtest du dir hier draußen einen Schnupfen holen?« fragte Rotpelz sanft. »Glaube mir, ich will dir helfen.«

Schließlich brach die Angst unter seiner Kraft zusammen, und die Katze öffnete die Augen. »Wo sind sie hin?« fragte sie ängstlich.

Rotpelz war etwas überrascht, beschloß aber, erst einmal nicht darauf einzugehen. »Sie sind fort«, sagte er statt dessen. »Komm mit mir. Ich werde dich an einen trockenen Ort bringen.« Langsam führte er seine Pfote an ihre heran und sie umschloß sie zögernd, dann bestimmt. »Na siehst du«, sagte er lächelnd. »Dann komm. Wir müssen ein Stück durch den Regen laufen.«

Er führte das Weibchen unter der Brücke hervor und überquerte mit ihr den steinernen Überweg. Dann wies er mit einer Pfote auf die Gebäude in der Nähe und lief los. Die Katze an seiner Seite hielt mühelos mit, und innerhalb weniger Minuten erreichten sie einen Holzbau, der vermutlich ein Heuschober war. Wenige Augenblicke später hatten sie den Eingang gefunden. Sie betraten die Scheune, schlossen die Tür und ließen das Gewitter draußen zurück.

Es roch nach Stroh, Pferden und feuchtem Holz. Er führte sie bis zur Mitte des Raumes, wo sich ein großer Haufen duftenden Strohs auftürmte. Sie ließ sich in das weiche Lager fallen und schlang ihre Arme um sich. Rotpelz sah, wie sie zitterte und nahm die Decke von seinem Rucksack herunter. Behutsam legte er sie ihr über die Schultern, und sie hüllte sich dankbar in den warmen Stoff.

»Hier werden wir uns erst einmal wieder aufwärmen können«, sagte der Fuchs, während er damit begann, eine Stelle des Bodens in der Nähe vom Stroh zu befreien. Darunter kam festgetrampelter Lehmboden zum Vorschein. »Sayh. Man nennt mich Rotpelz. Wie heißt du?«

»I-Ichira«, sagte sie leise, während sie den Fuchs wachsam beobachtete. »Sayh. Was machst du da?«

Der Fuchs kramte in seinen Sachen herum und förderte eine flache Metallschale zutage. »Ich werde es uns etwas gemütlicher machen. Es dauert nur einen Augenblick.« Er sammelte ein paar herumliegende Holzstücke auf und legte sie zusammen mit etwas Stroh in die Schale. Ein paar Funken von seinem Feuerstein reichten, um ein behagliches kleines Feuer zu erzeugen. Dann nahm er seinen Becher, die Wasserflasche und eines seiner Blätter heraus und bereitete etwas Tee zu. Während das Getränk sich langsam erwärmte, lehnte er sich lächelnd an einen Strohballen und genoß für einen Moment das Gefühl der sich ausbreitenden Wärme. Er blickte zu Ichira hinüber, die ihn immer noch mißtrauisch ansah.

Sie war von schlanker Gestalt, ihr Fell war fast schwarz, nur ein paar weiße Flecken zeigten sich unter ihrem Kinn und an den Spitzen ihrer Ohren. Der Rest des Pelzes war noch unter der Decke verborgen. Im Schein des kleinen Feuers schienen ihre Augen tiefgolden zu schimmern. Aber etwas an ihrer Erscheinung ließ ihn stutzen, und beinahe hätte er zu lächeln aufgehört. Durch das Haar an ihrer rechten Wange verlief eine tiefe Strieme, wo das Fell unregelmäßig nachgewachsen war, und auf ihrer Stirn war eine kieselsteingroße, nahezu kreisrunde Stelle zu sehen, an der es nur noch blanke Haut gab.

Der Tee war nun heiß genug, und er nahm den Becher vorsichtig mit der Drahtschlinge vom Feuer. Dann trug er das Gefäß zu Ichira hinüber, wobei er sorgfältig darauf achtete, nichts zu verschütten. »Hier, trink das. Es wird dich aufwärmen. Aber sei vorsichtig, es ist noch sehr heiß.«

Sie nahm den Becher und schnupperte den Dampf. Die dunstigen Wolken umspielten ihre Schnauze, während sie langsam einen Schluck nahm. »Warum tust tu das alles?« fragte sie schließlich. Ihre Stimme hatte mittlerweile wieder etwas an Kraft gewonnen. Sie klang etwas rauh und kehlig, wie es bei Katzen üblich war, aber sie hatte einen eigentümlich sanften Unterton.

»Weil ich dir helfen möchte«, entgegnete Rotpelz mit einem Schulterzucken. »Ich konnte dich doch nicht da unter dieser feuchten Brücke hocken lassen.« Er blickte ihr in die Augen und sie schaute zur Seite. »Möchtest du mir erzählen, was los ist?«

»Was soll sein?« fragte sie und nippte, ohne ihn anzusehen, von ihrem Tee.

»Nun ja. Als ich dich vorhin unter der Brücke fand, hast du mich gefragt, ob sie fort seien. Ich würde gerne wissen, wen du damit gemeint hast.«

Während er sprach bemerkte er, wie ihre Angst zurückkehrte. Ihr Körper spannte sich ein wenig, und die Augen begannen unruhig umherzuschweifen. »Sie haben mich vor zwei Nächten verfolgt«, erklärte sie schließlich leise. »Es waren häßliche, schuppige Echsenwesen. Ich bin fortgelaufen und habe sie im Wald abhängen können. Ich weiß nicht, was sie von mir wollten, aber das hier« - sie fuhr behutsam mit einer Kralle über die kaum verheilte Narbe auf ihrer Wange - »habe ich ihnen zu verdanken.«

»Du scheinst deine Spuren allerdings gut verwischt zu haben«, sagte der Fuchs. »Ich habe nirgends eine Echse entdecken können. Hier bist du in Sicherheit.«

Ichira schnaubte und zerstreute dabei die Dampfwolken vor ihrem Gesicht. »Ay, ich bin in Sicherheit. Und ein Feigling dazu.«

»Ach was«, erwiderte er sanft. »So wie ich die Sache sehe hast du einfach nur dein Leben gerettet. Was hätte es genützt, wenn du gekämpft und verloren hättest?«

Sie schüttelte betrübt den Kopf, ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Du verstehst das nicht.« Sie stellte den leeren Becher ab, zog die Decke fester um sich und schloß die Augen. Rotpelz konnte sehen, wie sie ihre Gedanken zu beherrschen versuchte. Eine Weile saß er ihr gegenüber und beobachtete sie, bis er sicher war, daß sie schlief. Dann breitete er leise seinen Umhang über einen der Ballen zum trocknen aus und legte sich auf einem Haufen duftenden Strohs ebenfalls zum Schlafen nieder.

Als Rotpelz am nächsten Morgen erwachte, herrschte ein ziemliches Durcheinander um ihn herum. Das erste was er hörte war ein lautes Fauchen, dann ein spitzer Schrei und das Knallen einer Tür. Sofort war er hellwach und kam auf die Füße. Ichira hatte die Ohren angelegt und das Fell gesträubt während sie zur Tür starrte, die sich in der leichten Brise des Morgens bewegte. Draußen konnte er einen Schatten sehen, der sich der Tür näherte. Dann schob sich ein Gesicht in die Scheune hinein, und Ichira begann leise zu knurren.

Rotpelz erkannte das Gesicht eines Hundes, etwa auf halber Höhe seines eigenen Körpers. Es war eine Halbwüchsige, vermutlich das Kind des Bauern, dem diese Scheune gehörte. »Alles in Ordnung, Ichira«, sagte er leise. »Es ist nur ein Junges.«

Die Katze blieb unruhig. Anscheinend war auch sie gerade erst erwacht und hatte sich vor der Gestalt erschreckt.

»Guten Morgen, junge Dame«, begrüßte er dann das Hundejunge. »Hab keine Angst. Wir sind nur zwei Wanderer, die gestern nacht vor dem Gewitter Schutz gesucht haben.«

Das Kind betrachtete sie mißtrauisch, öffnete dann die Tür vollständig und trat einen Schritt näher heran. Durch den Eingang strömte klares Sonnenlicht herein - von den dichten Wolken der Nacht schien nichts mehr übrig geblieben zu sein. »Ich hab keine Angst«, sagte das Kind dann. »Ich soll bloß nicht mit fremden Leuten reden. Ich hole jetzt meinen Vater.« Sie wirbelte herum und lief aus der Scheune.

Rotpelz blickte zu Ichira hinüber, die ein belustigtes Gesicht aufgesetzt hatte. Eine willkommene Abwechslung zu der niedergeschlagenen Miene, die sie gestern zur Schau gestellt hatte. Er beugte sich vor und schüttete den verkohlten Inhalt der Blechschale aus. Dann streckte er sich ausgiebig und ließ sich neben seiner Begleiterin nieder. »Wie geht es dir heute?« fragte er.

»Schon viel besser, danke. Ein trockenes Fell ist viel wert.« Sie setzte sich auf und rollte die Decke zusammen. »Danke für die hier«, sagte sie und reichte Rotpelz das Stoffbündel.

»Ay. War doch das Mindeste«, erwiderte er und nahm die Decke entgegen. Dann grinste er. »Du hast ganz schön zerzaust ausgesehen gestern nacht.«

Sie verzog das Gesicht in gespieltem Ärger. »Oh, vielen Dank für das Kompliment.« Sie nahm eine Pfote voll Stroh und warf es ihm ins Gesicht.

»He, was ...« brachte Rotpelz noch heraus, dann mußte er erst einmal die Halme aus seinem Pelz kämmen. Als er damit fertig war, blickte er ihr tief in die Augen. Das goldene Schimmern war immer noch da, eingebettet in ein Meer aus Bernstein. Die dunkle Pupille hatte sich zu einem schmalen Schlitz verengt, sie schien wie ein Riß auf der Oberfläche eines Edelsteins tief hinab zu führen. In diesem Augenblick hörte er, wie jemand die Scheune betrat. »Wir sprechen uns noch«, murmelte er grinsend, dann wandte er sich um.

»Einen guten Morgen wünsche ich«, sagte ein hochgewachsener Rüde, der in der Tür stand. Er stützte sich auf eine Mistgabel, die er in einer großen Pranke hielt. Seine Beine waren in eine kräftige lederne Hose gehüllt, und auf seinem Kopf trug er einen Hut, der ihn vor der Sonne schützte. Alles in allem sah er wie der Inbegriff eines einfachen Landwirtes aus.

Rotpelz richtete sich auf, wobei er feststellte, daß er dem anderen gerade mal bis zur Schulter reichte, und verbeugte sich höflich. »Sayh. Auch Euch einen guten Morgen«, begann er. »Ich möchte mich dafür entschuldigen, daß wir so ungefragt in Eure Scheune eingedrungen sind, aber das Unwetter der Nacht zwang uns dazu, Unterschlupf zu suchen. Mein Name ist Rotpelz, und das hier ist Ichira.« Er hoffte, daß der große Hund gut gelaunt war - er hatte seine Kraft gestern schon arg auf die Probe gestellt und war sich nicht sicher, ob er sie heute noch einmal anwenden konnte.

Zum Glück schien der Bauer aber keinen Groll zu hegen. Seine Lefzen zogen sich zu einem Grinsen zurück. »Nur keine Sorge. Die Scheune ist ja groß genug. Ich war ein wenig überrascht, als meine Kleine gerade angelaufen kam und etwas von fremden Leuten erzählte.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich wette, Ihr seid hungrig. Wie wäre es mit einem kräftigen Frühstück?«

»Oh, sehr gerne. Aber wir möchten Eure Gastfreundschaft nicht über Gebühr strapazieren.« Das Grummeln in seinem Magen strafte seine Worte Lügen.

Der große Rüde lachte. »Na denn kommt mit, Ihr seid unsere Gäste. Ich werde Euch in die Küche bringen.«

Rotpelz streckte Ichira seine Pfote entgegen und half ihr beim Aufstehen. Sie sah ihn etwas überrascht an, sagte aber nichts.

»Ach so, ja. Mein Name ist übrigens Altan«, sagte der Bauer, als er sie aus der Scheune hinaus über einen kleinen Hof führte. »Meine kleine Tochter Naki habt Ihr ja schon kennengelernt. Meine Partnerin Thera und mein Sohn warten bereits in der Küche.«

Sie betraten das Haupthaus und durchquerten einen schmalen Flur, von dem zu beiden Seiten mehrere Türen abzweigten. Eine davon stand offen, und ein verlockender Geruch nach Gebratenem ging von dem Raum dahinter aus. Bald schon standen sie in einer einfachen aber sauberen Küche. In der Mitte des Raumes hatte ein schwerer Tisch seinen Platz gefunden um den einige grob gezimmerte Stühle herumstanden. Zwei Junge hatten bereits Platz genommen; das Weibchen, das sie am Morgen geweckt hatte und ein Männchen, das offensichtlich gerade dem Welpenalter entwachsen war. An der Feuerstelle stand Thera und bereitete das Frühstück für die Familie und ihre Gäste vor. Auf dem Tisch standen bereits einfache flache Holzteller mit passendem Besteck und gefüllte Tonbecher. Altan bot ihnen ihre Plätze an.

»Ich möchte mich bei Euch für die freundliche Bewirtung bedanken«, sagte Rotpelz, als er sich setzte. »Selbstverständlich werden wir uns dafür erkenntlich zeigen.«

»Ach, laßt nur«, sagte Thera, als sie die schwere Pfanne auf den Tisch stellte. Darin brutzelte ein Gemisch aus geschnittenen Erdknollen, Zwiebeln und Eiern, das den beiden Wanderern das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. »Wir haben nur selten Besuch von Leuten außerhalb unserer Lande. Man hört ja nur sehr wenig von dem, was in der Welt so geschieht.«

Thera hatte das Essen kaum aufgetragen, als die beiden Jungen schon kräftig zulangten. Rotpelz wartete höflich, bis er an der Reihe war, und dann bediente auch er sich und seine Begleiterin. »Wenn Ihr möchtet, erzähle ich Euch von dem, was wir erlebt haben«, sagte er mit einem kurzen Seitenblick auf Ichira.

Und so berichtete er von seinen Erlebnissen auf der Reise und flocht geschickt seine Begleiterin mit in die Erzählungen ein. Ichira hörte ebenfalls gespannt zu, und er konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, daß er um eine Erklärung nicht herumkommen würde. Auch die Kleinen lauschten aufmerksam den Worten des Fuchses, auch wenn sie vermutlich nur die Hälfte von dem begriffen, was er berichtete.

»Was ist Euer Ziel, wenn ich fragen darf?« Altan beugte sich über den Tisch, als sie ihre Mahlzeit beendet hatten.

»Nun, ich für meinen Teil habe kein wirkliches Ziel-«, begann Rotpelz.

»Die nächste Stadt«, sagte Ichira fast im selben Augenblick.

Altan blickte die beiden über den Rand seines Bechers an, setzte das Getränk ab und wischte sich mit den Rücken seiner Pfote über den Mund. »Die nächste Stadt ist noch ein ganzes Stück entfernt«, sagte er dann. »Etwa zehn Meilen die Straße hinunter befindet sich nur ein kleines Dorf, doch unglücklicherweise hat es dort einen Zwischenfall gegeben.«

Rotpelz spürte, wie Ichira neben ihm zu zittern begann. »Was für ein Zwischenfall war das?« fragte er und legte seiner Begleiterin unauffällig eine beruhigende Pfote auf die Schulter.

Altan zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht genau. Es sind nur Gerüchte, nicht mehr. Wir sahen vor ein paar Tagen Flammenschein am Horizont, und dann hörten wir von schuppigen Kreaturen, die angeblich die Wälder durchstreifen sollen. Wir selber haben noch keines dieser Wesen gesehen, aber sie sollten sich besser von unserem Hof fernhalten, sonst können die was erleben.«

»Ich bin sicher, Ihr würdet Euren Hof würdig verteidigen«, sagte Rotpelz. »Doch wir müssen nun weiter. Ihr wart wirklich überaus freundlich zu uns.« Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Auch Ichira erhob sich, immer noch von einer seltsamen Unruhe erfaßt, die er nicht deuten konnte.

»Ich wünsche Euch noch weiterhin viel Glück für Eure Reise, meine Freunde«, erwiderte Altan. »Falls Ihr wieder einmal hier in diese Gegend kommen solltet, zögert nicht, uns erneut zu besuchen. Wir würden uns freuen, von Euren Erlebnissen zu hören.«

»Gewiß werden wir dies tun. Mutter Thera« - er verneigte sich in die Richtung der Bäuerin - »es war mit ein großes Vergnügen Euch und Eure Kochkunst kennengelernt zu haben. Auf Wiedersehen.«

Altan geleitete die beiden noch zur Scheune, wo sie ihre Habseligkeiten zusammensuchten und sich schließlich auf den Weg machten. Sie blickten sich noch einmal kurz zu dem kleinen Hof um. Der Bauer stand noch eine Weile da und beobachtete ihren Aufbruch. Rotpelz schauderte es bei dem Gedanken, daß die Echsen den Hof womöglich tatsächlich überfallen könnten. Trotz des mutigen Herzens des Mannes würden sie wahrscheinlich wenig Chancen gegen eine Übermacht haben.

Als sie etwa eine Meile gegangen waren, entschloß sich der Fuchs, das Schweigen zu brechen, das seit ihrem Abschied vom Hof der Hunde auf ihnen lastete. »Möchtest du mit mir darüber sprechen?«

»Worüber?« fragte sie. Ihre Stimme zitterte leicht.

»Ich meine, warum du vorhin beim Frühstück plötzlich so aufgeregt warst. Mir kam es so vor, als würde dich etwas ängstigen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist nichts. Ich bin nur wegen der Echsen ein wenig beunruhigt, das ist alles.«

»Wirklich?« Als sie nicht antwortete beschloß er, nicht weiter nachzuhaken. Irgend etwas bedrückte sie, das war offensichtlich. Aber solange sie nicht darüber sprechen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis sie dazu bereit war.

Während sie der Straße weiter nach Süden folgten, verdüsterte sich die Stimmung der Reise immer mehr. Rotpelz tat es in der Seele weh, die Katze in so trübe Gedanken versunken zu sehen. Sie brauchte etwas Ablenkung von dem, was immer sie auch momentan beschäftigte. Er blieb stehen. »Wie wäre es mit einer Rast?« fragte er.

»Jetzt? Wir sind doch gerade erst losgegangen.«

Er grinste verlegen. »Ay, du hast schon recht. Aber du mußt wissen, daß ich aus dem hohen Norden komme, und die Temperaturen hier machen mir immer noch ein wenig zu schaffen. Nur ein paar Minuten, einverstanden? Oder hast du es eilig?«

Sie zögerte ein wenig, bevor sie antwortete. »Nein, eigentlich nicht. Na gut, einverstanden. Rasten wir ein wenig.«

Sie ließen sich auf einer großen Wiese nieder und genossen die Wärme der Sonnenstrahlen. In einiger Entfernung war ein Wald zu sehen, der sich quer über den gesamten Horizont zog. Bis dahin wurde die Landschaft von ausgedehntem Grasbewuchs geprägt, über und über gesprenkelt von Blumen und Blüten verschiedenster Farben und Düfte. Rotpelz fühlte in sich und ließ seine Kraft ausströmen. Ein sanftes Tasten diesmal, nicht die abwehrende und kräftige Schlinge, die er gegen ihre Angst unter der Brücke ausgeworfen hatte.

Binnen weniger Minuten wimmelte es um ihn herum von Schmetterlingen und bunten Faltern, die sich überall auf seinen Pelz setzten und ihre Flügel in der Sommersonne ausbreiteten. Auch Ichira wurde bald darauf belagert, und sie mußte lachen, als sich eines der Tiere auf Rotpelz' Schnauze setzte und ihn zum niesen brachte.

»Wie machst du das?« fragte sie lachend. »Das müssen ja hunderte sein!«

Er grinste. »Sie sind hübsch, nicht wahr? Sie mögen uns anscheinend. Sieh nur, sie sind überhaupt nicht scheu.« Er legte sich ins Gras zurück, nahm einen der Falter auf seine Pfote und betrachtete die schimmernden dünnen Schwingen, die das Tier der Sonne entgegenstreckte.

Ichira war völlig von der schillernden Pracht der Schmetterlinge eingenommen. Ihr Lachen war ansteckend, jetzt, da sie nicht mehr von ihren düsteren Gedanken gefangen war; wären da nicht die Narben gewesen, die ihr Fell an einigen Stellen durchzogen. Wie er vermutet hatte, war ihr Pelz nahezu überall schwarz. Außer an ihrem Kinn und den Ohren hatte sie auch auf dem Bauch und an den Spitzen ihrer Hinterpfoten weiße Flecken. Ihr Schweif und ihre vorderen Tatzen waren dagegen makellos schwarz und glänzten seidig im Sonnenlicht.

Alles an ihr faszinierte den Fuchs, der gedankenverloren jede ihrer Bewegungen beobachtete. Er hatte bisher noch nie tiefere Gefühle für ein Mitglied einer anderen Spezies empfunden, doch er hatte den Verdacht, daß es diesmal soweit sein könnte.

Schließlich ließ er seine Kraft versiegen, und die Falter zerstreuten sich daraufhin wieder über die Wiese. Ichira schaute den Tieren noch eine Weile nach und ließ sich dann neben ihm ins Gras fallen. »Warum hast du den Leuten am Hof erzählt, daß wir das alles zusammen erlebt haben?« fragte sie unvermittelt. »Du kennst mich doch erst seit gestern nacht.«

Rotpelz dachte einen Augenblick über seine Antwort nach. »Ich wollte ihnen eine gute Geschichte für ihre Gastfreundschaft bieten. Und du mußt zugeben, daß es alles etwas eintönig geklungen hätte, wenn ich nur von mir gesprochen hätte.« Er wandte seinen Kopf um und blickte ihr in die Augen. »Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse.«

»Nein, bin ich nicht. Ich war nur ein wenig überrascht. Ich wußte nicht genau, ob ich dich nun korrigieren sollte oder nicht.« Sie grinste schelmisch.

»Und mich als einen Lügner hinstellen, wie?« Rotpelz grinste ebenfalls.

Sie schnaubte belustigt. »Ach was. Warum hätte ich das tun sollen? Die Leute waren sehr nett zu uns, und deine Geschichte war - nun ja, immerhin hast du mir nichts angedichtet, was ich unbedingt abstreiten müßte.« Sie wandte ihr Gesicht zum Himmel und schwieg einen Augenblick. Der nachdenkliche Ausdruck kehrte auf ihr Gesicht zurück, und Rotpelz wußte, daß die unbeschwerten Augenblicke vorüber waren. »Wir sollten weiterziehen«, sagte sie leise und richtete sich auf. »Es sei denn, du möchtest hierbleiben oder einen anderen Weg gehen.«

»Oh, ich habe kein besonderes Ziel, wie du weißt. Und wenn es dir nichts ausmacht, würde ich deinen Weg gerne teilen. So haben wir beide etwas Gesellschaft.« Der Fuchs stand nun ebenfalls auf und blickte umher. »Es ist dennoch schade, diesen friedlichen Fleck so schnell wieder zu verlassen.«

Sie lächelte. »Ich möchte dich gewiß nicht von hier vertreiben, Rotpelz.«

»Ist kein Problem«, erwiderte er. Um nichts in der Welt würde er sie jetzt alleine ziehen lassen. »Es gibt sicher noch tausende solcher Orte, die es noch zu entdecken gilt.«

Gemeinsam kehrten sie zum Weg zurück und setzten ihre Wanderung fort. Betrübt mußte Rotpelz feststellen, wie Ichiras Miene mit jedem Schritt düsterer und verschlossener wurde. Er erinnerte sich lebhaft daran, wie sie über die Schmetterlinge gelacht hatte, erinnerte sich an den beinahe kindlichen Ausdruck in ihren Augen. Was immer ihr Kummer bereitete, er würde sein bestes tun, um die Last von ihr zu nehmen.

2

Der Pfad schlängelte sich über die bunte Wiese bis hin zum Rand des Waldes, der beständig näher gerückt war. Im Schatten der dicht stehenden Bäume war die Luft etwas kühler, und Rotpelz seufzte erleichtert. Dabei stiegen ihm die verschiedensten Gerüche in die Nase, die er begierig einatmete und untersuchte. Es roch nach Farnen, nach Pilzen und verfallenen Blättern. Doch ein weiterer Geruch mischte sich unter die intensiven Düfte der Natur; fein und undifferenziert zuerst, dann aber immer stärker, je weiter sie gingen. Unauffällig warf der Fuchs einen Blick auf seine Begleiterin und erkannte, daß auch sie den ungewöhnlichen Geruch wahrgenommen hatte. Sie hatte ihren Mund leicht geöffnet und schien den Gestank - denn als solchen hatte er ihn jetzt eingestuft - zu schmecken. Er hatte diese Art der Sinneswahrnehmung schon häufiger bei Katzen gesehen, selber aber nie nachvollziehen können. »Riechst du es auch?« fragte er schließlich.

»Ay«, sagte sie, und ihre Züge verdüsterten sich noch mehr. »Der Tod liegt in der Luft.« Sie begann schneller zu gehen und schließlich zu laufen. Rotpelz hielt überrascht Schritt mit der sich anmutig bewegenden Gestalt. Obwohl sie gut einen Kopf kleiner war als er, konnte sie erstaunlich schnell sein. Gemeinsam hasteten sie weiter, duckten sich unter überhängenden Ästen hindurch und folgten den gewundenen Schleifen des Pfades. Wenig später hatten sie den Waldrand erreicht, und Ichira blieb wie angewurzelt stehen. Rotpelz lief noch ein paar Schritte weiter den Weg entlang, bis auch er verharrte und sah, was sie zum Anhalten veranlaßt hatte.

Vor ihnen fiel das Land sanft ab und bot einen weiten Blick auf die Umgebung. Am Fuße des Hügels, von dem sie nun hinabspähten, sahen sie die Ruinen eines Dorfes. Schwarze Überreste von Häusern und anderen Gebäuden hoben sich von dem saftigen Grün der Wiesen ringsum ab wie eine verfaulende Stelle in der Schale eines Apfels. Dazwischen konnten sie hier und da etwas Glitzern sehen, vermutlich zersplittertes Glas oder angelaufenes Metall. Zwar konnten sie auf diese Entfernung noch nicht allzu viel erkennen, aber das Ausmaß der Zerstörung war überdeutlich. Zwischen den verkohlten Trümmern hatte sich bisher nichts bewegt. Ichira hatte recht gehabt. Allein der Tod herrschte hier.

»Ichira? Was denkst du? Sollen wir-«

»Nein. Ich ... Wir sollten nicht dort hinuntergehen.« Auf ihrem Gesicht zeigte sich tiefe Bestürzung.

»Möglicherweise können wir herausfinden, was dort unten geschehen ist.« Er blickte auf die Überreste des Dorfes hinunter. »Vielleicht gibt es sogar noch jemanden, der unsere Hilfe braucht.«

»Ich weiß nicht«, sagte Ichira. »Ich möchte nicht dort hinuntergehen. Welchen Nutzen soll das haben?«

Rotpelz zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber schaden kann es doch auch nicht, oder? Wer weiß, vielleicht entdecken wir-«

»Bitte, Rotpelz«, unterbrach sie ihn. »Ich will dort nicht hingehen.«

Er blickte sie überrascht an, dann verstand er plötzlich. »Du kommst von hier, nicht wahr?« Sie nickte langsam, und er seufzte tief. »Das tut mir sehr leid, Ichira. Kein Wunder, daß du nicht dorthin gehen willst. Hast du gesehen, wie ...« Er wies auf das Dorf.

»Nein«, sagte sie schwach. »Ich war auf der Jagd, als der Angriff begann. Ich hörte die Schreie und den Kampfeslärm und bin zurückgelaufen. Vom Waldrand aus, ungefähr hier, wo wir jetzt stehen, habe ich dann beobachtet, wie sie unser Dorf überfallen und viele meiner Sippe verschleppt haben. Vermutlich haben sie auch einige getötet, zumindest diejenigen, die sich gegen sie wehren wollten.« Sie legte ihre Ohren an, und ihr Fell begann sich zu sträuben. »Und ich habe mich hier versteckt und zugesehen. Bis mich dann einer ihrer Späher entdeckte. Sie haben mich angegriffen; nur mit Mühe konnte ich ihnen entkommen.« Geistesabwesend fuhr sie sich mit einer Klaue über die Narbe in ihrem Gesicht. »Daß sie das Dorf niedergebrannt haben, habe ich nicht mehr gesehen. Ich bin wie ein Feigling geflohen, während viele meines Stammes dort unten ihr Leben verloren haben! AY!« Mit einem wilden Fauchen wirbelte sie herum und hieb mit ihrer Pranke nach einem Baumstamm, dessen Rinde dort zerfetzt auseinanderbrach, wo die nadelspitzen Krallen einschlugen.

»Und was hätte es ihnen genützt, wenn du dich auch hättest töten lassen?« Rotpelz machte einen Schritt auf sie zu, hielt sich aber außerhalb der Reichweite der Klauen. »Du hättest es nicht verhindern können, glaube mir. Gegen eine solche Übermacht hättest du keine Chancen gehabt.«

Als sie sich ihm wieder zuwandte, stand so tiefe Trauer in ihren Augen, daß es ihm in seinem Herzen stach. »Ich wäre vielleicht auch gestorben«, sagte sie bitter. »Aber ist es besser, mit eingeklemmtem Schwanz davonzulaufen? Besser, als für das Leben seiner Sippe zu kämpfen?«

Die erste Wut über ihre Schwäche schien verraucht, so wagte er sich wieder näher an sie heran und legte einen Arm um ihre Schulter. »Ich verstehe deinen Schmerz, auch wenn ich ihn nicht lindern kann. Doch glaube mir: Es ist keine Schande, daß du dein Leben gerettet hast. So bleibt dir noch die Möglichkeit, etwas für die Überlebenden deiner Sippe zu tun.«

»Ich habe sie gesehen, wie die Echsen sie wie Vieh vor sich hergetrieben haben. Es tat so weh, Rotpelz. Es tat so weh.« Ihre letzten Worte waren nur noch ein Flüstern.

Vorsichtig zog er sie an sich, und sie ließ sich seine Umarmung gefallen, erwiderte sie sogar. Er spürte, wie sie am ganzen Leib zitterte, während er sie in seinen Armen hielt. Ihre Krallen gruben sich mit leichtem Stechen in seine Haut, und er widerstand dem Impuls, sie fortzuwischen. Sanfte Worte der Ermutigung murmelnd hielt er ihren schlanken Körper fest. Er spürte ihr weiches Fell unter seinen Pfoten, während er ihr über den Rücken strich und wünschte sich, es gäbe glücklichere Umstände für die Nähe, die sie im Augenblick teilten.

»Es ... es tut mir leid«, murmelte sie, als sie sich schließlich von ihm löste.

Er lächelte. »Das muß es nicht. Du hast eine schwere Zeit erlebt, und ich bin froh, wenn ich dir helfen kann. Was meinst du? Sollen wir vielleicht doch ins Dorf gehen? Vielleicht finden wir etwas, das uns und deiner Sippe nützlich sein könnte.«

Sie zögerte ein wenig, bevor sie antwortete. »Ay. Ich denke, du hast recht. Es hat keinen Sinn, vor der Wahrheit davonzulaufen. Laß uns hinuntergehen.«

Den Weg den Hügel hinunter legten sie wesentlich langsamer zurück als den Rest der Strecke zuvor. Rotpelz ging dicht neben Ichira, paßte sich ihrem Tempo an, stoppte, wenn sie anhielt und ging weiter, wenn sie dazu bereit war. Offensichtlich kostete es sie einige Überwindung, sich dem grauenhaften Anblick zu stellen. Doch als sie schließlich den Rand des Trümmerfeldes erreichten, erwachte sie aus ihrer Lethargie und begann, sich genauer umzusehen.

»Das hier war die Hütte unserer Heilerin. Sie war ein sehr freundliches Weibchen. Ich hoffe, sie haben sie nicht umgebracht. Oder vielleicht sollte ich es nicht hoffen - wer weiß, was sie sonst jetzt für Qualen erdulden muß.« Mit betrübtem Gesicht sah sie sich um. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Das alles hier war einmal meine Heimat, und jetzt ist nicht mehr davon übrig als ein Haufen verkohltes Holz.« Sie bückte sich, hob eines der Trümmerteile auf und schleuderte es wütend von sich. »Warum haben diese Echsen das getan? Es gab überhaupt keinen Grund dafür! Unser Dorf war immer friedlich gewesen.«

»Möglicherweise ging es ihnen auch nicht um irgendeinen Streit. Womöglich wollen sie das Land oder den Besitz. Was auch immer ihr Motiv sein mag, sie sind offensichtlich bereit, jedes Mittel einzusetzen, um an ihr Ziel zu gelangen.«

Ichira wanderte durch die Ruinen und blieb vor einem weiteren verkohlten Haufen stehen. Dort hockte sie sich nieder und begann, die Überreste zu durchwühlen. »Es ist nichts mehr da«, sagte sie leise. »Sie haben alles mitgenommen, einfach alles.«

»Die Hütte deiner Familie?« fragte Rotpelz, und sie nickte traurig. »Nun, dann scheint es, als wären deine Leute noch am Leben. Ich glaube nicht, daß sich die Echsen damit aufgehalten hätten, sie zu ... Na ja, du weißt sicher, was ich meine.« Er kratzte sich verlegen sein Nackenfell.

»Ja, das wird wohl richtig sein«, sagte sie. »Aber das macht es auch nicht leichter, weißt du? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was nun mit ihnen geschieht. Das ist fast noch schlimmer als der Gedanke daran, daß sie tot sein könnten.« Sie verließ die Trümmer und ging zum Rande des Dorfes. Dort entdeckte sie Spuren von vielen Füßen, die das Gras aufgewühlt hatten. Der Regen hatte zwar eine Menge von ihnen verwischt, aber es war deutlich zu sehen, in welche Richtung sich die Echsen nach ihrem Angriff bewegt haben mußten. »Ich werde meine Sippe nicht ein zweites Mal im Stich lassen«, sagte sie, und jetzt war es die Entschlossenheit, die ihre Züge hart werden ließ.

»Du kannst sie aber jetzt nicht einfach so verfolgen«, gab Rotpelz zu bedenken. »Sie sind immer noch in der Überzahl, und es wäre reiner Selbstmord, ihnen nachzujagen.«

»Ich kann aber nicht einfach hier herumstehen und nichts tun«, fuhr sie ihn an. »Mein Stamm braucht Hilfe und wer weiß, wie viele andere auch. Wenn ich jetzt hierbleibe, könnte ich genausogut während ihres Angriffes gestorben sein.«

Rotpelz wußte, daß sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen würde. Zu stark waren die Gefühle, die jetzt in ihr lebten. »Wir könnten ihren Spuren folgen, aber ein Angriff wird nicht möglich sein. Wir brauchen Hilfe.«

»Wie auch immer, ich werde sie nicht einfach so davonziehen lassen.«

»Ich würde sagen, wir versuchen herauszufinden, wo sie sich versteckt halten. Wenn wir das erst einmal wissen können wir uns immer noch überlegen, wie wir ihnen einen Schlag versetzen können.« Eigentlich wollte Rotpelz so wenig wie möglich mit dieser Sache zu tun haben, aber auf diese Weise konnte er zumindest sicher sein, daß sie nicht geradewegs in ihr Unglück rannte. Was aber würde er tun, wenn sie sich schließlich doch dazu entschied, einen Angriff auf das Versteck der Echsen zu wagen?

»Ich weiß, daß du recht hast«, sagte sie schließlich, doch ihre Ohren waren angelegt. »Aber es tut so weh, verstehst du? Es schmerzt, wenn man weiß, daß man nichts unternehmen kann. Es ist einfach nicht gerecht.«

Rotpelz legte ihr behutsam einen Arm um die Taille, und sie wehrte sich nicht gegen seine Berührung. »Ich verstehe deine Gefühle. Ich glaube an deiner Stelle würde ich auch am liebsten losziehen, um diesen dreckigen, haarlosen Biestern mal kräftig in den schuppigen Hintern zu treten. Aber noch ist es nicht die Zeit dafür. Nicht, solange wir keine Hilfe haben.« Vorsichtig zog er sie an sich, und sie legte ihren Kopf an seine Brust. Er spürte ihren Herzschlag und ihren warmen Atem auf seinem Fell. »Laß uns fürs erste ihren Spuren folgen und ihr Versteck ausfindig machen, ay? Vielleicht ergibt sich bis dahin etwas.«

Sie nickte niedergeschlagen und blickte zu ihm auf - tief in seine Augen. »Danke, Rotpelz«, sagte sie.

»Wofür?«

»Dafür, daß du mich von einer ziemlichen Dummheit abgehalten hast. Ohne dich wäre ich jetzt wahrscheinlich schon-«

»Du mußt dich nicht bedanken«, unterbrach er sie mit sanfter Stimme. »Dein Leben ist zuviel wert, um einfach weggeworfen zu werden. Ich war nur derjenige, der dir das gesagt hat.«

Eine Zeitlang standen sie noch am Rande des zerstörten Dorfes. Dann wandten sie sich den Spuren zu, die sich deutlich sichtbar über die Graslandschaft zogen. Mit einem tiefen Seufzer rückte Rotpelz seinen Ranzen auf seinen Schultern zurecht und folgte Ichira, die bereits einige Schritte vorausgegangen war. Diese Katze würde ihn noch einmal in Schwierigkeiten bringen, das war offensichtlich. Er wunderte sich nur über die Tatsache, daß er das durchaus in Kauf nehmen würde.

Es bedurfte keiner besonderen Fähigkeiten, der Spur zu folgen. Sie zog sich als klare Linie über das Grasland, wo eine Vielzahl scharfer Krallen das Erdreich aufgewühlt hatte. Scheinbar waren sich die Echsen ihrer Überlegenheit sehr sicher, da sie keine Anstrengungen unternahmen, sich verborgen zu halten. Ihre Fährte führte in voller Sicht am Rande eines Waldes entlang, überquerte einen schmalen Bach und lief nahezu schnurgerade auf ein weiteres Waldstück zu. In einiger Entfernung dahinter waren die ersten Ausläufer eines Gebirges zu erkennen. Etwas abseits von ihrem Weg sahen sie einen Hof und beschlossen, die Bewohner nach den Echsen zu befragen. Doch als sie das Hauptgebäude erreichten, sahen sie die Tür lose in den Angeln hängen.

»Krallen und Zähne, hier waren sie auch schon«, fluchte Ichira und wies auf die Spuren, die den gesamten Vorplatz des Hofes überzogen. »Machen diese Mistkerle denn vor gar nichts Halt?«

»Ich frage mich, wozu sie sich mit so vielen Gefangenen belasten.« Rotpelz spähte vorsichtig um die zerstörte Tür in die sich dahinter anschließende Diele hinein. Dann zog er an der Messingklinke und zwängte sich hinein. Eine kurze Durchsuchung der Räume zeigte, daß man die Bewohner tatsächlich verschleppt hatte. Sogar die Vorräte und vermutlich auch so manchen Wertgegenstand hatten sie mitgenommen.

»Es mag seltsam sein, daß sie so viele verschleppen«, sagte Ichira, als sie den Hof verließen, um der Spur weiter zu folgen. »Aber so bleibt mir doch die Hoffnung, daß ich meine Familie eines Tages wiedersehe. Und das ist für mich das, was wirklich zählt.«

»Ich weiß«, sagte Rotpelz. »Aber merkwürdig ist es dennoch.«

Am späten Nachmittag hatten sie den Waldrand erreicht und tauchten in den Schatten der Bäume ein. Auch hier hatten die Echsen keine Anstalten gemacht, ihren Weg zu verbergen, und so kamen die beiden Verfolger zügig voran. Erst, als sich der Hunger in ihnen regte, beschlossen sie, sich einen geeigneten Rastplatz zu suchen. Kurz darauf erreichten sie den Rand eines Sees, der sich mitten im Wald befand und sich gut eine oder zwei Meilen weit erstreckte. Die untergehende Sonne warf ihre rotglühenden Strahlen auf die unruhige Wasserfläche, wo sie in alle Richtungen verteilt wurden. Hier schlugen sie ihr Lager auf, und Rotpelz bereitete seinen Bogen und ein paar Pfeile für die Jagd vor.

»Eigentlich jage ich ohne Waffen«, sagte Ichira, während sie ihm neugierig bei seiner Arbeit zusah.

»Hast du denn schon einmal mit einem Bogen geschossen?« fragte Rotpelz, eifrig damit beschäftigt, die Pfeile mit Federn zu versehen.

»Nein, bisher noch nicht. Aber ich würde es gerne einmal versuchen.«

Der Fuchs grinste fröhlich. »Ay, dann komm mit. Wir werden schon das eine oder andere Ziel finden, möchte ich wetten.« Er spannte die Bogensehne und wandte sich dann zusammen mit seiner Begleiterin dem dichten Wald zu. Leise bahnten sie sich ihren Weg durch das Unterholz, immer darauf bedacht, trockene Äste und Laub zu umgehen. Geführt von seinem gut ausgeprägten Geruchssinn und ihrem Gehör erspähten sie auch schon bald einen Hasen, der mit seinen Vorderläufen im Laub herumbuddelte. Lautlos reichte Rotpelz den Bogen an Ichira weiter und führte ihre Pfoten, als sie den Pfeil auf die Sehne legte. Sie zog den Pfeil zurück, spannte den Bogen und zielte. Rotpelz beobachtete das Spiel der Muskeln unter ihrem dunklen Fell und den konzentrierten Blick ihrer Augen, den nur eine Katze so perfekt zu zeigen vermochte. Ihre Schnurrhaare vibrierten vor Anspannung, dann sauste der Pfeil los. Der Hase hatte gerade noch die Zeit, aufzuschrecken und die Löffel hochzustellen, als er schon von dem tödlichen Geschoß getroffen wurde. Ein kurzes Quieken, ein letztes Zucken in den Hinterläufen, und dann lag er still. Rotpelz staunte: Der Pfeil hatte den Hals sauber von der einen Seite zur anderen durchschlagen. Ichira schien noch verwunderter als er selbst zu sein. Sie blickte immer wieder von dem Bogen zu ihrem Opfer hin und zurück, während ihr Schwanz nervös hin- und herzuckte.

»Guter Schuß«, sagte der Fuchs schließlich, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte, und nahm ihr den Bogen aus der Hand. »Jetzt sollten wir den kleinen Kerl da aber zubereiten, oder hast du keinen Hunger mehr?«

»Doch, natürlich«, sagte sie schließlich. »Ich bin nur ein wenig überrascht, das ist alles.« Sie ging zu dem Hasen hinüber und hob ihn an den Löffeln hoch. »Ay! Ein Prachtexemplar! Da haben wir bis morgen genug dran.«

Gemeinsam kehrten sie zu ihrem Lagerplatz zurück und bereiteten das Abendessen zu. Rotpelz sammelte trockenes Holz zusammen und entfachte ein Lagerfeuer, während sie sich mit ihrer Beute beschäftigte. Mit Hilfe ihrer Klauen trennte sie das Fell sauber vom Rest des Körpers ab und zerteilte das Fleisch in vier Portionen. Zwei davon rollte sie in das Fell ein, während sie die anderen beiden auf jeweils einen dünnen Stock spießte. Rotpelz steuerte noch ein paar Kräuter aus einem seiner Beutel bei; dann brieten sie das Fleisch über dem Feuer.

Wenig später saßen sie gesättigt nebeneinander und blickten auf das klare Wasser des Sees. Der kühle Wind half ein wenig gegen die Hitze, die am Tage geherrscht hatte, und Rotpelz genoß es sichtlich. Ichira dagegen fröstelte ein wenig und rückte näher an das Feuer heran. Die Wellen hatten sich mittlerweile gelegt, was den See nun wie einen riesigen, flüssigen Spiegel wirken ließ. Die Reflexion des Mondes und die der Sterne auf seiner Oberfläche vermittelte den Eindruck eines zweiten Himmels zu ihren Füßen.

Ichira hatte sich wieder in Rotpelz' Decke gehüllt und blickte ins Feuer. Ihre Gedanken waren erneut zu ihrer Familie zurückgewandert, wie der Fuchs vermutete. Das dunkle Gesicht verschwamm im flackernden Licht der Flammen zu einer schwarzen Fläche, die dort, wo die Schnurrhaare und ihr Pelz das Leuchten zurückwarfen, von tanzenden Funken unterbrochen wurde. Einzig ihre Augen waren stetig sichtbar und glommen wie zwei Kohlen in einem erkaltenden Becken. Darüber war ab und an ein heller Fleck sichtbar, je nachdem, wie sie ihren Kopf drehte. Erst als sie ihn anblickte und mit einer Pfote darüberfuhr bemerkte Rotpelz, daß er gestarrt hatte. »Ay! Entschuldige«, sagte er. »Ich wollte dich nicht kränken.«

»Ist schon gut«, sagte sie leise. »Es macht mir nichts aus.«

»Was ist passiert? Ich meine, auf deiner Stirn dieser Fleck. Es sieht aus, als wenn man dir dort das Fell rasiert hätte.«

Sie lächelte halbherzig. »Das ist sogar fast richtig«, sagte sie. »In unserer Sippe herrscht der Brauch, je nach Stand und Familie ein Stammeszeichen zu tragen, eingeflochten in das Fell der Stirn. Damit es besser sitzt wird vorher ein Teil des Pelzes abgeschnitten. Meines war ein grüner Stein, eingefaßt in ein Drahtgestell aus Messing. Bei meiner Auseinandersetzung mit diesen Echsen hat es eine von ihnen herausgerissen. Vermutlich dachte sie, es wäre etwas wert. Dabei findet man diese Art von Steinen fast überall in diesem Gebiet.« Sie erzählte dies mit ruhiger Stimme, aber Rotpelz fühlte ihre Anspannung. Vermutlich war sie über den Verlust dieses Kleinods stärker aufgebracht, als sie es zugeben wollte. Es wäre ihre letzte Erinnerung an das Dorf und ihren Stamm gewesen.

»Jeder von euch hat so ein Zeichen getragen?«

»Nun, jeder, der die sechste Sonne hinter sich gelassen hatte, ay«, erklärte sie. »Ich gehörte zu den Jägern, daher bekam ich einen grünen Stein. Und das Zeichen meiner Familie war der Kreis. Also wurde der Stein auch in dieser Form geschliffen. Wenn man einen Partner wählt, oder den Beruf wechselt, wird auch meist das Zeichen geändert, aber es ist nicht unbedingt notwendig. In einem solch kleinen Dorf weiß ohnehin jeder, wer und was man ist. Dennoch gilt es bei uns als ein besonderes Ereignis, wenn man sein Zeichen bekommt.«

»Ein schöner Brauch«, sagte Rotpelz. »Ich hätte zu gerne gesehen, wie der Stein zu deinem Fell paßt. Er muß wunderschön gewesen sein.«

Ichira winkte lächelnd ab. »Ein durchsichtiger, grüner Kiesel, nicht mehr«, sagte sie. Rotpelz sagte nichts, sondern sah ihr nur lächelnd in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick und schüttelte dann langsam den Kopf. Ihre Stimme wurde sanft: »Du bist schon ein merkwürdiger Fuchs.«

»Oh? Wie kommst du darauf?« Er tat entrüstet.

»Ich frage mich, warum du überhaupt mit mir ziehst. Es ist nicht deine Sippe, die in die Hände der Echsen geraten ist, und doch hilfst du mir.«

»Wie könnte ich nicht? Diese Untiere haben ein großes Unrecht begangen, da kann ich nicht einfach so wegsehen und meiner Wege ziehen. Wenn ihnen nicht jemand Einhalt gebietet, werden sie so weiter machen und noch mehr unschuldige Leute versklaven.«

Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite und lächelte. »Aber das alleine ist bestimmt nicht der Grund, ay?«

Rotpelz wandte sich verlegen ab. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich muß zugeben, daß ich auch aus einem anderen Grund mit dir Reise. Ich schätze deine Gesellschaft sehr, und ich möchte nicht, daß dir etwas zustößt.« Sein Blick wanderte zurück zu dem Schatten, der ihr Gesicht war. »Ich hoffe, das hört sich jetzt nicht zu albern an.«

»Nein, das tut es nicht. Ich mag dich nämlich auch, Rotpelz. Ich hoffe nur, daß sich unsere Wege nicht allzu bald trennen.« Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Gute Nacht, Freund Fuchs.«

»Gute Nacht, Ichira.«

Schweigend saß er am Feuer und blickte in die kleinen, tanzenden Flammen. Seine Gedanken überschlugen sich, während er über ihre Worte nachgrübelte. Sie mochte ihn, hatte sie gesagt. Aber warum fürchtete sie eine Trennung? Würde sie ihn verlassen wollen? Aber wenn sie ihn doch gern hatte - oder war es nicht das, was sie gemeint hatte? Vielleicht mochte sie ihn nur für das, was er für sie getan hatte, nicht mehr. Oder fürchtete sie sich davor, mehr zu fühlen? Während er sich diese Fragen in seinem Kopf wieder und wieder stellte, beobachtete er sie, wie sie ruhig und gleichmäßig atmete. Nun, er war sich zumindest sicher, daß er sie mehr mochte als jede andere Person, der er auf seinen Reisen bisher begegnet war. Was würde er aber tun, wenn sie seine Gefühle nicht erwiderte? Könnte er das überstehen; könnte er damit leben?

»Die Liebe ist launisch wie das Wetter«, hatte ihm sein Vater mal gesagt. »Du weißt nie, was sie als nächstes anrichten wird, wem sie Sonne und wem Regen schenkt. Der eine hört nur den fernen Donner, und der andere verspürt den Blitz.« Liebe - war es das, was er für sie empfand? Ay, er hatte den starken Verdacht, daß es genau so war.

Ichira regte sich im Schlaf und murmelte etwas Unverständliches. Ihre Lefzen zogen sich zurück und entblößten eine Reihe kräftiger Zähne. Ein tiefes Knurren drang aus ihrer Kehle, während ihre Augen hinter den geschlossenen Lidern hektisch hin- und herschossen. Die Spitzen ihrer Pfoten zuckten.

Dunkelheit, Rufe und Schreie. Flucht vor den bösartigen Kreaturen. Ihre Beine tragen sie so schnell sie können durch das widerspenstige Farnkraut, das sich mannshoch vor ihr auftürmt. Die dünnen Stengel reißen an ihrem Fell, versuchen, sie zurückzuhalten. Verbissen kämpft sie sich weiter, doch da taucht vor ihr ein Schatten auf. Mit einem Schrei schreckt sie zurück, als sie in die kalten, unbewegten Augen blickt. Nur einen Herzschlag später fühlt sie, wie starke Pranken sie von hinten packen und festhalten. Kalte Echsenschuppen pressen sich in ihren Rücken, eine Klaue erhebt sich. Sie versucht sich loszureißen, doch sie ist zu schwach. Die Klaue saust nieder, ein Reißen in ihrem Gesicht - auf ihrer Stirn. Mit Schmerzensgeheul tritt und schlägt sie nach den Angreifern, die jedoch nicht von ihr ablassen wollen. Mehr Schläge und Schmerzen prasseln auf sie nieder - der Geruch nach warmem Blut erfüllt ihre Nüstern. Kalte, durchdringende Blicke scheinen sie bis in ihre Seele zu durchbohren, und sie schreit - schreit ...

Mit einem Ruck richtete Ichira sich auf und öffnete die Augen. Ihre Krallen waren ausgefahren, und ein lautes Fauchen kam aus ihrem Mund. Rotpelz versuchte, gleichzeitig ihre Krallen von seinem Fell fernzuhalten und Ichira wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. »Ay! Ichira! Wach auf! Du träumst nur!«

Mit wildem Blick wandte sie den Kopf hin und her, ihr Fell sträubte sich, und ihre Ohren hatte sie vollständig angelegt. Doch langsam schien sie zu begreifen, wo sie war. Sie erkannte den Fuchs und legte sich wieder zurück.

»Bist du in Ordnung?« fragte Rotpelz und strich ihr behutsam über die Stirn.

Sie nickte. »Was für ein Alptraum! Ich war wieder im Wald, und die Echsen verfolgten mich. Dieses Mal gab es für mich kein Entkommen ...« Sie seufze tief. »Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.«

»Ist halb so wild«, sagte er. »Denkst du, daß du weiterschlafen kannst?«

Sie nickte. »Ay. Ich glaube schon.« Sie richtete sich halb auf und leckte ihm flüchtig mit ihrer rauhen Zunge über die Wange. Dann ließ sie sich wieder zurücksinken. »Gute Nacht.«

»Ja, schlaf gut.« Er beugte sich ein wenig zu ihr hinab, stand dann aber mit einem Ruck auf und nahm seinen Mantel aus dem Rucksack. Dann breitete er das feste Leder auf dem Boden neben ihrer Decke aus und legte sich ebenfalls nieder. Er spürte noch die kühle Feuchtigkeit auf seiner Wange, die im Kontrast zu der Wärme stand, die sich in seinem Innern auszubreiten begann. Aber trotz seiner aufgewühlten Gefühle gelang es ihm in kurzer Zeit einzuschlafen.

3

Michiki öffnete die Augen. Die Luft um ihn herum roch abgestanden, und seine Knochen schmerzten immer noch von den gestrigen Anstrengungen. Sein spartanisches Strohlager auf dem harten Steinboden hatte nicht dazu beitragen können, daß sich seine steifen Glieder erholen konnten. Aber daran hatte er sich mittlerweile schon fast gewöhnt. Die anderen schliefen zum großen Teil noch, also verhielt er sich ruhig, um die ohnehin seltene Ruhe, die sie bekommen konnten, nicht zu stören. Lautlos setzte er sich auf und drehte den Kopf auf seinem Nacken hin und her, um die Verspannungen wenigstens ansatzweise zu lösen. Sein Magen meldete sich auch schon wieder, doch das mußte warten, bis sie das nächste Mal etwas zu essen bekamen.

Ohne ein Geräusch zu machen, stand das Frettchen auf und ging zwischen den schlafenden Körpern hindurch zu dem großen Wassertrog. Er füllte sich eine Schale mit dem kühlen, abgestandenen Naß und probierte es mit flinken Bewegungen seiner Zunge. Mit einem Achselzucken entschied er, daß es trinkbar war und nahm einen tiefen Zug. Dann legte er die Schale beiseite und ging zu seinem Lager zurück, um noch ein paar Minuten zu rasten. Jeden Augenblick konnten die Wächter kommen und sie zur Arbeit schicken, da wollte er alle Zeit nutzen, um seinem Körper Ruhe zu gönnen.

Aus einer der dunklen Ecken des Raumes hörte er ein röchelndes Husten. Das war vermutlich Verrin, einer der ältesten Gefangenen in dieser Gruppe. Als Michiki hierhergekommen war, hatte der Rüde schon sehr schwach und krank ausgesehen. Er war überrascht, wieviel Kraft und Überlebenswille noch in diesen alten Knochen steckte. Doch so langsam schienen sich diese Reserven zu erschöpfen. Michiki hatte schon mehrere hier unten sterben sehen, und er fürchtete, daß Verrin der nächste sein würde.

Das Frettchen blickte sich unter den schlafenden Gefangenen um. Sie waren allesamt unterernährt und ihr Fell schmutzig und stumpf. Manche hatte die Arbeit kräftig und hart werden lassen, aber andere waren ausgezehrt und hielten sich nur noch mit Mühe und aus Angst vor dem Tod aufrecht. In diese Gruppe kamen nur die, die sich in irgendeiner Weise massiv gegen ihre Gefangenschaft aufgelehnt oder gewehrt hatten. Michiki gehörte nicht dazu, aber er wurde auch nicht für die harte Arbeit eingesetzt; ein Junges von kaum zwölf Sonnen konnte ohnehin nicht allzu schwere körperliche Aufgaben verrichten, das war sogar den Echsen bekannt. Er gehörte zu den Versorgern.

Die Ruhezeit ging viel zu schnell vorbei. Plötzlich klapperte es an der stählernen Gittertür am anderen Ende des Raumes und eine der Wachen kam herein. »Aufstehen zur Arbeit!« rief die Echse erbarmungslos laut. Dabei klopfte er mit seinem Speer auf den Schild, den er an seiner Seite trug, um die Arbeiter aufzurütteln. Einer nach dem anderen erwachten die Gefangenen und standen widerwillig auf. Der Wächter wartete, bis alle auf den Beinen waren. »In einer Reihe hintereinander aufstellen und mir folgen. Versorger!« rief er, und Michiki ging zu ihm hinüber, um seinen Platz direkt hinter ihm einzunehmen. Die anderen sammelten sich in einer ungeordneten Schlange und folgten dem Wachmann, der sie durch die Stollen zu ihrem Arbeitsplatz führte.

Als sie die große Höhle erreichten, ging Michiki sogleich zu dem Wasserkessel und begann, die beiden Eimer zu füllen, die daneben standen. Der riesige Raum wurde durch zahllose Fackeln erleuchtet, deren flackerndes Licht gespenstische Schatten an die dunklen Wände warf. Jeder der Arbeiter seiner Gruppe nahm sich eine Spitzhacke oder Schaufel von dem in der Mitte liegenden Haufen und begab sich dorthin, wo im Augenblick Erz abgebaut wurde. Andere Gruppen waren bereits hier und bedienten die Blasebälge der Schmelzöfen oder luden die fertig gegossenen Metallbarren auf Loren, die von wieder anderen fortgezogen wurden. Überall standen Echsenwachen, bewaffnet mit Speer und Schild, während an den Zugängen Boten und Läufer auf Nachrichten warteten oder bereit waren, Alarmrufe an die Soldaten außerhalb des Arbeitslagers weiterzugeben.

Michiki hatte nun seine Eimer gefüllt und hakte sie zu beiden Seiten des Tragejochs ein, das er sich dann auf die Schultern hob. Er stöhnte ein wenig unter dem Gewicht und richtete sich dann auf. Seine mißhandelten Muskeln protestierten, aber er biß die Zähne zusammen. Langsam machte er die ersten Schritte und bewegte sich voran. Es dauerte nur eine kurze Zeit, bis er sich wieder an das Gewicht der Eimer gewöhnt hatte. Mit seiner Ladung ging er nun von einer Arbeitsstelle zur nächsten und verteilte Wasser an die, die es brauchten und säuberte auch die eine oder andere Wunde. Hier und da sprach er auch einige Worte mit den Arbeitern, doch er achtete darauf, nicht zu lange an einer Stelle zu verharren. Schon zu oft hatte er deswegen gehörige Probleme mit den Wachen bekommen, und ein Schlag mit der stumpfen Seite eines Speeres war noch das Mildeste, was ihn dafür erwarten konnte.

Ab und an begegnete ihm einer der anderen Versorger, der Brot bei sich hatte. Er ließ sich ein kleines Stück geben und kaute lange auf jedem Bissen herum, während er seine Runde machte. Wie er erwartet hatte, waren seine Gefäße nach seinem Besuch bei den Schmelzern leer. So nahm er den direkten Weg zurück zum Wassertank und füllte die Eimer erneut auf. Er war gerade damit fertig geworden, als er schwere Schritte hinter sich hörte. Erschreckt wandte er sich um.

»Pack deine Eimer und komm mit«, herrschte ihn die Echsenwache an. »Es gibt etwas zu tun für dich.« Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und stapfte voraus.

Michiki beeilte sich, das Joch wieder aufzunehmen und der Echse zu folgen, die zielstrebig auf einen der Ausgänge der Höhle zuhielt. Sie gingen einen Tunnel entlang und erreichten nach kurzer Zeit eine andere Höhle, die Michiki bereits kannte. Als sie dort stehenblieben, keuchte er unter der Last des Joches und setzte die Eimer ab.

Vor sich in der Höhle sah er, was er bereits erwartet hatte. Eine Gruppe Neuankömmlinge drängte sich verängstigt und erschöpft zu einem Haufen zusammen. Es waren allesamt Katzen, vermutlich ein Stamm, dessen Dorf den Echsen zum Opfer gefallen war. Sie schienen gerade erst angekommen zu sein; die meisten von ihnen atmeten schwer, und sie trugen noch die eisernen Fußfesseln, die sie an eine lange Kette banden. Der Wächter machte eine Geste, woraufhin Michiki einen der Eimer und seine Schöpfkelle nahm und zu den Gefangenen hinüberging. »Hier ist Wasser«, sagte er immer dann, wenn er einen von ihnen erreicht hatte. »Nimm einen Schluck und verhalte dich ruhig, dann wird es für dich nicht schwerer als notwendig.« Er ging von einem zum nächsten, bis sein Eimer leer war. Dann lief er zurück, um das zweite Gefäß zu holen.

Während er nun die restlichen Gefangenen versorgte und dabei immer seinen Spruch wiederholte, fiel sein Blick auf einen der Kater. Er war ungewöhnlich groß, und sein Gesicht verriet Stolz. Auch zu ihm murmelte er seine gut gemeinten Worte, doch er erntete nur ein abfälliges Schnauben. Als er gerade weitergehen wollte, hielt der Kater ihn am Pfotengelenk fest. »Ay! Ich kann nicht bleiben«, sagte Michiki. »Die Wache wird sonst unruhig.« Er befreite sich sanft aber bestimmt und ging weiter. Dabei behielt er den großen Kater weiterhin im Auge der ihn ebenfalls beobachtete. Er war sich sicher, daß es mit dem noch Ärger geben würde - er kannte den Ausdruck in diesem Gesicht; viele von denen, die jetzt in seiner Gruppe schufteten, waren einst mit diesem Blick hierhergekommen.

»Du bist hier jetzt fertig«, sagte der Wächter und wandte sich an Michiki. »Geh zurück an deine Arbeit.«

Das Frettchen nahm sich seine Ausrüstung und verließ die Gruppe der Neuankömmlinge. Schon bald war er wieder zurück in der Arbeitshöhle, wo die ersten schon wieder nach Wasser riefen. Also füllte er von neuem seine Eimer um die durstigen Kehlen und überhitzten Körper zu versorgen.

Etwa eine oder zwei Stunden später - wer konnte in dieser Eintönigkeit die Zeit so genau bestimmen - sah er den Kater zum ersten Mal wieder. Er wurde von zwei Wachen begleitet und zu den Loren geführt. Es gab einen kurzen Austausch zwischen der Eskorte und dem Aufseher, und schließlich ließen sie ihn dort zurück. Als Michiki das nächste Mal hinsah, war er bereits damit beschäftigt, die schweren Metallbarren in die Wagen einzuladen. An seinem Gesicht konnte das Frettchen ablesen, daß er vor Wut geradezu kochte, aber glücklicherweise hielt er seine Gefühle im Zaum.

Plötzlich erschütterte eine Explosion den Raum. Von den Arbeitern der Schmelze waren Hilferufe zu vernehmen. Der gesamte hintere Bereich der Höhle war in dichte Rauchschwaden gehüllt, und die Wächter eilten bereits dorthin. Einer von ihnen packte Michiki beim Arm und schleifte ihn mit. Das Frettchen hatte Mühe, seine Last nicht fallenzulassen, hielt aber mit. Aus dem Augenwinkel sah er gerade noch, wie auch einige der Gefangenen den Weg zur Unglücksstelle einschlugen. Der Qualm hüllte sie ein, brachte ihre Augen zum Tränen und machte das Atmen mühsam. Michiki tauchte eines seiner Tücher ins Wasser und band es sich vor den Mund. Dann begann er mit den anderen die Arbeiter aus der Gefahrenzone zu bergen. Scheinbar hatte sich einer der Schmelztiegel aus der Aufhängung gelöst und war umgekippt. Der Inhalt hatte sich dann in den Ofen ergossen, der durch den Aufprall in die Luft geflogen war. Überall roch es nach verbranntem Fell, und Verletzte schrien um Hilfe.

Als das Frettchen ein weiteres Mal aus dem dunstigen Bereich heraustrat und einen Verletzten stützte sah er, wie ein paar der Arbeiter aus der Verladezone sich an der Ausrüstung für die Bergleute zu schaffen machten. Einer der Wächter wurde von hinten niedergeschlagen, während ein anderer von einer Spitzhacke getroffen zu Boden ging. Der Kater war mit bei den Aufrührern, er beugte sich über eine der hilflosen Echsen und nahm sich dessen Speer. Die Krallen der anderen Pranke waren ausgefahren, seine Ohren angelegt, und die Lefzen entblößten ein stattliches Gebiß. Wenige Sekunden später waren weitere Wachposten eingetroffen, die sich den Rebellen entgegenstellten. Wie versteinert starrte Michiki zu den Kämpfenden hinüber. Der Kater streckte zwei Wachen nieder, bevor er gepackt und zu Boden gedrückt wurde. Ein kräftiger Tritt eines beschlagenen Stiefels traf sein Gesicht, woraufhin er leblos zusammenklappte. Die anderen Aufrührer wurden schnell entwaffnet und abgeführt. Drei der Wachen blieben zurück und scharten sich um den Kater, der offensichtlich den Aufstand angezettelt hatte. Einer von ihnen griff in das Fell seiner Stirn und zog seinen Kopf nach oben - ohne eine Reaktion. Dann packten sie ihn und schleiften ihn fort.

Michiki stand immer noch unbeweglich an der Stelle, von der aus er den Kampf beobachtet hatte, als ihn eine Bewegung hinter sich aufschreckte. Er wandte sich um und sah in das verärgerte Gesicht eines der Wachposten. Seine Rüstung war rußig und hatte ihren Glanz völlig verloren.

»He, du!« rief der Wächter ihm zu. »Steh da nicht rum und gaffe, sondern besorg Wasser und Tücher, so viel du tragen kannst.«

Ohne weitere Verzögerung wandte das Frettchen sich um und lief mit einem seiner Eimer zum Wasserspeicher. Er konnte im Augenblick ohnehin nichts für den Kater tun; er hoffte nur, daß er die Behandlung überlebt hatte. Im Moment waren aber die Verletzten wichtiger. Er holte also Wasser und schnappte sich einen Stapel der schmutzigen Stoffetzen. So beladen kehrte er zur Schmelze zurück, wo mittlerweile der Dunst ein wenig durch den hohen Kamin abgezogen war.

Der Rest des Arbeitstages drehte sich für ihn nur noch um die Versorgung der Verletzten. Viele Arbeiter hatten etwas Fell eingebüßt, es gab zwei Knochenbrüche, und einer der Schmelzer war bei dem Unfall sogar gestorben. Michiki half, so gut er konnte - es kam recht häufig vor, daß sich jemand bei der Arbeit eine Verletzung zuzog, daher kannte er sich mit der Behandlung von Wunden recht gut aus, aber noch nie hatte es einen derartigen Fall gegeben. Mehr als einmal mußte er zurück, um frisches Wasser und mehr Tücher zu holen. Doch schließlich war es geschafft, und die Aufräumarbeiten konnten beginnen. Für ihn war allerdings der Tag vorbei. Er wurde zusammen mit seiner Gruppe zurück in das Quartier geführt. Dort hielten sich die meisten nicht mehr lange mit anderen Dingen auf, sondern fielen erschöpft auf ihre schmutzigen Lager, um sich für den nächsten Morgen auszuruhen. Ein weiterer harter Tag hatte hier sein Ende gefunden.

Michiki war heute weniger ausgepumpt als üblich. Er hatte genügend Zeit zum Ausruhen gefunden und war daher hellwach, als die Wächter unvermittelt die Gittertür öffneten. Im schwachen Fackelschein konnte er zwei Echsen sehen, die eine dritte Gestalt mit sich schleiften. Der reglose Körper wurde bei einem freien Lager unsanft fallengelassen, und die Wächter zogen sich wieder zurück - sie murmelten etwas in ihrer eigenen, zischelnden Sprache, was gelegentlich durch kehliges Lachen unterbrochen wurde.

Als die Echsen gegangen waren, richtete das Frettchen sich auf und blickte neugierig zu der zusammengesunkenen Gestalt hinüber. Dann stand er auf, ging zum Wassertrog und füllte die Schale. Mit vorsichtigen Schritten trug er das Wasser durch den Raum und kniete sich neben dem Körper hin. Vorsichtig setzte er die Schale ab und berührte die Schulter des Katers, den er nun erkennen konnte. Das einzige Lebenszeichen war ein leichtes Zucken, das sich durch den Körper zog. Vorsichtig führte Michiki seine Hand am Fell der Schulter entlang zum Kopf und schob sie unter das Kinn.

Plötzlich fuhr der Kater herum, packte das überraschte Frettchen und warf es zu Boden. Michiki quiekte keuchend, und seine Augen weiteten sich in Panik, als er die haßverzerrte Fratze des anderen sah. Spitze Krallen bohrten sich in seinen Hals. »Bitte nicht!« brachte er stöhnend heraus. »Ich will dir helfen! Glaube mir!«

Während der folgenden Sekunden wagte Michiki kaum zu atmen. Als der Kater dann schließlich von ihm abließ, blieb er noch einige Herzschläge liegen, bevor er sich langsam wieder aufrichtete. Da sah er, daß der Kater ihn verwirrt anstarrte. »Es tut mir leid«, sagte er mit einer tiefen, rauhen Stimme. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Schon vergessen«, sagte das Frettchen und wischte sich den gröbsten Schmutz aus dem Fell. »Ich dachte, du wärest vielleicht durstig.« Er blickte zu der Blechschale hinüber, deren Inhalt sich bei der Attacke des Katers über den Boden verteilt hatte. »Warte, ich werde dir etwas Wasser holen.« Er stand auf und ging wieder zum Wassertrog, während er sich unbewußt am Hals kratzte. Mit dem erneut gefüllten Gefäß ging er zurück und gab dem großen Kater das Wasser. Mit tiefen Schlucken leerte dieser die Schale. Michiki beobachtete ihn dabei. Sein Körper wies eine Vielzahl von frischen Wunden auf, vermutlich hatten ihn die Echsen für seinen Aufstand brutal bestraft. Sein Gesicht sah auch nicht viel besser aus; er hatte einiges an Fell verloren, und mitten auf seiner Stirn prangte eine kreisrunde, kahle Stelle. Doch dann fiel ihm ein, daß er dieses Merkmal bereits zuvor gesehen hatte.

»Danke, Freund«, sagte er und gab die Schale zurück.

»Ay.« Michiki stellte das Gefäß auf den Boden. »Keine Ursache. Sie haben dich ganz schön zugerichtet.« Der Kater knurrte nur. »Sayh. Ich bin Michiki. Wie heißt du?«

»Pcherro. Sayh.« Er legte sich zurück und verzog dabei das Gesicht vor Schmerzen. »Krallen und Zähne! Diese verfluchten Echsen haben mir alle Knochen im Leib gebrochen.«

»Ich habe leider keine Tücher hier, sonst würde ich dir jetzt einige hübsche Bandagen verpassen.« Michiki grinste. »Jedenfalls siehst du schrecklich aus.«

»Du verstehst es wirklich, einem Mut zu machen. Du kannst mir glauben: Wenn ich einen von denen zwischen die Krallen bekomme-«

»Am besten läßt du ihn dann in Frieden«, unterbrach Michiki ihn schnell. »Du hast ja erlebt, was die mit einem anstellen, wenn sie erst einmal wütend sind. Hier sitzen wir leider am kürzeren Hebel.« Das Frettchen schwieg einen Moment lang und beschloß dann, den Kater von seinen selbstmörderischen Plänen abzubringen. »Wo kommst du her?« fragte er schließlich. »Wie haben die Echsen euch erwischt?«

»Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen will«, knurrte Pcherro leise.

Michiki zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hilft es dir ja ein bißchen«, schlug er vor. »Mir geht es auch immer schlecht, wenn ich an meine Heimat denke, aber irgendwie tut es auch gut. Möchtest du es nicht doch versuchen?«

»Es ist doch egal, wo ich herkomme, oder? Wie es aussieht, werde ich sowieso in diesem Loch versauern.«

Michiki antwortete nicht. Es gab keinen Ausweg, das wußte er genauso gut wie der Kater. Aber es zuzugeben hieße, sein Leben aufzugeben. Und das wollte er nicht. Er hatte immer noch die Hoffnung, daß sich eines Tages etwas ändern würde und man sie hier herausholte. Solange wollte er sein Fell so gut wie möglich schützen.

»Ich bin in einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Schattenbach aufgewachsen«, begann Pcherro unvermittelt. »Es war nicht mehr als ein kleiner Haufen Hütten, in denen sich unser Stamm niedergelassen hatte. Wir lebten größtenteils von der Jagd und dem Handel, den wir mit den umliegenden Höfen und Dörfern trieben. Meine Familie gehörte zu den Jägern; Vater, Mutter und meine Schwester, wir alle trugen das Stammeszeichen der Jäger.« Mit diesen Worten fuhr er sich mit der Pfote über die kahle Stelle an seiner Stirn. »Sie haben sie uns abgenommen; wahrscheinlich dachten sie, daß sie einen gewissen Wert hätten. Aber sie bestehen nur aus ein bißchen Metall und einigen bunten Kieselsteinen.« Er lachte leise, als freue er sich über das Mißgeschick. »Als die Echsen dann kamen, waren wir nahezu wehrlos. Unser Stamm hat immer in Frieden gelebt und so auch nie wirkliche Waffen besessen. Natürlich haben wir uns verteidigt, und einige von uns wären auch fast entkommen. Doch schließlich haben sie alle in ihre Gewalt gebracht, oder getötet. So wie sie meine Schwester umgebracht haben.«

»Warst du dabei, als sie ...« Michiki hielt inne, weil er nicht genau wußte, wie er die Frage stellen sollte.

»Nein«, sagte Pcherro. »Aber ich bin mir sicher, daß sie es nicht überlebt hat. Ansonsten wäre sie hier mit den anderen.« Sein Gesicht verdüsterte sich zu einer trauernden Miene. »Wer weiß. Vielleicht ist es besser für sie«, flüsterte er beinahe unhörbar.

»Und wenn sie geflohen ist? Vielleicht ist sie den Echsen doch entkommen.«

Der Kater schüttelte den Kopf. »Ich hätte es auch beinahe geschafft. Bis hin zum Rand des Waldes bin ich geflohen. Dort habe ich dann ihr Stammeszeichen im Laub gefunden. Sie mußten sie also dort erwischt haben, denn so ohne weiteres kann man sein Zeichen nicht verlieren. Es wird fest in den Pelz der Stirn eingeflochten.« Er deutete mit einer Pfote auf die entsprechende Stelle. Die Ränder des Fleckes waren unregelmäßig ausgefranst. »Du kannst dir sicher vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich das Zeichen in meiner Hand hielt. Deshalb haben sie mich auch dort oben überwältigen können. Dann haben sie uns fünf Tage lang quer durch das Land getrieben, bis hierher. Und den Rest kennst du ja.«

Michiki nickte. »Du hättest die Wächter nicht angreifen sollen«, sagte er schließlich. »An den Loren wäre es dir besser ergangen. Hier wartet nur harte Arbeit auf dich.«

Pcherro zuckte mit den Schultern. »Was soll mir noch Schlimmeres passieren? Meine Sippe ist vollständig in der Gewalt der Echsen, meine geliebte Schwester lebt nicht mehr, und ich werde wohl auch bald den Weg der Ewigen Wälder gehen.«

Michiki tat es in der Seele weh, diesen kräftigen Kater so am Boden zerstört zu sehen, der vor weniger als ein paar Minuten noch voller Tatendrang gesteckt hatte. »Wenn es nach mir geht, können die Ewigen Wälder ruhig noch ein wenig auf mich warten. Irgendwann werden wir einen Weg hier hinaus finden. Auch wenn es jetzt nicht so aussieht.«

Der Kater versetzte dem kleinen Frettchen einen spielerischen Klaps mit der Pfote. »Ay! Wenn du das sagst.« Und damit zog sich ein schwaches Lächeln über seine Züge. »Aber vorher werden wir uns erst einmal ausruhen. Ich schätze, wir werden es gebrauchen können.«

Michiki nickte grinsend. »Also schlaf gut. Und denke daran, die Wächter nicht zu bedrohen. Das nächste Mal werden sie dich nicht so leicht davonkommen lassen.« Er erwiderte den jetzt wieder düsteren Blick des Katers und begab sich dann wieder zu seinem Lager zurück. Die meisten der anderen Gefangenen schliefen bereits, wie ihr regelmäßiges Atmen vermuten ließ. Das Frettchen hoffte, daß man sie nicht allzu früh wieder zur Arbeit holte.

Natürlich war diese Hoffnung nicht viel mehr als ein frommer Wunsch. Es kam ihm vor, als hätte er gerade erst die Augen geschlossen, als sie schon wieder geweckt wurden. Die morgendliche Routine begann ihren Lauf zu nehmen, wobei Michiki registrierte, daß die Wachen Pcherro nicht aus den Augen ließen. Zum Glück verhielt er sich ruhig und lieferte den Echsen keinen Grund, sich ihn erneut vorzunehmen. Bei seinem Rundgang mit den Wassereimern wechselte er einige Worte mit dem Kater, der seine Niedergeschlagenheit fürs Erste abgelegt zu haben schien.

4

Rotpelz schnupperte in der warmen Morgenluft. Die einzigen Gerüche, die seine Nase erreichten waren das Wasser des Sees, das erloschene Feuer und der Duft der Pflanzen des nahen Waldes. Nichts Beunruhigendes, entschied er und wandte sich um. Ichira schlief noch, ihr schlanker Körper lag der Länge nach ausgestreckt unter seiner Decke, die sich im Rhythmus ihrer tiefen Atemzüge hob und senkte. Ab und an regte sie sich im Schlaf; ihre anmutigen Bewegungen faszinierten Rotpelz wieder aufs Neue. Gelegentlich drang ein leises Grollen aus ihrer Kehle, doch schien sie diesmal nicht von schlimmen Träumen geplagt zu werden. Ein Blatt eines Baumes hatte sich auf ihrer Schulter niedergelassen, und der Fuchs nahm es behutsam weg. Geistesabwesend zupfte er an dem zarten Gebilde herum, während er seine Begleiterin im Licht des anbrechenden Tages betrachtete.

Seine Gedanken wanderten zurück zum letzten Abend. Unwillkürlich fuhr er sich mit einer Pfote über seine Wange. Ihm war es, als spürte er immer noch den leichten Hauch ihrer Zunge, wo sie ihn berührt hatte. Sie mochte ihn, hatte sie gesagt. Nun, er mochte sie auch, wenn man es so ausdrücken wollte. Er war sich über seine eigenen Gefühle noch nicht ganz klar geworden, doch es stand für ihn fest, daß er sie aus freien Stücken so schnell nicht wieder verlassen würde.

Er blickte auf das zerrupfte Blatt in seinen Pfoten. Seine unregelmäßige Form voller Risse und Löcher erinnerte ihn an seine eigene Gefühlswelt. Er warf das Blatt in die Asche der Feuerstelle und stand leise auf. Leichter Wind wehte vom See her um seinen Körper, während er die glatte Oberfläche betrachtete. Der Tag versprach erneut recht heiß zu werden, da die Luft sich bereits stark erwärmt hatte. Rotpelz ging ein paar Schritte und verharrte am Ufer des Sees. Das kühle Wasser umspielte angenehm seine Hinterpfoten; die Hitze des Morgens hatte es noch nicht geschafft, den See allzu sehr zu erwärmen. Kurz entschlossen spannte Rotpelz seinen Körper an und sprang.

Ichira erwachte, als ein lautes Geräusch ihre Ohren erreichte. Erschreckt richtete sie sich auf, wobei sie die Decke zur Seite schleuderte. Das Wasser des Sees in der Nähe ihres Lagerplatzes war aufgewühlt, und Rotpelz war nirgends zu sehen. Doch plötzlich tauchte sein Kopf prustend gute zehn Schritte vom Ufer im Wasser auf. »Rotpelz!« rief sie ängstlich und lief zur Wasserlinie. »Was ist passiert? Brauchst du Hilfe?« Auf ihrem Gesicht zeigte sich Besorgnis.

»Guten Morgen, Ichira! Sayh!« rief der Fuchs zurück, während er wieder in Richtung des Ufers paddelte. »Ganz und gar nicht. Es ist herrlich hier drinnen. Was ist? Kommst du auch ein wenig schwimmen?«

»Ich soll was?« fragte sie verdutzt. Es war ihr deutlich anzusehen, wie absurd sie diese Idee fand.

»Gehst du denn nie ins Wasser?« fragte Rotpelz, als er bis zu seiner Hüfte aus dem See stieg. »Um zu schwimmen, meine ich.«

»Nicht, wenn ich es vermeiden kann.« Ichira machte einen kleinen Satz rückwärts, als eine der Wellen, die der Fuchs verursachte, ihre Pfoten berührte. »Schau dich doch nur einmal an! Du bist klatschnaß.« Mit schnellen Bewegungen schleuderte sie die lästigen Tropfen aus ihrem Fell.

Rotpelz grinste. »Ay! Natürlich bin ich das. Es ist Wasser, schon vergessen?« Er watete zum Ufer und blieb schwer atmend vor ihr stehen. »Na los, komm schon. Es ist herrlich kühl.«

»Damit ich nachher so aussehe wie du? Vergiß es!« schnaubte Ichira belustigt, als sie sich den Fuchs in seinem durchweichten Fell betrachtete. »Ich werde besser das Feuer wieder in Gang bringen. Du wirst es brauchen.«

»Ich werde schon in der Sonne trocknen. Aber mach ruhig, dann können wir den Hasenbraten von gestern noch einmal warm machen.« Er machte einen Satz und landete einige Schritte weiter rücklings im Wasser.

»Igitt!« Ichira schüttelte mit dem Kopf und verzog das Gesicht, bevor sie sich der Feuerstelle zuwandte. Wenig später hatte sie die Flammen erneut angefacht. Sie versuchte, das ausgelassene Planschen des Fuchses im See zu ignorieren, während sie die beiden Fleischportionen aus dem Hasenfell wickelte und aufspießte. Dann suchte sie in Rotpelz' Beuteln nach den Teeblättern und schöpfte etwas Wasser aus dem See. Der Fuchs hatte sich indessen auf den Rücken gelegt und ließ sich treiben, so gut es ging. Spielerisch spritzte er ein paar Handvoll Wasser in die Luft, und ließ die Tropfen auf sich niederprasseln. Als er endlich aus dem See kam, waren das Fleisch und der Tee bereits fertig.

Tropfend ließ Rotpelz sich am Feuer nieder und grinste Ichira an, die ihn immer noch ungläubig anstarrte. Dann griff er nach einem der Becher und hob ihn an die Lippen. Dabei stieg ihm der Geruch des Tees in die Nase, den er erst einmal tief einatmete. »Danke für das Feuer und den Tee«, sagte er und nahm einen Schluck. »Ay! Das tut gut.«

Ichira reichte ihm einen der beiden Stäbe, auf denen das Hasenfleisch brutzelte. Rotpelz griff danach und streifte dabei das Fell ihrer Pfote. Ein warmes Kribbeln lief ihm über den Rücken, als er die unbeabsichtigte Berührung in eine schnelle Bewegung seiner Tatze umwandelte, um den Stock zu umfassen. Eine kurze Zeit lang hielten sie beide den Stab fest, und Rotpelz glaubte, sie müsse seinen Herzschlag hören können, so laut pochte es unter seinem noch immer feuchten Fell. Schließlich ließ sie los und setzte sich wieder zurück. Wenn sie in dieser Situation ebenfalls etwas gespürt hatte, zeigte es sich nicht auf ihrem Gesicht.

Der Fuchs murmelte ein »Danke« und knabberte abwesend an seiner Portion Fleisch. Dabei suchte er immer wieder ihren Blick um zu ergründen, was sie dachte. Doch das Gesicht einer Katze war so schwer zu lesen, wie das keiner anderen Rasse, und Ichira schien eine wahre Meisterin darin zu sein, ihr Inneres zu verschleiern. Er fragte sich, ob sie wußte, welche Gefühle sie ihn ihm auslöste und es sich nicht anmerken ließ, oder ob sie gar nicht mitbekam, wie verwirrt er war. So oder so blieb Rotpelz nichts anderes übrig, als die Mahlzeit - die er ohnehin nicht schmeckte - Bissen für Bissen hinunterzuschlucken und zu versuchen, das Zittern in seinen Pfoten unter Kontrolle zu bekommen.

Kaum hatten sie ihr Frühstück verspeist, begann Ichira auch schon damit, das Lager abzubrechen. Sie goß das restliche Wasser über die Feuerstelle und rollte ihre Decke zusammen, bevor Rotpelz noch richtig auf die Beine gekommen war. »Immer mit der Ruhe«, sagte er, als er sein Bündel ebenfalls packte. »Warum beeilst du dich so?«

»Wir sollten nicht zu viel Zeit vergeuden. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dadurch das Leben eines meiner Stammesmitglieder gefährdete.«

»Aber mein Fell ist noch nicht ganz trocken«, beschwerte sich der Fuchs, während er sich dennoch reisefertig machte. »Außerdem können wir diese Spur überhaupt nicht verlieren.«

Binnen weniger Minuten waren sie wieder auf dem Weg zu der Stelle, wo sie die Verfolgung abgebrochen hatten. Rotpelz hatte natürlich recht gehabt; die Fährte war so klar und deutlich wie am gestrigen Tag. So folgten sie dem frischen Trampelpfad durch den Wald, ohne noch ein weiteres Wort miteinander zu wechseln. Ichira war völlig darauf konzentriert, den Weg voraus zu suchen, während Rotpelz seinen aufgewühlten Gedanken nachhing. Einerseits genoß er es, mit ihr durch den Wald zu reisen, doch andererseits mußte er immer wieder an ihre Worte denken, deren Bedeutung er immer noch nicht zu seiner Zufriedenheit entschlüsselt hatte. Sein Blick fiel immer wieder auf den schlanken Rücken der Katze, während sie vorausging. Das Spiel der Muskeln unter dem nachtschwarzen Fell und die zuckende Bewegung ihres dünnen Schwanzes faszinierten ihn so sehr, daß er mehrmals über aus dem Boden ragende Wurzeln stolperte. Daher merkte er auch erst sehr spät, daß sie den Waldrand erreicht hatten.

Die Spur bog hier nach links ab, um weiter am Rande der Bäume entlangzuführen. Zu ihrer Rechten konnten sie offenes Feld überblicken, das am Horizont in eine weitere Hügellandschaft überging. Sie folgten weiter der Fährte, immer noch schweigend. Rotpelz dachte fieberhaft nach, worüber er mit ihr reden konnte, aber ihm fiel einfach nichts ein. Ay! Er, der redegewandte Weltenbummler, der sonst nie um einen Plausch verlegen war, hatte seine Sprache völlig verloren. Wenn ihm das jemand vor einer Woche prophezeit hätte, wäre er wahrscheinlich in Gelächter ausgebrochen. Ichira schien von dem nichts zu bemerken. Ihr Blick war immer noch starr auf die Spur voraus gerichtet, ihre Gangart eilig. Doch plötzlich blieb sie stehen und streckte einen Arm nach ihm aus. Sie bekam seine Schulter zu fassen und hielt ihn zurück. Nur einen Augenblick darauf brachen mehrere Gestalten aus dem Gebüsch zu ihrer Linken auf den Pfad hinaus.

Rotpelz und Ichira wichen einen Schritt zurück, als sich die drei Personen nebeneinander vor ihnen aufbauten. In der Mitte stand ein graupelziger Wolf, der eine gespannte Armbrust bei sich trug. Rechts von ihm wartete die schmale Gestalt eines Luchsweibchens. Sie besaß einen Bogen und hatte einen Pfeil locker auf die Sehne gelegt. Auf der anderen Seite ragte die hünenhafte Gestalt eines braunen Bären auf, der sein Schwert gezogen hatte und sie aus seinem linken Auge anblickte. Die rechte Augenhöhle war leer; eine tiefe Narbe zog sich von der Schläfe darüber hinweg quer über das ganze Gesicht bis hinab zum Hals der großen Gestalt. Als Rotpelz den Bären sah, begann er am ganzen Körper zu zittern, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er erinnerte sich an seine Jungenzeit in der Eiswüste, als solche Wesen - die allerdings weißes Fell trugen - ihm und seiner Familie nachgestellt hatten. Damals waren ihm die Bären schon gigantisch erschienen, doch verglichen mit diesem Hünen nahmen sie sich geradezu lächerlich aus.

Ichira fand ihre Sprache recht schnell wieder. Sie hatte ihre Krallen ausgefahren, die Ohren angelegt und sich zum Angriff geduckt, entspannte sich jedoch langsam wieder. »Was wollt Ihr von uns?« zischte sie leise.

Der Wolf machte seinen Begleitern ein Zeichen, und sie senkten ihre Waffen. »Sayh, Fremde. Mein Name ist Hakir. Das hier sind meine Gefährten Velena« - er deutete auf das Luchsweibchen - »und Zid. Wir hatten nicht die Absicht, Euch zu erschrecken.« Er blickte sich kurz um und deutete dann auf die aufgewühlte Erde zu seinen Füßen. »Ist das die Spur, die die Echsen hinterlassen haben?«

Ichira antwortete nicht, also ergriff Rotpelz das Wort. »Was wißt ihr von den Echsen?«

»Wir sind ihnen seit einiger Zeit auf den Fersen«, antwortete der Wolf. Mit einem kurzen Seitenblick auf Zid fuhr er fort: »Während des Gewitters der vorletzten Nacht haben wir leider ihre Fährte verloren.«

Der Bär grummelte etwas, und Rotpelz zuckte unwillkürlich zusammen. Offensichtlich gab es etwas zwischen den beiden, das Unmut erregt hatte. »Wir folgen der Spur seit kurzem«, sagte der Fuchs. »Die Echsen haben das Dorf meiner Begleiterin überfallen und geschleift. Jetzt wollen wir einen Weg finden, zurückzuschlagen. Doch wie Ihr seht« - er wies auf sich und Ichira - »sind wir nicht stark genug, um uns ihnen entgegenzustellen.« Während er sprach, ließ er Zid nicht aus den Augen.

»So scheint es, daß wir dasselbe Ziel haben«, sagte Hakir. »Ich vermute, selbst die zehnfache Menge von uns hätte in einem offenen Kampf gegen die Echsen keine Chance. Wir werden einen anderen Weg finden müssen, diese Untiere zu besiegen. Und ich glaube auch, daß wir zusammen größere Aussichten auf Erfolg hätten, als wenn wir getrennt weiterziehen würden.«

»Ihr meint, wir sollten uns Euch anschließen?« fragte Ichira. »Obwohl wir Euch erst gerade getroffen haben?« Rotpelz nickte zustimmend, immer ein Auge auf den Bären gerichtet.

»So wie Ihr suchen auch wir einen Weg, die Bedrohung von unserem Land zu nehmen und die Verschleppten wieder zurückzubringen.« Zum ersten Mal sprach Velena. Ihre Stimme war sanft und tief, mit melodischer Betonung und deutlicher Akzentuierung eines jeden Wortes. Man merkte sofort, daß sie es gewohnt war, ihre Stimme zu benutzen. »Es wäre für jeden von uns von Vorteil, wenn wir uns gegenseitig helfen würden. Wir alle haben unsere Stärken und Schwächen, um so besser also, wenn wir möglichst viele werden. So können wir unsere Stärken ergänzen und die Schwächen besser ausgleichen.« Während sie sprach, blickte sie Rotpelz und Ichira aus ihren unergründlichen grünen Augen an. In ihnen stand Klugheit und eine gewisse Wachsamkeit, die aber angesichts der Situation durchaus normal erschien.

»Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich gerne einen Augenblick mit meiner Begleiterin alleine sein«, sagte der Fuchs.

»Aber macht es kurz.« Der Wolf warf ihm einen warnenden Blick zu. »Wir werden nicht zu lange warten. Die Echsen haben ohnehin schon einen zu großen Vorsprung.«

Rotpelz nickte und deutete eine leichte Verbeugung an. Dann nahm er Ichira beiseite und ging ein paar Schritte von der Gruppe weg. Als sie außer Hörweite waren, blieb er stehen. »Was hältst du davon?« fragte er.

Ichira blickte zu den drei Gestalten zurück, die nun die Spuren am Boden untersuchten. »Ich bin mir nicht ganz sicher. Offensichtlich jagen sie denselben Feind wie wir, und jeder Gegner unserer Feinde sollte unser Verbündeter sein. Aber trotzdem erscheint mir diese Gruppe sehr merkwürdig.«

»Der gleichen Meinung bin ich auch«, erwiderte Rotpelz nachdenklich. »Diese Velena ist eine komische Person. Ich bin mir sicher, sie besitzt - du weißt schon - gewisse Kräfte. Das konnte man deutlich in ihren Augen sehen.« In Wahrheit hatte der Fuchs die Anwesenheit einer Kraft gespürt, die seiner recht ähnlich war. Aber er wollte seine Fähigkeiten noch nicht preisgeben.

»Woran erkennst du das?« Ichira schien überrascht.

»Ich habe auf meinen Reisen schon viele solcher Personen kennengelernt«, sagte der Fuchs schnell. »Irgendwann entwickelt man einen Blick dafür, weißt du?« Er schwieg einen Augenblick bedächtig. »Was sollen wir tun? Alleine weiterziehen, oder uns ihnen anschließen?«

Die Katze wandte ihren Kopf zu den drei Wanderern, die nun auch ihrerseits zurückblickten. Scheinbar wurden sie ungeduldig. »Ich denke, wir sollten uns zusammentun. Wir gehen ohnehin denselben Weg und würden zwangsläufig immer wieder aufeinander treffen. Da ist es mir lieber, ich weiß, wo sie sind. Aber irgendwie glaube ich nicht, daß sie uns schaden wollten. Dazu hätten sie schon genug Gelegenheit gehabt.«

»Das stimmt allerdings.« Rotpelz blickte zu dem hochgewachsenen Bären hinüber, dessen Gestalt ihm immer noch einen Schauer den Rücken hinunterjagte. Dann seufzte er und nickte Ichira zu. »So laß uns gehen, meine Teure«, verkündete er höfisch, machte eine einladende Handbewegung und setzte sich in Bewegung.

»Nun, wie habt Ihr Euch entschieden?« fragte Hakir, der ihre Rückkehr erwartet hatte. »Werdet Ihr mit uns reisen oder nicht?«

»Wir denken, daß Velena recht hat. Unsere Gruppen sollten ihre Stärken zusammentun. Wenn Ihr also nichts dagegen einwenden wollt, werden wir uns Euch anschließen.« Rotpelz warf einen wachsamen Blick auf Zid, der sich aber scheinbar nicht für das Gespräch interessierte.

»So sei es denn.« Der Wolf klatschte die Pfoten zusammen. »Willkommen, Wanderer.« Velena verbeugte sich leicht vor den beiden.

»Man nennt mich Rotpelz«, sagte der Fuchs, als sie die Verfolgung der Spur wieder aufnahmen. »Und das ist Ichira.«

Der Wolf nickte den beiden freundlich zu und wandte sich dann an den Fuchs. »Rotpelz? Wie kommt Ihr zu einem solchen Namen? Ich dachte, das rote Fell wäre üblich bei Eurer Rasse.«

Rotpelz seufzte belustigt. Wie oft hatte man ihm diese Frage schon gestellt? Aber da auch Ichira interessiert zu sein schien, beeilte er sich, zu antworten. »Nun ich bin nicht von der Art Fuchs, für die mich die meisten halten. Ursprünglich stamme ich aus dem hohen Norden, weit jenseits der warmen Lande hier. Dort leben auch viele meiner Art, doch tragen sie gewöhnlich ein weißes Fell, um sich in der Schneelandschaft besser verbergen zu können. Nur in den kurzen zwei Monden des Sommers schimmert dann der dunkle Pelz durch, der sich darunter verbirgt. Nun, mir hat die Natur ein rotes Fell zugedacht, das sich auch im Winter nur kaum aufhellt. Einerseits ist es recht amüsierend, der einzige rote Schneefuchs zu sein, aber andererseits bringt es eine Menge Probleme mit sich. Daher bin ich von dort fortgegangen. Hier passe ich besser hin, nur die Temperaturen machen mir ab und an noch zu schaffen.« Zur Verdeutlichung nahm er ein Büschel seines Bauchfells zwischen zwei Finger und zog leicht daran. Es war wesentlich dichter als das der übrigen Gruppenmitglieder. »Meine Familie gab mir schließlich den Namen Rotpelz. Es war wohl eher als Neckerei gedacht, aber irgendwie habe ich mich daran gewöhnt.«

»Also habt Ihr noch einen anderen Namen?« fragte Hakir.

Rotpelz nickte. »Aber es ist lange her, daß ich ihn zuletzt benutzt habe.«

»Eine schöne, und doch traurige Geschichte, Freund Fuchs«, sagte Velena. »Ich bin überrascht, daß die Natur solche Launen zeigt. Möglicherweise hält das Schicksal noch etwas Besonderes für Euch bereit.«

»Es würde mir genügen, wenn wir einen Weg fänden, die Echsen aufzuhalten.«

»Dann laßt uns zusehen, daß wir den Ursprung dieser Spuren bald herausbekommen«, sagte Hakir und deutete auf die zerwühlte Erde. »Und haltet Ausschau nach möglichen Spähern oder Hinterhalten.«

So folgten die fünf Wanderer weiter der Spur der Echsen. Die Landschaft um sie herum veränderte sich nur wenig. Offene Felder und Wiesen wechselten sich mit dichten Waldstücken ab, hier und da unterbrochen von einem kleinen Bach oder Tümpel. Gegen Mittag machten sie Rast an einer Stelle, wo die Spur auf einen schmalen Feldweg stieß und ihn überquerte. Sie aßen ein wenig von ihren Vorräten und ruhten sich in der wärmenden Sonne aus. Rotpelz legte sich auf den Rücken und genoß die sanfte Berührung des Windes auf seinem Fell. Ichira hatte es sich in seiner Nähe bequem gemacht und untersuchte den Bogen und die Pfeile, die sie von Rotpelz bekommen hatte. Vor ihnen - etwa eine halbe Meile entfernt - lag ein dichterer Wald, zu dem die Fährte zu führen schien. Hakir hatte vorgeschlagen, daß sie sich auf eine mögliche Konfrontation vorbereiten sollten, denn dort wäre es ein Leichtes, ihnen ungesehen aufzulauern.

Auch Velena und Hakir überprüften ihre Waffen, während Zid sich damit begnügte, sein Schwert ein wenig mit Öl zu bestreichen. Rotpelz hatte unterwegs einen langen Stab aufgelesen, den er während ihrer Wanderung von seiner Rinde und überstehenden Knoten befreit hatte. Mit Klingenwaffen konnte er ohnehin nicht besonders gut umgehen, und er mußte zugeben, daß Ichira die bessere Bogenschützin war. Ob sie allerdings genauso treffsicher war, wenn es tatsächlich zu einem Angriff kam, mußte sich erst noch herausstellen.

Während der Fuchs die Rast genoß, spürte er eine Bewegung neben sich und öffnete die Augen. Hakir hatte sich neben ihm im Gras niedergelassen. »Sayh, Freund Wolf«, sagte er freundlich und stützte seinen Kopf auf eine Pfote. »Habt Ihr schon beschlossen, wann wir weitergehen sollen?«

»Nein, aber lange sollten wir nicht mehr warten. Wir sind alle ausgeruht und in guter Verfassung.« In seinen Worten schwang ein Unterton mit, der Rotpelz vermuten ließ, daß Hakir sich dessen nicht völlig sicher war.

»Ihr scheint Bedenken zu haben«, sagte der Fuchs leise. »Was beunruhigt Euch?«

Hakir schnaubte leise. »Nun, es ist ein Wagnis, diesen Wald zu betreten. Immerhin sind wir nur zu fünft, und wir alle wissen, welche Übermacht die Echsen aufbringen können, wenn sie wollen. Wenn es nur einen anderen Weg gäbe, diesen Spuren nachzugehen ...« Er starrte auf seine Pfoten, die er in seinem Schoß gefaltet hatte.

»Ihr glaubt, sie haben Posten zurückgelassen, für den Fall, daß sie verfolgt werden? So überlegen, wie sich die Echsen bisher fühlen, erscheint mir das eher unwahrscheinlich. Sie werden vermutlich nicht glauben, daß es jemand wagen würde, sich an ihre Fersen zu heften. Und wenn wir sie doch treffen, werden wir kämpfen müssen.« Obwohl er nach außen hin ruhig blieb, jagte ihm dieser letzte Satz einen kalten Schauer über den Rücken. »Wir sollten das Beste hoffen.«

»Ihr sagt es.« Der Wolf seufzte tief. »Hoffnung ist es, was uns treibt. Ich habe nur die Befürchtung, daß ich dem Vertrauen, daß Velena und Zid in mich setzen, nicht gerecht werden könnte. Versteht Ihr? Ich habe sie erst dazu gebracht, daß sie sich gegen die Echsen zur Wehr setzen.« Er blickte auf, um dem Fuchs in die Augen zu sehen. »Sie folgen mir, ohne daß ich ihnen einen Halt geben könnte.«

»Wenn Ihr mich fragt, dann denke ich, daß sie im Ernstfall auch sehr gut auf sich selbst gestellt klar kommen könnten.« Er deutete auf Zid, der sich zusammengekauert hatte und wachsam umherspähte. »Wer würde es wagen, sich einem solchen Hünen entgegenzustellen?«

Der Wolf folgte dem Blick des Fuchses und lachte bitter. »Laßt Euch nur nicht von seiner Größe täuschen, Rotpelz. Zid ist in Wirklichkeit nicht gerade ein Ausbund an Mut. Ich glaube, er ist nur bei uns, weil er sonst niemanden hat, zu dem er gehen kann, nachdem seine Sippe nicht mehr existiert. Neulich nachts hat er während des Gewitters Reißaus genommen, und wir haben die halbe Nacht damit zugebracht, ihn zu finden. Bis wir ihn dann soweit hatten, daß er uns zu einem trockenen Unterschlupf folgte, waren wir bis auf die Haut durchnäßt. Bei jedem Blitz zuckte er zusammen, als wäre er ein Junges, das sich verlaufen hat. Der ewigen Hüter sei Dank haben wir uns dabei keine Erkältung eingefangen.«

Während der Wolf erzählte, wurden die Augen des Fuchses immer größer. Ein Bär, der Angst vor Gewitter hatte? Er versuchte gerade, sich diesen Gedanken bildlich vorzustellen, doch es gelang ihm nicht. »Das kann ich nur schwer glauben, Hakir.«

»Und doch ist es wahr«, entgegnete der Wolf. »Sprecht ihn aber nicht darauf an. Er reagiert sehr empfindlich, wenn man ihn an seine Schwächen erinnert.«

»Das werde ich nicht, seid beruhigt.«

Hakir lächelte. »Dann sollten wir aufbrechen. Je früher wir den Wald erreichen, desto länger werden wir das Tageslicht als Verbündeten haben.« Er stand auf und begann den Rest der Gruppe zu mobilisieren.

Wenig später waren sie wieder unterwegs, entlang der breiten Spur der Echsen und ihrer Gefangenen. Kurze Zeit darauf tauchten sie in den dichten Wald ein. Die Schneise, die ihre Vorgänger hier hinterlassen hatten, machte es ihnen recht leicht, ihrem Weg zu folgen. Rechts und links der Fährte war der Waldboden üppig mit Büschen und Farnkraut bewachsen, die ihr Vorankommen stark verlangsamt hätten. Rotpelz ging neben Ichira, die ihren Bogen schußbereit vor sich hielt. Hakir führte die Gruppe weiterhin an, während Velena an seiner Seite blieb und Zid die Nachhut bildete. Dem Fuchs war es bei dem Gedanken, daß er einen Bären mit einem Schwert direkt hinter sich hatte, überhaupt nicht behaglich zumute, aber das konnte er kaum sagen. So stapfte er weiter voran und versuchte, nicht darüber nachzudenken.

Bis zum Abend änderte sich nichts an der Szenerie. Hin und wieder fanden sie auf ihrem Weg fortgeworfene oder verlorene Gegenstände, allesamt wertloser Tand, die vermutlich von den Echsen aussortiert und zurückgelassen worden waren, um die Last zu verringern. Schließlich kamen sie überein, ihr Nachtlager aufzuschlagen. Auf der gesamten Strecke hatten sie kein Anzeichen eines möglichen Hinterhaltes oder einer Verfolgung bemerkt, daher entschieden sie sich, daß ein Feuer nicht schaden konnte. Während Ichira und Rotpelz sich um das Feuerholz kümmerten, begannen Hakir und Zid ein Scheingefecht mit Stöcken statt Schwertern. Als sie mit vollen Armen zum Lager zurückkehrten, waren die beiden gerade in einen Ringkampf verwickelt, der sehr zu Gunsten des Bären auszugehen schien. Die beiden Holzsammler luden ihre Last in der Mitte ihres Lagers ab, wo Velena bereits einen Kreis aus Steinen errichtet hatte, in dem das Feuer brennen sollte. Sie schichteten die Stöcke und Zweige zu einem ordentlichen Haufen auf, und in wenigen Augenblicken hatten sie ein gemütliches Feuer entzündet. Dann wandten sie sich wieder den beiden Kämpfern zu.

»Ich wette, Zid könnte Hakir mit einem Schlag umwerfen wenn er wollte«, sagte Rotpelz. »Er ist viel schwerer als der Wolf.«

»Es kommt nicht nur auf Gewicht und Kraft an«, entgegnete Ichira. »Es hat auch viel mit Wendigkeit und Geschwindigkeit zu tun.«

Rotpelz blickte sie an. »Das klingt, als hättest du Erfahrung darin. Ich habe gedacht, du wärst eher eine Jägerin als eine Ringerin.«

»Na ja, ich war nie besonders gut darin, aber für einen kleinen vorlauten Fuchs würde es wohl noch ausreichen.« Sie grinste, als sich seine Miene verfinsterte.

»So, glaubst du?« fragte er mit einem kecken Seitenblick. »Dann versuch's doch.« Damit versetzte er ihr einen spielerischen Stoß gegen die Schulter, der sie aber so unverhofft traf, daß sie zu Boden taumelte.

Knurrend richtete sie sich wieder auf und bürstete ein paar Blätter aus ihrem Fell an ihrer Seite. Dann sprang sie ihn mit einer so unerwartet schnellen Bewegung an, daß er nicht einmal die Zeit fand, tief Luft zu holen, um sich dem Angriff entgegenzustellen. In einem Gewirr aus Pfoten, Schweifen und Fell gingen sie zu Boden. Doch einen Moment später hatte Rotpelz sich wieder gefangen und rollte zur Seite, wobei er Ichira von sich stieß. Nur einen Herzschlag später hatte sie sich wieder mit einem Schrei auf ihn gestürzt; mit ihren Pfoten drückte sie seine Schultern zu Boden. Dies gab ihm die Gelegenheit, ihren Körper mit den Hinterpfoten anzuheben und über seinen Kopf hinweg ins Laub zu werfen. Sofort drehte er sich um.

Einen Augenblick lang belauerten sich die beiden, auf die Arme gestützt und schwer atmend. Dann sprang Ichira und riß den verdutzten Fuchs um. Noch bevor er auf diesen Angriff reagieren konnte, war sie schon wieder über ihm. Er begann zu begreifen, warum sie zu den Jägern ihres Stammes gehört hatte. Doch er war kräftiger als sie, und das kam ihm zugute, als er ihre Pfoten mit seinen ergriff und sie langsam aber beständig von sich herunterzwang. Schließlich lag er auf ihr, seine Schnauze nur wenige Haaresbreiten von ihrer entfernt. Beide keuchten laut vor Anstrengung und sahen sich in die Augen. Langsam, beinahe unbemerkt, senkte er seinen Kopf ihrem entgegen. Sein Blick war an ihren gefesselt, er witterte den Geruch ihres Fells und spürte ihren heißen Atem auf seinem Gesicht. Plötzlich bemerkte er, wie still es um ihn herum geworden war, woraufhin er seinen Kopf ruckartig zur Seite wandte. Zid und Hakir hatten ihren Kampf offensichtlich beendet und starrten nun zu ihm und Ichira herüber. Hastig zog er seinen Kopf zurück, ließ die Katze frei und stand auf, immer noch nach Luft ringend. Ichira blieb noch einen Moment liegen und blickte Rotpelz lächelnd an. Sein Herz machte einen Sprung, während ihm das Blut in den Ohren rauschte. Er zupfte sich Tannennadeln und Laub aus dem Fell und ließ sich dabei viel Zeit, um den Blicken der anderen auszuweichen.

Auch Ichira war mittlerweile aufgestanden und hatte damit begonnen, ihren Pelz zu säubern. Er spürte, wie sie sich ihm näherte und etwas aus seinem Rückenfell entfernte. Zuerst versteifte er sich ein wenig, doch dann ließ er sie gewähren, wobei er versuchte, einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Aus den Blicken der anderen entnahm er, daß ihm das nicht allzu gut gelang. »Was ist?« fragte er schließlich, nachdem er sich Ichiras Rückenpelz zuwandte. »Stimmt etwas nicht?«

»Oh, nein, ganz und gar nicht, Freund Fuchs. Es ist alles in Ordnung, wie es aussieht.« Hakir grinste breit und versetzte Zid einen leichten Rippenstoß. »Komm, laß uns jagen gehen. Wir brauchen noch etwas Fleisch für unser Abendessen.« Die beiden standen auf und verschwanden mit Hakirs Armbrust und Velenas Bogen im Wald.

Velena selbst blickte den beiden noch einen Augenblick hinterher und richtete sich ebenfalls auf. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, werde ich mich für eine Weile an einen stillen Ort begeben, um zu meditieren. Ich werde in der Nähe bleiben. Wenn etwas geschehen sollte, ruft mich einfach.« Sie streckte ihre Glieder und verließ das Lager, Rotpelz und Ichira alleine zurücklassend.

»So, ich glaube, das war es«, sagte der Fuchs, als er schließlich beim besten Willen nichts mehr fand, das er aus Ichiras Fell zupfen konnte. »Ich denke, ein Becher Tee wird uns jetzt gut tun.«

Sie wandte sich zu ihm um und lächelte. »Wenn du meinst, von mir aus.«

Rotpelz bemühte sich, seine Bewegungen unter Kontrolle zu halten, während er die Utensilien für den Tee aus seinem Beutel holte. Ichira hatte sich neben ihn gesetzt und beobachtete ihn dabei, was ihn noch nervöser machte.

Als schließlich der kleine Topf auf dem Feuer stand und das Wasser sich langsam erhitzte, spürte er eine Bewegung neben sich. Er hielt in seiner Arbeit inne und schielte zur Seite. Ichira war ein wenig näher herangerückt und betrachtete ihn aus ihren großen Augen. Er wandte sich ihr zu und war erneut von ihrem Blick gefangen. Langsam hob sie ihre Arme und legte ihre Pfoten auf seine Schultern. Zuerst wehrte er sich gegen den sanften Druck, doch dann ließ er sich auf den Rücken sinken, während die Katze über ihm blieb. »Ichira-« begann er.

»Schscht«, säuselte sie leise und schüttelte ihren Kopf. Sanft fuhr sie ihm mit einer Pfote über die Seite seiner Schnauze und durch das längere Fell an den Wangen. Langsam ließ sie ihren Kopf sinken und leckte ihm über die Stirn.

Rotpelz sog den angenehmen Geruch ihres Fells ein und schloß die Augen. Seine Arme umschlangen ihren Körper, und vorsichtig strich er ihr mit den Pfoten über den Rücken. Sie genoß dies spürbar und schmiegte sich an ihn. Von dort, wo ihr Fell seines berührte, breitete sich ein wohliger Schauer durch seinen Körper aus. Er ließ seine Pfoten weiter über ihren Rücken gleiten, wagte sich dabei nach und nach tiefer hinab, bis er die Wurzel ihres Schwanzes erreicht hatte. Zärtlich strich er ihr über das Fell und genoß ihre Wärme auf seinem Leib. Dieser schlanke Körper in seinen Armen bedeutete in diesem Augenblick die ganze Welt für ihn, nahm mit seiner Wärme und seinen wiegenden Bewegungen sein gesamtes Denken und Handeln in Beschlag.

Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust und leckte ihm durch den Pelz. Ein tiefes Grollen der Leidenschaft kam aus ihrer Kehle, und ihr Atem ging schneller. Sanft senkte sie ihre Zähne in sein Fell, vor Lust knurrend. Mit halb ausgefahrenen Krallen durchdrang sie den Pelz auf seinen Schultern, bis sie die darunterliegende Haut erreichten. Auch Rotpelz' Erregung stieg an, er spürte, wie sein Körper auf die Zärtlichkeiten Ichiras reagierte. Als er die leichten Stiche ihrer Klauen in seinem Fleisch spürte entfuhr ihm ein Stöhnen, und er zog sie noch fester an sich. Ihr warmer Atem streichelte sein Brustfell, und der Griff an seinen Schultern verstärkte sich. Die sanften Schmerzen, die von den fünf winzigen Punkten seitlich seines Kopfes ausgingen, mischten sich mit dem Wohlgefühl ihrer Bewegungen; bittersüß. Mit seiner Zunge fuhr er über das weiche Fell ihres Kopfes, schließlich über ihre Brust, als sie sich aufrichtete. Für einen Moment öffnete er die Augen und sah ihren Blick den seinen suchen. Behutsam ließ er seine Pfoten wieder ihren Rücken hinaufgleiten, liebkoste kurz ihre Seiten und strich dann mit ihnen über das Fell ihrer Brust.

Ichira spürte, wie der Fuchs unter ihr vor Erregung zitterte, während sie selber ein ähnliches Gefühl durchlebte. Als sie wahrnahm, daß sich etwas unter ihr regte, sog sie zischend die Luft durch ihre Zähne ein und hob ihr Hinterteil ein Stück an, um ihm den Zugang zu erleichtern. Mit einer vorsichtigen Bewegung einer Pfote führte sie ihn, bis er sein Ziel schließlich erreicht hatte. Ein weiteres Mal atmete sie durch geschlossene Kiefer ein, ließ sich vorsichtig wieder zurücksinken und schloß die Augen. Ein langgezogener Seufzer kam aus ihrem Mund, als sie in eine gleichmäßige, rhythmische Bewegung verfielen. Fell rieb gegen Fell, Fleisch gegen Fleisch, während sie sich gegenseitig einem gemeinsamen Ziel näherbrachten.

Ichira ließ einen langgezogenen Schrei aus ihrer Kehle entweichen. Im selben Augenblick entfuhr auch Rotpelz ein Jaulen der Leidenschaft. Heiße Wellen erregten Blutes durchströmte ihre Adern, als der Sturm in ihnen langsam zur Ruhe kam. Erschöpft ließ sie sich auf seinen Körper sinken, und er schlang seine Arme um sie, als wäre sie der größte Schatz auf der Welt. Zärtlich, fast vorsichtig leckte er ihr das Kopffell, während sie ihre Wange an seiner Brust rieb. Sanft zog er sich aus ihr zurück, und sie änderte ihre Position leicht, um ihm mit ihrer Zunge durch das Gesicht fahren zu können. Er genoß das rauhe, feuchte Schaben und streichelte währenddessen ihren Rücken, erforschte die Muskeln und Knochen, die sich unter dem dichten Fell verbargen.

Velena kehrte als erste wieder zum Lager zurück. Ichira und Rotpelz lagen eng umschlungen in der Nähe des Feuers und schliefen tief und fest. Die Luchsin lächelte, als sie den mittlerweile leeren Topf über den Flammen hängen sah und den unverwechselbaren Geruch in der Luft wahrnahm. Sie nahm den Blechbehälter heraus, stellte ihn an die Seite und ließ sich ebenfalls nieder, um auf den Rest der Gruppe zu warten. Sie hoffte, die Jagd war erfolgreich verlaufen, denn die beiden Schlafenden würden großen Hunger haben, wenn sie erwachten.

5

Michiki nieste ein weiteres Mal. Der feine Sandstaub setzte sich immer wieder in seinen Nüstern fest und machte ihm die ohnehin schon mühsame Atmung noch schwerer. Der Arbeiter neben ihm hatte gerade einen tiefen Zug aus der Wasserkelle genommen und leckte sich die Lefzen, während das Frettchen zum nächsten weiterging. Seit dem Unfall an der Schmelze ruhten viele der anderen Arbeiten, da man die Gefangenen von ihren Stellen abgezogen hatte, um sie so schnell wie möglich wieder einsatzbereit zu bekommen. Lediglich der Erzabbau ging unvermindert weiter.

Michiki blickte zu den Arbeitern mit ihren Hacken und Schaufeln hinüber. Gerade eben war ein Ruf von dort zu vernehmen. Eine der Echsenwachen stand dort und trat auf ein am Boden liegendes Bündel ein. Neugierig verließ das Frettchen seinen Platz und ging scheinbar zufällig näher heran. Das Bündel war der Körper eines der Arbeiter, der auf dem Boden lag und sich nicht regte. Dann beugte sich die Echse hinab, ihren Speer wachsam vor sich haltend. Jetzt konnte Michiki sehen, wer dort lag.

Verrin atmete nur noch in schwachen Stößen. Seine Augen waren geschlossen und Speichel rann ihm aus dem Maul, der bereits eine kleine Pfütze auf dem schmutzigen Boden gebildet hatte. »Los, steh auf!« rief die Echsenwache wieder und wollte erneut zutreten, als ein großer, pelziger Körper sie zur Seite stieß. Michiki schüttelte entsetzt den Kopf, als er Pcherro erkannte, der jetzt mit angelegten Ohren, ausgefahrenen Krallen und buschigem Schweif zwischen Verrin und der Echse stand.

»Laßt ihn in Frieden!« knurrte er. »Ihr seht doch, daß er nicht aufstehen kann.«

Der Wächter zischte. »Du suchst wieder Ärger, wie es scheint. Was geht dich das überhaupt an?« Er richtete die Spitze seines Speers auf Pcherros Brust. »Mach Platz, Fellball, oder ich durchlöchere dir deinen Pelz.«

Michiki atmete erleichtert auf, als der Kater knurrend zurückwich. Die Echse behielt ihn im Auge, als sie sich neben dem reglosen Körper hinkniete. Inzwischen hatte Verrin aufgehört zu atmen. »Versorger!« rief der Wächter und blickte sich um. Zuerst schien er überrascht, daß Michiki bereits dort war, dann winkte er ihn zu sich heran. »Gib ihm Wasser.«

Das Frettchen ließ sich ebenfalls neben Verrin nieder und benetzte die Schnauze des Hundes. Dann schüttelte er ihn leicht und sprach seinen Namen, doch auch das war vergeblich. Verrin war tot.

Mittlerweile hatten sich einige der übrigen Arbeiter um die Stelle geschart, an der der Rüde gestorben war und betrachteten die Tragödie mit niedergeschlagenen Blicken. Dann stand der Wächter mit einem Ruck auf und scheuchte sie an ihre Arbeit zurück. Pcherro und Michiki wies er allerdings an. Den Leichnam aufzunehmen und ihm zu folgen. Der Kater und das Frettchen stellten ihr Arbeitsgerät ab und hoben Verrins toten Körper vom Boden auf.

Die Echse führte sie quer durch die Arbeitshöhle zu einem der Ausgänge, die sie unter normalen Umständen nie betreten durften. Dort schlossen sich ihnen zwei weitere Wachen an. Sie gingen durch einen schmalen Tunnel und bogen in verschiedene Seitenwege ab, bis sie schließlich eine weitere Höhle erreichten. Der Geruch nach Tod und Verwesung war hier allgegenwärtig. Nur wenige Fackeln brannten hier, doch für Pcherro war es hell genug um zu erkennen, was sich in der Höhle befand.

Von der hinteren Wand bis zur Mitte des Raumes war der Boden mit toten Leibern bedeckt. Einige von ihnen waren noch recht gut erhalten, andere lagen offensichtlich schon länger hier. Ratten tummelten sich zuhauf zwischen den Körpern, überall war das Rascheln ihrer nackten Pfoten zu hören und das Knabbern, während sie ihren Hunger stillten. Von irgendwoher drang das leise Plätschern von Wasser zu ihnen herüber.

Der Echsenwächter deutete ihnen, Verrin hier abzuladen. Widerstrebend gehorchten die beiden dem Befehl. Es erschien Michiki würdelos, den alten Rüden hier einfach so liegenzulassen, wo die Ratten an seinem Körper fressen würden. Er hätte ein besseres Grab verdient. Vermutlich galt das ebenso für alle anderen, die hier lagen. Niemand verdiente es, einfach so weggeworfen zu werden.

Nachdem sie den Leichnam abgelegt hatten trieb der Wachmann die beiden bereits wieder zurück zur Arbeit. Michiki erkannte tiefsten Haß in Pcherros Blick, aber der Kater beherrschte sich, so daß es zu keinem weiteren Zwischenfall kam. Das Frettchen nahm seine Eimer wieder auf und setzte seinen Rundgang durch die Höhle fort.

An diesem Abend - eigentlich wußte niemand so genau, ob es tatsächlich abend war, es war eher das Ende eines Arbeitstages - herrschte noch tiefere Stille als üblich in der Schlafhöhle. Die Gefangenen trauerten schweigend um einen ihrer Kameraden, der die Strapazen der Zwangsarbeit nicht überstanden hatte. Dieser Vorfall machte allen wieder bewußt, wie aussichtslos ihre Lage war. Und viele verspürten in sich die gleiche Wut über ihre Hilflosigkeit, die auch in Pcherro und Michiki brodelte. Sie wußten genau, daß sie für die Echsen nicht mehr als Arbeitssklaven waren, die man nach Belieben ausbeuten konnte; die Gefühle oder Schmerzen, die sie verspürten, kümmerten sie nicht.

Michiki saß neben Pcherro auf der alten, zerschlissenen Decke und hing seinen düsteren Gedanken nach. Der Kater hatte sich ausgestreckt und schien zu ruhen, doch die Art, wie er regungslos an die Decke starrte, zeugte von den aufgewühlten Gefühlen, die im Augenblick sein Denken beherrschten. Seit sie Verrin in die Leichenhöhle gebracht hatten, war kein einziges Wort mehr über Pcherros Lippen gekommen, soweit er gesehen hatte. Michiki beschloß, den Kater zumindest ein wenig abzulenken.

»Deine Schwester, was ist sie für eine Person?«

Pcherro antwortete nicht. Sein Blick verharrte weiterhin auf einem unbestimmten Punkt an der steinernen Decke.

»Ich hatte nie Geschwister«, fuhr Michiki fort, als ob er das Schweigen des Katers nicht bemerken würde. »Oder zumindest weiß ich nichts von ihnen. Meine Eltern habe ich ja auch nie kennengelernt. Ich bin in Westhafen aufgewachsen. Ich weiß nicht, ob du diese Stadt kennst. Sie liegt weiter im Süden an der Küste zum großen Meer. Es ist eine sehr große Stadt, mit vielen Häusern und schmalen Gassen. Dort habe ich einen großen Teil meiner Kindheit verbracht.« Michiki mußte grinsen als er daran dachte, daß er ja eigentlich immer noch ein Junges war. »Eine alte Händlerin hat mich damals aufgezogen und zum Betteln auf die Straße geschickt. Sie war eine strenge Frau, nur selten habe ich ihr Dachsgesicht einmal lächeln sehen. Vor einem Jahr bin ich dann aus der Stadt abgehauen, weil ich die Nase voll davon hatte, mich wie ein Stück Dreck behandeln zu lassen. Ich glaube, wenn ich Eltern oder zumindest einen Bruder oder eine Schwester gehabt hätte, wäre ich jetzt nicht hier gelandet.«

Einen Augenblick lang war es still, nachdem Michiki seine Erzählung zuende gebracht hatte. Dann begann Pcherro zu sprechen, so leise zuerst, daß das Frettchen seine Worte beinahe nicht verstanden hätte: »Was nützt einem die Familie oder ein ganzer Stamm, wenn man einer Übermacht nicht gewachsen ist? Man denkt nur immerzu an die, denen man nicht mehr helfen kann. Du selbst brauchst dich nur um dein eigenes Fell zu sorgen.« Pcherro schloß die Augen und atmete tief durch, bevor er wieder an die Decke starrte, als wollte er die Bilder aus seiner Vergangenheit dort zum Leben erwachen lassen. »Meine Schwester war stark, liebenswert und geschickt. Wie ich dir bereits erzählt habe, waren wir Jäger, und sie war die beste von uns allen. Es gab nie einen Tag, an dem sie ohne Beute heimkehrte. Meist brachte sie genug mit zurück, daß wir und mehrere andere Familien davon satt werden konnten. Sie ist etwa zwei Sommer jünger als ich, mußt du wissen. Ich habe zusammen mit ihr das Jagen von unserem Vater erlernt, doch sie war immer die bessere von uns beiden gewesen. Manchmal habe ich mich darüber geärgert und versucht, genauso gut zu werden, wie sie, doch es ist mir nie gelungen. Aber sie wurde nie hochmütig gegenüber denen, die weniger Jagdgeschick besaßen, und deswegen fiel es mir nicht besonders schwer, ihre Überlegenheit anzuerkennen. Wenn wir zusammen auf die Jagd gingen ...« Der Kater brach ab und schloß erneut seine Augen. Der Schmerz über seinen Verlust zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab.

Michiki legte dem Kater eine Pfote auf die Schulter. Es war ihm nicht entgangen, daß er die ganze Zeit über in der Vergangenheit über seine Schwester gesprochen hatte. »Ich hoffe, ich werde sie noch einmal kennenlernen.«

»Du glaubst also immer noch, daß sie lebt?« Pcherro blickte ihn zum ersten Mal an diesem Abend wirklich an. »Ay! Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht.«

»So leicht gebe ich die Hoffnung nicht auf, Freund Pcherro«, grinste das Frettchen. »Aber sag: Haben sie wirklich euren ganzen Stamm mit hierhergebracht?«

Der Kater nickte. »Weibchen, Männchen, Junge ... alle. Es wurde niemand zurückgelassen. Dabei fällt mir ein: Ich habe in der ganzen Zeit keine der Jungen gesehen. Was hat man mit ihnen gemacht?«

Michiki überlegte. »Jetzt wo du es sagst ... Ich kenne außer mir und den anderen beiden Versorgern auch keine Jungen in diesem Bereich. Aber sei unbesorgt, sie haben sie bestimmt nur woanders hingebracht.«

Pcherro richtete sich unvermittelt auf. »Wenn sie ihnen auch nur ein Haar gekrümmt haben, werde ich-«

»He, langsam, Freund!« warnte Michiki. »Denk an die Wachen. Ich glaube, daß sie große Freude daran hätten, dir noch einmal wegen einer Unbeherrschtheit eine Lehre zu erteilen. Es geht ihnen sicherlich gut. Zumindest habe ich in der Leichenhöhle keine Jungen sehen können.«

»Ich schwöre dir: Diese Dreckskerle werden noch bereuen, was sie uns angetan haben«, knurrte Pcherro.

»Das hoffe ich auch, aber nicht jetzt. Wir sollten uns besser ausruhen, sonst wird der nächste Tag nur noch schwerer für uns.«

Pcherro nickte und legte sich wieder zurück. Für einen Augenblick dachte er darüber nach, warum er sich von einem halbwüchsigen Frettchen herumkommandieren ließ, aber dann entschied er, daß der kleine Kerl durchaus recht hatte. »Dann schlaf gut, Michiki. Wir werden ihnen schon zeigen, daß wir uns nicht so einfach unterkriegen lassen, ay?«

Mit dem Rasseln des Stahlschlosses und dem Schlagen von Speer auf Schild begann für die Arbeiter unsanft der nächste Morgen. Wie schon an den Tagen zuvor wurden sie in einer Reihe durch die Tunnel zur Arbeitshöhle geführt. Jeder wußte, was er zu tun hatte, und so nahm die Routine ihren Lauf. Michiki und die anderen Versorger brachten den Arbeitern Wasser, Brot und Tücher, die neue Schmelze begann, Gestalt anzunehmen, und die Wachen beaufsichtigten die Gefangenen. Der Tag zog sich ohne nennenswerte Zwischenfälle dahin, bis die erschöpften Arbeiter zurück in ihre Quartiere gebracht wurden. Dort fielen die meisten gleich in einen wenig erholsamen Schlaf der Erschöpfung, aus dem sie am nächsten Tag wieder erbarmungslos geweckt wurden.

Während der Arbeitszeit beobachtete Michiki seinen neu gewonnenen Freund. Offensichtlich schien er sich endlich seinem Schicksal gefügt zu haben - zumindest hatte er seit Verrins Tod keine weiteren Feindseligkeiten den Echsen gegenüber gezeigt. Das Frettchen hoffte nur, daß er nicht irgend etwas in sich aufstaute, das zu einem ungünstigen Zeitpunkt aus ihm herausbrechen würde. Wann immer er konnte wechselte er ein paar Worte mit dem großen Kater, um etwas über seine momentane Stimmung zu erfahren. Doch auch aus diesen Gesprächen ging keinerlei Ansatzpunkt hervor. Irgendwie machte ihn das nervöser, als wenn Pcherro offenen Haß gezeigt hätte.

Michiki wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er den Ruf einer Echsenwache vernahm: »Versorger!« Das Frettchen blickte sich um und entdeckte den Wächter, der ihn zu sich heranwinkte. Er stand neben einem der Arbeiter, die das Gerüst für die Schmelze errichteten. Der Fuchs an seiner Seite hielt sich nur mühsam aufrecht, und es schien, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. Michiki eilte durch die Höhle und erreichte wenig später den Wächter und den Gefangenen.

»Gib ihm Wasser, und versorge seine Wunden. Einer der Stützbalken hat sich gelöst und ihn am Bein erwischt.« Die Echse wartete einen Augenblick, bis das Frettchen die Eimer abgestellt hatte und ging dann wieder auf seinen Posten, an den Rand der Baustelle.

Michiki reichte dem Fuchs die Schöpfkelle und wandte sich seinen Verletzungen zu. Mit geschickten Bewegungen säuberte er den blutenden Schnitt und verband ihn schließlich mit einem seiner Tücher. Das würde zwar die Heilung nicht beschleunigen aber immerhin verhindern, daß noch mehr Schmutz in die Wunde geriet.

Er wollte gerade sein Tragejoch wieder aufnehmen, als er ein lautes Krachen hörte, gefolgt von einem Schrei: »Vorsicht!« Blitzschnell blickte er sich um und sah, wie ein Teil des Gerüstes nur wenige Schritte von ihm entfernt in sich zusammenfiel. Staub wirbelte auf und hüllte die Umgebung kurzfristig in eine dichte Wolke.

Als er wieder sehen konnte, bahnte Michiki sich seinen Weg durch die Trümmer, um den übrigen Arbeitern zu helfen, die schweren Balken beiseitezuräumen. Durch den Lärm waren zwei weitere Echsen angelockt worden, die nun ebenfalls mit anpackten. Michiki konnte sich ein unterdrücktes Grinsen nicht verkneifen, als er sah, daß der Echsenwächter, der ihn vorhin zu sich gerufen hatte, von den Trümmern verschüttet worden war. Offensichtlich hatte einer der Balken ihn am Kopf erwischt und bewußtlos geschlagen, denn sein Helm hatte eine tiefe Delle davongetragen. Ansonsten fehlte der Echse anscheinend nichts, und so trugen die beiden anderen ihren Kameraden aus dem Trümmerfeld hinaus.

Während Michiki den Wächtern hinterherblickte, sah er aus dem Augenwinkel etwas Glitzern. Unauffällig näherte er sich der Stelle und ließ dort wie zufällig eines seiner Tücher darauf fallen. Als er es aufhob, fühlte er etwas Schweres in seiner Pfote, das er schnell in einem der Eimer verschwinden ließ, die er am Rande der Baustelle abgestellt hatte. Sein Herz pochte wild, während er versuchte, nach außen hin unauffällig zu wirken. Glücklicherweise hatten die Echsen genug damit zu tun, die Aufräumarbeiten zu überwachen, so daß sie ihm nur wenig Beachtung schenkten. Trotzdem ließ ihn die Nervosität nicht los, bis sie schließlich wieder in ihr Quartier gebracht wurden. Zu seiner Erleichterung schien es niemand für ungewöhnlich zu halten, daß er eines der Tücher mit in das Schlaflager nahm.

Nachdem die Wache gegangen war, saß Michiki in der Dunkelheit und versuchte, sich unter Kontrolle zu halten, um diese neu eröffnete Chance nicht durch eine unüberlegte Handlung zunichte zu machen. Er wartete etwa eine Stunde, bevor er sich leise zu Pcherros Lager schlich. Dort ließ er sich neben dem schlafenden Kater nieder und rüttelte ihn sanft an der Schulter. »Wach auf, Pcherro«, flüsterte er.

Wenige Augenblicke später öffnete der Kater die Augen. »Was ist los? Warum störst du mich?« brummte er verstimmt.

»Tut mir leid«, erwiderte Michiki leise. »Aber ich glaube, daß dich das hier interessieren wird.« Er wartete, bis Pcherro richtig wach war und sich aufgesetzt hatte. »Das hier habe ich vorhin bei der Schmelze gefunden, als das Gerüst eingestürzt ist. Die Echse muß es verloren haben.« Mit diesen Worten legte er das Stoffbündel zwischen sich und seinen Freund auf die Decke und begann, es feierlich auszurollen.

»Krallen und Zähne!« entfuhr es Pcherro, als er den schweren Schlüsselbund sah. »Und ob mich das interessiert!« Langsam hob er den Ring auf, der leise klimperte. Vier schwere Eisenschlüssel hingen daran, von denen einer vermutlich in das Schloß der Stahltür des Quartiers paßte. »Weißt du, was das bedeutet, Freund Frettchen?«

»Freiheit?« schlug Michiki vor und grinste.

Pcherro nickte nachdenklich. »So etwas in der Art. Ich frage mich nur, wie wir an den Wächtern vorbeikommen sollen, wenn wir erst einmal draußen sind. Der Hauptausgang wird wahrscheinlich streng bewacht werden.«

»Dann müssen wir einen anderen Weg finden. Ein Höhlensystem wie dieses hat ganz sicher mehr als einen Zugang. Wir müssen ihn nur finden.«

»Ja, aber ich fürchte, dazu fehlt uns die Zeit.«

Einige Minuten lang lagen sie sich schweigend gegenüber und dachten über ihre neue Situation nach. Pcherro starrte wie hypnotisiert auf den Schlüsselring in seiner Pfote, als wäre er ein wertvolles Juwel aus der Sammlung eines Steinschleifers. Dann legte er ihn wieder auf die Decke zurück. »Was ist mit dem Kamin der Schmelze? Führt der nicht bis nach draußen?«

»Schon, aber der ist zu steil, das schaffen wir niemals ohne Ausrüstung.«

»Vermutlich nicht, das stimmt.« Der Kater dachte einen weiteren Augenblick nach. »Was ist mit dem Wasser? Woher bekommst du das Wasser für deine Rundgänge.«

»Aus dem Kessel hinten in der Höhle, gleich neben den Loren«, antwortete Michiki. »Dort gibt es einen Zulauf, den man beliebig auf- und zudrehen kann.«

»Und woher kommt das Wasser?«

Das Frettchen zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwo von weiter oben, schätze ich.«

»Die Leichenhöhle!« Pcherro beherrschte sich gerade noch, um nicht laut aufzuschreien. »Als wir Verrin dorthin gebracht haben, ist dir da nichts aufgefallen?«

Michiki überlegte. »Nein, nichts. Was meinst du?«

»Ich habe Wasser gehört. Fließendes Wasser. Verstehst du? Dort muß der Zulauf für den Kessel sein. Vielleicht ein unterirdischer Fluß oder Bach. Wenn wir die Stelle finden können, wo das Wasser herkommt, vielleicht befindet sich dort ja auch ein möglicher Ausgang!«

»Und wenn das Wasser einfach durch das Gestein sickert? Wir können leider nicht einfach so durch Ritzen und Spalten tröpfeln.«

»Und wenn nicht?« Pcherros Augen funkelten, und Michiki erkannte im Gesicht des Katers wieder den Ausdruck, den er bei seiner Ankunft im Arbeitslager gezeigt hatte. »Wir werden es schon herausfinden. Sollten wir dabei keinen Erfolg haben, können wir immer noch umkehren und etwas anderes ausprobieren.«

Das Frettchen vermutete, daß jeglicher Widerspruch ohnehin sinnlos gewesen wäre. Pcherro hatte ein Ziel vor Augen, und das gab ihm wieder Kraft. »Also gut. Laß es uns versuchen.« Mit einer Geste wies er auf die restlichen Gefangenen. »Ich schätze, wir sollten ihnen erst einmal nichts von unserem Ausflug sagen. Je weniger davon wissen, desto besser. Außerdem können wir sowieso nicht alle mitnehmen.«

»Ich weiß nicht ... Das kommt mir irgendwie vor, als würde ich sie und meine Sippe verraten.« Pcherro blickte zur Decke, und sein Schwanz begann unruhig hin und her zu schlagen.

Michiki seufzte. »Wenn wir erst einmal draußen sind, können wir Hilfe holen. Es wäre sinnlos zu versuchen, mit einer ganzen Kolonne die Höhlen zu verlassen.«

»Wer sollte uns denn helfen wollen? Wen kümmert denn schon das Schicksal eines kleinen Dorfes und das von ein paar Unglücklichen.«

»Oh, ich möchte wetten, daß die Echsen mehr als genug Leuten auf die Pfoten getreten haben. Und solange wir hier drinnen hocken, werden wir niemanden dazu bringen können, uns zu helfen.« Michiki rollte den Schlüsselbund wieder in das Tuch ein.

»Ay, ich denke, du hast recht. Auch wenn mir bei dem Gedanken nicht ganz wohl ist, daß ich die anderen hier zurücklassen muß. Dann laß uns losgehen.« Mit einem Ruck stand er auf und ging in Richtung des Ausganges, wie um sich daran zu hindern, noch einmal über die Angelegenheit nachzudenken.

Michiki schüttelte den Kopf und folgte dem Kater leise. Er würde wohl noch eine Zeitlang brauchen, um diese plötzlichen Stimmungswandel gänzlich zu verstehen.

Pcherro stand bereits an der Stahltür und wartete ungeduldig, bis das Frettchen sich ihm angeschlossen hatte. Michiki wickelte den Schlüsselbund wieder aus und streckte seine Pfote durch das Gitter. Dann schob er einen der Schlüssel behutsam ins Schloß und drehte vorsichtig daran. Doch außer einem metallischen Knacken tat sich nichts. Leise zog er den Schlüssel wieder heraus und probierte den nächsten. Dabei bemühte er sich, kein Geräusch zu machen, doch es fiel ihm sehr schwer, ruhig zu bleiben. Vor Aufregung hatte sich jedes Haar seines Pelzes aufgerichtet, und seine Zunge fuhr nervös über seine Lippen.

Der dritte Schlüssel paßte, und das Schloß öffnete sich. Mit einem unterdrückten Jubelschrei zog das Frettchen den Schlüssel wieder heraus und machte sich daran, die Tür zu öffnen. In diesem Augenblick spürte er eine Pfote auf seiner Schulter, und erschreckt fuhr er herum. Auch Pcherro hatte sich umgedreht, die Krallen abwehrbereit ausgefahren.

»Wo wollt ihr denn hin?« fragte die grollende Stimme Rhenniks, einem der Wölfe der Arbeitsmannschaft. »Es scheint, als ob ihr euch heimlich verpissen wollt, ohne uns wenigstens Lebewohl zu sagen.«

»Was soll das heißen?« fragte Pcherro mißtrauisch. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß wir ...«

Rhennik grinste breit und riß dem überraschten Frettchen den Schlüsselbund aus den Pfoten. »Ich habe doch Augen im Kopf. Woher habt ihr den hier?«

»Michiki hat ihn in der Arbeitshöhle gefunden, als die Echse verschüttet wurde. Wir wollen versuchen, Hilfe zu holen, damit die Sklaverei endlich vorbei ist.«

»Und warum schleicht ihr euch dann einfach so davon, ohne etwas zu sagen? Nicht sehr kameradschaftlich, würde ich behaupten.«

»Je weniger wissen, was passiert ist, desto besser für uns. Gib uns den Schlüssel, Rhennik. Wir kommen so bald wie möglich zurück.«

Der Wolf spielte mit dem Ring, gerade außerhalb von Pcherros Reichweite. »Ich denke nicht, daß ich das tun werde. Ich komme mit.«

Michiki konnte an Pcherros Gesichtsausdruck erkennen, daß es langsam brenzlig wurde. Es würde schon schwierig genug sein, zu zweit der Höhle zu entkommen. Und ein Begleiter, der so stur war wie Rhennik, wäre sicherlich nicht von Vorteil. Unauffällig bewegte sich das Frettchen ein wenig von der Tür weg, während die Aufmerksamkeit des Wolfes auf Pcherro ruhte.

»Glaub mir, das wäre keine so gute Idee«, sagte der Kater gerade. »Wir müssen erst einmal einen sicheren Weg finden. Es ist besser, wenn so wenige wie möglich dort hinausgehen.«

»Dann werden wir beide eben gehen. Diese halbe Portion würde ohnehin nur aufhalten.«

Genau in diesem Augenblick sprang Michiki vor und packte den Schlüsselbund mit beiden Pfoten. Pcherro reagierte augenblicklich und griff an, die Klauen nach Rhenniks Kehle ausgestreckt. Der Wolf ließ den Ring los, um dem Kater auszuweichen. Pcherros Krallen fuhren zischend durch die Luft, ein Grollen drang aus seiner Kehle. Rhennik hatte inzwischen wieder festen Stand gefunden und sich zum Sprung geduckt. Unter lautem Knurren und Fauchen verkeilten sich die Körper der beiden Kämpfenden ineinander. Beide schnappten nach der Kehle des anderen und versuchten gleichzeitig, den Gegner zu Boden zu ringen.

Durch den Lärm aufgeschreckt regten sich einige der Arbeiter, und ein Murmeln entstand, das aber größtenteils von den Geräuschen des Kampfes übertönt wurde. Rhennik war ein ganzes Stück größer als Pcherro, aber der Kater war unglaublich wendig. Dennoch erfaßte Michiki eine leichte Panik als er die Auseinandersetzung beobachtete. In einem günstigen Augenblick nahm er seinen ganzen Mut zusammen und sprang dem großen Rüden auf den Rücken, wobei er seine scharfen Zähne in dessen Nacken schlug.

Rhennik heulte auf und griff mit seinen Pfoten nach dem Frettchen, das sich verzweifelt an ihm festklammerte. Pcherro nutzte diese Chance, um dem Wolf einen schweren Hieb in die Seite zu versetzen. Als dieser sich vor Schmerzen krümmte, schlug der Kater ein weiteres Mal zu. Er spürte, wie seine Krallen in das Fleisch unter dem Gesichtsfell des Wolfes eindrangen und dort tiefe Kratzer hinterließen. Mit der anderen Pranke hieb er ihm dann unter das Kinn, ohne die Klauen einzusetzen. Rhennik stolperte zurück und taumelte gegen die Höhlenwand. Michiki schrie vor Schmerzen laut auf, als das Gewicht des Wolfes seinen Körper zusammenquetschte. Er ließ von ihm ab und blieb keuchend an der Wand liegen. Doch auch Rhennik hatte es hart erwischt. Er machte noch ein paar Schritte auf Pcherro zu, brach dann zusammen und regte sich nicht mehr. Der Kater blieb noch ein paar Augenblicke lang wachsam und schwer atmend stehen, bevor er sich entspannte und zu seinem Freund lief.

»Es geht schon ... nicht so schlimm«, stöhnte Michiki, als sich der Kater neben ihm hinkniete.

»Was ist denn los?« fragte einer der Arbeiter vom hinteren Teil der Höhle.

»Nichts weiter«, antwortete Pcherro. »Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.« Er half dem Frettchen, wieder auf die Beine zu kommen und blickte sich in der Höhle um. Ein paar der Gefangenen blickten noch einige Augenblicke zu ihnen herüber, legten sich aber schließlich wieder zum Schlafen hin. »Wir sollten jetzt zusehen, daß wir von hier verschwinden«, flüsterte er.

Michiki nickte stumm. Zum Sprechen fehlte ihm momentan die Luft. Sie versicherten sich noch einmal, daß niemand in ihre Richtung sah und öffneten dann das Gitter. Zu ihrer Erleichterung gab es kein Geräusch von sich. Auf der anderen Seite angekommen lehnten sie die Tür wieder an, hielten sich aber nicht mehr damit auf, sie abzuschließen.

Der Tunnel vor ihnen war düster und still. Sie kannten den Weg gut genug, doch unter diesen Umständen erschien er ihnen endlos. Hinter jeder Biegung befürchteten sie einen der Wächter zu erblicken, der von dem Lärm angelockt worden war, doch nichts geschah. Geduckt schlichen sie weiter, jedes ihrer Geräusche, selbst das leise Schaben von Michikis Krallen auf dem Steinboden, schien um das hundertfache verstärkt zu werden. Jeden Moment erwarteten sie, Rufe der Verfolgung zu vernehmen. Sie wußten genau: Wenn man sie hier erwischte, konnten sie sich gleich neben die anderen toten Leiber in der Leichenhöhle legen.

Als sie dann die Arbeitshöhle erreichten, waren sie schon fast mit ihren Nerven am Ende. Immer noch war alles um sie herum in absolute Stille getaucht. Selbst das sonst allgegenwärtige Grollen der Schmelzöfen, die auch über Nacht befeuert wurden, war seit der Explosion verstummt. Vermutlich war auch das der Grund, warum sie noch keinem Wachtposten begegnet waren - es gab niemanden, den man beaufsichtigen mußte.

Vorsichtig durchquerten sie die große Halle und folgten dem Weg, den sie einen Tag zuvor schon einmal entlanggegangen waren. Der Geruch toter Körper erfüllte die Luft, während sie sich der Leichenhöhle näherten. Als sie die langgestreckte Kammer betraten beschlich sie ein unheilvolles Gefühl. Hier waren sie zwei Lebende umgeben vom Tod. Aasfressende Kreaturen huschten zwischen den Leibern umher, wie Geister aus dem Reich der Schatten, die sich holten, was ihnen zustand. Unwillkürlich duckten sich die beiden Gefährten, als sie weiter in den Raum hineingingen, so als lastete die übelriechende Luft auf ihren Schultern.

Wie Pcherro gesagt hatte, war hier das leise Plätschern von fließendem Wasser zu vernehmen. Michiki versuchte, nicht an die Massen von toten Körpern zu denken, während er versuchte, die Richtung auszumachen, aus der das Geräusch kam. Die steinernen Wände reflektierten die Laute vielfach und machten es schwer, den genauen Ursprungsort herauszubekommen, doch langsam aber sicher näherten sie sich der Stelle.

»Michiki! Komm hierher«, flüsterte Pcherro und winkte zu dem Frettchen herüber. »Hier muß es irgendwo sein.«

So schnell er konnte eilte Michiki zu ihm. Der Kater stand am anderen Ende der Höhle und lauschte aufmerksam. Hier war das Plätschern viel lauter, und es schien ganz aus der Nähe zu kommen. Mit einer Mischung aus Abscheu und Furcht schoben sie ein paar der halb verfallenen Körper zur Seite, die hier lagen, und legten einen Spalt frei, durch den offensichtlich das Geräusch in die Höhle drang. Der Geruch nach frischem, klarem Wasser war deutlich zu wittern. »Da komme ich nicht durch«, sagte Pcherro. »Aber ich glaube, du könntest es schaffen.«

Michiki beugte sich zu dem Spalt hinab und spähte in die Dunkelheit dahinter. Vorsichtig streckte er erst seine Schnauze, dann den ganzen Kopf hindurch, schnupperte intensiv, und zwängte schließlich seinen restlichen Körper hinterher. Der Spalt war in der Tat sehr eng, doch mit etwas Mühe gelang es ihm, hindurchzukommen. Auf der anderen Seite war es kühl, Feuchtigkeit lag in der Luft und hatte sich an Wand und Boden abgesetzt. Das Plätschern war nun deutlich zu vernehmen, und Michiki folgte den Lauten, bis seine Hinterpfoten feucht wurden. Als er vorsichtig voraustastete erkannte er, daß sich hier ein kleiner See gebildet hatte, der immer tiefer wurde, je weiter er kam. Außerdem spürte er eine leichte Strömung, die das Wasser durch sein Fell fließen ließ.

»Was ist? Was siehst du?« fragte Pcherro, der ungeduldig auf der anderen Seite der Wand wartete.

»Nichts, es ist absolut dunkel. Aber das Wasser hat sich hier aufgestaut. Und irgendwo muß es hereinkommen.«

»Warte einen Augenblick. Ich komme gleich wieder.«

»He, was meinst du damit? Wo gehst du hin?« Doch er bekam keine Antwort. »Na wunderbar«, murmelte er, während er ein paar Schritte zurück machte, um wieder auf halbwegs trockenem Boden zu stehen. Während er wartete versuchte er zu ergründen, wie groß die Höhle war, in der er sich befand, um sich von seiner Nervosität ein wenig abzulenken. Die Art, wie sich die Echos bildeten ließ auf einen relativ kleinen Raum schließen - vielleicht fünfzehn oder zwanzig Schritte im Durchmesser. Vorsichtig befühlte er die Wände und den Boden, beide Male ertastete er feuchten Stein. Behutsam ging er mehrere Schritte an der Wand entlang, bis er den Rand des Wassers erreichte. Scheinbar gab es keinerlei Besonderheiten zu entdecken. Plötzlich hörte er Geräusche von der anderen Seite der Wand. Es klang, als wenn man mit einem Stein auf ein Stück Metall schlägt. Sofort verharrte er und lauschte. Nur einen Augenblick später sah er Licht durch den Spalt hereinfallen.

»Michiki?« fragte eine wohlbekannte Stimme.

Das Frettchen atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick hatte er befürchtet, die Echsen hätten ihn entdeckt. »Ich bin noch da, Freund Kater!«

»Ich habe Fackeln mitgebracht. Hier, nimm das.«

Michiki bückte sich und nahm den mit öligen Lappen umwickelten Holzstab, den Pcherro ihm durch den Spalt hereinschob. Dann drehte er ihn um und entzündete ihn an der Flamme, die der Kater nun an das Loch hielt. Das helle Licht blendete ihn zuerst, doch schon wenige Herzschläge später hatte er sich daran gewöhnt und konnte sich umsehen. Er hatte mit seiner Schätzung recht gehabt: Der Raum war tatsächlich recht klein und teilte sich in zwei unterschiedlich hohe Flächen auf. Bis ungefähr zur Hälfte blieb der Boden auf einer Ebene. Der Teil dahinter lag etwa eine halbe Körperlänge höher, und Wasser floß an dieser Stufe herab. Wenn man am Rand des Raumes blieb konnte man diese Stelle erreichen, ohne ernsthaft naß zu werden. Michiki teilte seine Beobachtung dem Kater mit, der draußen wartete und vergeblich versuchte, durch den Spalt zu spähen.

»Gibt es einen Weg nach draußen?« fragte Pcherro.

»Ich weiß nicht«, antwortete das Frettchen. »Ich sehe mich mal genauer um.« Michiki kletterte auf die höhere Ebene und blickte in das klare Wasser, das auch hier eine Art See gebildet hatte. Unterhalb der Wasseroberfläche konnte er nicht allzu viel erkennen, doch glaubte er, eine Art Röhre zu sehen, die tiefer ins Gestein führte. Neugierig lehnte er die Fackel an die Wand und machte einen Schritt in das Wasser hinein. Ein eisiger Schauer durchzog seinen Körper, als die kalte Flüssigkeit seinen Pelz durchdrang. »Hier ist ein Loch unter Wasser«, berichtete er. »Ich werde mal sehen, wohin es führt.«

»Du wirst was?« fragte Pcherro ungläubig. »Michiki! Warte einen Moment!«

»Ich bin gleich wieder da«, gab das Frettchen grinsend zurück und achtete nicht mehr auf die nervösen Rufe seines Kameraden, sondern holte tief Luft. Mit einem kleinen Aufschrei ließ er sich in das kalte Wasser fallen, das ihn sofort in seine frostige Umarmung nahm.

Das schwache Licht der Fackel drang gedämpft zu ihm hinunter, als er sich bis zu dem dunklen Fleck in der Wand hinabsinken ließ. Es war tatsächlich eine Art Tunnel, und er spürte die Strömung, die ihm daraus entgegenkam. Offensichtlich war dies der Zufluß des Wassers. Vorsichtig zog er sich an der rauhen Wand entlang ein Stück weit in die Röhre hinein. Schon nach wenigen Augenblicken knickte der Tunnel scharf nach rechts ab und Michiki spähte um die Ecke. Er meinte in der Ferne ein schwaches Licht erkennen zu können. Doch jetzt zwang ihn der Mangel an Atemluft erst einmal zurück an die Oberfläche.

Als er prustend wieder auftauchte hörte er Pcherros Stimme von draußen, die besorgt seinen Namen rief. Keuchend zog er sich aus dem Wasser und nahm die Fackel vom Boden auf. Die kleine Flamme spendete zwar nicht viel Wärme, aber es reichte, um die Kälte zumindest ein wenig zu vertreiben. »Alles in Ordnung. Kein Grund zur Sorge.«

»Was ist passiert? Du hast auf einmal nicht mehr geantwortet!« Pcherros Stimme verriet Unsicherheit.

»Ich bin in das Loch hinuntergetaucht«, antwortete Michiki. »Das habe ich dir doch gesagt.« Das Frettchen grinste, als es sich den entsetzten Gesichtsausdruck des Katers vorstellte.

»Ich habe gedacht, du willst mich zum besten halten«, sagte Pcherro, der nun scheinbar näher an den Spalt herangekommen war.

»Ganz und gar nicht. Hier ist wirklich eine Art Tunnel unter Wasser. Und ich habe sogar Licht am anderen Ende gesehen.«

Für einen Augenblick war es still. »Ein Ausgang?« fragte Pcherro.

»Ich weiß nicht genau, aber ich glaube schon. Es ist nur zu weit, um zu tauchen.«

»Warte einen Moment, ich komme zu dir rein«, sagte er und zog sich von dem Eingang zurück.

»Wie willst du das anstellen?« fragte Michiki, doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Er hörte einen dumpfen Schlag und gleich darauf das Rieseln von Steinsplittern. »Bist du verrückt!« rief das Frettchen. »Du hetzt uns noch die Echsen auf den Hals!«

Pcherro schien ihn nicht zu hören. Die Schläge gingen weiter, regelmäßig und gezielt. Offensichtlich hatte er in der kurzen Zeit im Steinbruch einiges gelernt. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich der Zugang soweit verbreitert hatte, daß der Kater sich hindurchzwängen konnte. Er ignorierte den mißbilligenden Blick, den ihm das Frettchen zuwarf und grinste. »Du siehst aus, als hättest du im Regen übernachtet.«

»Sehr komisch«, gab Michiki zurück, während er versuchte, nicht allzu sehr vor Kälte zu zittern.

»Wo ist diese Höhle, von der du gesprochen hast?« fragte Pcherro.

»Dort oben.« Er wies auf die Stufe. »Ich zeige sie dir.« Da er ohnehin schon naß war, nahm er dieses Mal den direkten Weg durch das Wasser, während Pcherro sich am Rand des Sees hielt. Die Miene des Katers verzog sich zu einer Fratze, als seine Pfoten mit dem eisigen Wasser in Berührung kamen. Michiki grinste, verkniff sich aber einen Kommentar. Er wartete bis der Kater das Plateau erklommen hatte und wies dann in das Wasserloch. »Dort ist der Tunnel, siehst du? Der Durchgang ist hier nicht besonders breit, aber auf der anderen Seite ist reichlich Platz.«

»Und dahinter geht es nach draußen?« fragte Pcherro beinahe hoffnungsvoll.

»Sozusagen. Allerdings liegt zwischen dem Loch und dem Ausgang eine recht große Strecke. So weit kann ich nicht tauchen, und dann ist noch nicht einmal gesagt, daß das Licht wirklich Tageslicht ist.«

»Es bleibt uns aber wahrscheinlich keine Zeit, es lange genug zu beobachten. Wir müssen schnellstens hier raus, oder die Echsen machen kurzen Prozeß mit uns. Und wenn sie es nicht tun, wird Rhennik sich gerne als Ersatz anbieten.«

Michiki zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, wir müssen uns irgendwas andres einfallen lassen. Ich habe nicht genug Luft, um den Ausgang zu erreichen.« Mit einem schelmischen Gesichtsausdruck fuhr er fort: »Du hast eine viel größere Lunge als ich. Vielleicht ...«

Pcherro blickte ihn entsetzt an. »Ich - Oh, nein! Das kommt überhaupt nicht in Frage!«

»Wenn wir hier raus wollen, wirst du früher oder später da durch müssen«, bohrte das Frettchen weiter. »Warum nicht schon jetzt damit anfangen?«

Der Kater starrte zuerst ihn, dann das Wasser zu seinen Füßen an. »Das schaffe ich nie«, flüsterte er. »Ich war nie ein besonders guter Schwimmer. Wenige meiner Rasse sind das, wie du wissen solltest. Und solange ich nicht weiß, wie weit es wirklich ist, werde ich keinen Fuß in das Loch da unten setzen.«

»Ay! Ist ja schon gut, ich wollte dich nur ein wenig ärgern«, grinste Michiki.

Pcherro funkelte ihn düster an. Dann hellte sich sein Gesicht wieder ein wenig auf. »Und wenn du schneller wärst? Du bräuchtest weniger Luft für dieselbe Strecke.«

»Nur daß ich nicht schneller schwimmen kann«, gab Michiki zurück.

»Auf dem Hinweg vielleicht nicht. Aber wenn du dir ein langes Seil mitnimmst, könntest du dich daran zurückziehen und so ein wenig Zeit gut machen.«

»Und was soll das bringen?«

Pcherro stellte seine Fackel ab und erläuterte seine Idee mit Hilfe von Gesten. »Am Anfang kannst du ja erst einmal so weit tauchen, wie sonst auch. Wenn du dich dann am Seil zurückziehst merkst du ja, wieviel Luft dir am Ende noch geblieben ist. Und so kannst du dann abschätzen, wie weit du noch gekommen wärst. Vielleicht findest du sogar eine Stelle, an der du das Seil festbinden kannst. Dann würde es noch schneller gehen.«

»Das ist gar keine so üble Idee«, meinte Michiki. »Ich denke, wir sollten es versuchen. Wir haben sowieso schon zu viel Zeit verloren. Ein Wunder, daß noch niemand bemerkt hat, was passiert ist.«

Sie verließen die kleine Höhle, um nach brauchbaren Hilfsmitteln zu suchen. Schon nach kurzer Zeit hatten sie gefunden, was sie benötigten und standen nun wieder vor dem Wasserloch, das in das Gestein hineinführte. Pcherro gab band dem Frettchen das Seil um die Hüfte, dessen anderes Ende er fest um einen der Felsen schlang. Michiki hatte noch einen ledernen Wasserbeutel mit Mundstück mitgebracht, den er nun ausleerte und aufblies.

»Was machst du denn da?« fragte der Kater.

Michiki grinste. »Ich verschaffe mir etwas mehr Zeit. Wenn ich nicht mehr weiter komme, nehme ich den Schlauch in den Mund und drücke die Luft aus dem Beutel. Das dürfte mir noch eine zusätzliche Hilfe sein.«

Pcherro schüttelte lachend den Kopf. »Also darauf wäre ich wahrscheinlich nie gekommen.«

Michiki drückte den Verschluß auf das Mundstück, befestigte den Beutel an dem Seil und warf dem Kater einen letzten Blick zu. »Ich werde mich dann auf den Weg machen. Wünsch' mir Glück.«

Mit einem leisen Platschen tauchte Michiki in das kalte Wasser hinab. Schnell durchquerte er das Loch und hielt mit kräftigen Zügen auf das Licht in der Ferne zu. Das vorbeiströmende Wasser rauschte in seinen Ohren, und er konnte sein Herz schlagen hören. Nach einiger Zeit, der Ausgang schien ein wenig nähergekommen zu sein, hielt er es für angebracht, umzukehren. Er griff nach dem Seil und zog sich daran zurück. Als er schließlich wieder die Wasseroberfläche erreichte erkannte er, daß er tatsächlich noch eine gute Luftreserve behalten hatte.

»Und?« fragte Pcherro.

Michiki wartete einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. »Es ist wirklich sehr weit«, sagte er dann. »Es gibt auch keine Möglichkeit, das Seil festzubinden. Aber ich glaube, ich kann es trotzdem schaffen. Ich versuche es gleich noch einmal.«

»Willst du dich nicht erst mal ausruhen?«

»Ich denke, dafür haben wir keine Zeit. Außerdem wird mir nicht so schnell kalt, wenn ich in Bewegung bleibe.«

Diesmal legte er eine etwas weitere Strecke zurück. Da er nun in etwa wußte, wie schnell er zurückkommen konnte, wagte er sich etwas weiter vor. Er hatte kurz vor seiner Umkehr deutlich erkennen können, daß es tatsächlich Tageslicht war, auf das er sich zubewegte. Laut prustend tauchte er auf und hielt sich keuchend am Rand des Loches fest, während Pcherro ihn besorgt anblickte und das Seil fallen ließ.

»Ich dachte schon, du kommst gar nicht wieder zurück«, sagte der Kater besorgt. »Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als ich gespürt habe, wie sich das Seil spannte.«

»Keine Sorge«, antwortete das Frettchen zwischen tiefen Atemzügen. »Es bestand ... keine Gefahr ... Bin viel weiter gekommen ... Habe den Ausgang gesehen.« Als er wieder einigermaßen sprechen konnte, blickte er zu Pcherro auf und fuhr fort: »Es geht wirklich nach draußen. Ich weiß zwar nicht genau, wo ich auftauchen werde, aber ich kann es schaffen. Ich habe noch nicht einmal meine Luftreserve gebraucht.« Dabei klopfte er auf den immer noch verkorkten Lederbeutel an seiner Seite.

»Dann ruh dich einen Moment aus, damit du nicht doch noch unterwegs ertrinkst«, schlug Pcherro vor.

Aber Michiki winkte ab. »Ich schaffe das schon. Ich weiß jetzt, wie weit es ist. Du wirst schon sehen.« Und mit diesen Worten holte er erneut tief Luft und ließ sich ins Wasser zurücksinken, bevor der Kater widersprechen konnte.

Pcherro verspürte für einen kurzen Augenblick den Drang, das Seil zurückzuziehen. Doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Michiki wußte schon, was er tat. Zumindest hoffte er das. Besorgt beobachtete er das Seil, das langsam aber beständig ins Wasser hineingezogen wurde. Bei dem Gedanken, daß er irgendwann durch diese Röhre tauchen sollte, zu jeder Seite nur von Wasser und Stein umgeben, wurde ihm regelrecht übel. Er bewunderte den Mut des kleinen Kerls, der keine Sekunde gezögert hatte, das Wagnis auf sich zu nehmen.

Das Seil war mittlerweile über den Punkt hinaus, an dem Michiki das letzte Mal umgekehrt war. Wenige Schritte weiter stockte es, und Pcherro erwartete, daß es sich spannen und das Frettchen zurückkehren würde. Doch dann wurde es weiter hineingezogen, und der Kater wurde wieder unruhig, während er Schritt um Schritt mehr Seil nachgab.

In diesem Augenblick hörte er Geräusche, die sich dem Spalt näherten. Erschreckt spannte er sich an und wirbelte herum. Eine der Echsenwachen war gerade dabei, sich durch den Zugang zu zwängen. »Verflucht!« stieß Pcherro hervor, ließ das Seil fallen und kam eiligst von dem Podest herunter. Die Echse hatte sich inzwischen aufgerichtet und zischte ihn mit bereit gehaltenem Speer an. Pcherro duckte sich und knurrte. Seine Ohren waren flach an seinem Kopf angelegt, und der Schweif wuchs auf das Doppelte seines normalen Durchmessers an. Dann sprang er.

Ein weiteres Mal umfing ihn das kalte Wasser, als er sich hinabsinken ließ. Diesmal würde er es schaffen, den Ausgang zu erreichen. Er spürte schon, wie die Anstrengungen seine Muskeln schwächer werden ließen, aber wenn er es jetzt nicht schaffte, würde er aufgeben und ausruhen müssen. Dabei vergrößerte jeder Augenblick, den sie länger in der Höhle verbrachten, das Risiko, entdeckt und womöglich getötet zu werden. Michiki tauchte flink durch den Tunnel und war gleich darauf in der größeren Kammer angekommen, die er nun ein weiteres Mal zu durchqueren versuchte. Trotz seiner beginnenden Erschöpfung versuchte er, eine gleichmäßige Geschwindigkeit beizubehalten und seine Kraft so gut wie möglich auszunutzen. Jeder Schwung seiner Arme brachte ihn seinem Ziel näher, doch jeder Herzschlag war ein weiteres kleines Stück seiner verrinnenden Zeit. Der Druck in seiner Lunge nahm zu und er atmete ein wenig aus, um dem Gefühl des Erstickens entgegenzuwirken. Blubbernd entwich die Luft aus seinem Mund und verschwand im Dunkel des Tunnels über ihm.

Michiki spürte, daß er mittlerweile den bisher weitesten Punkt hinter sich gelassen hatte. Bereits jetzt hatte er das Gefühl, daß er nicht mehr weiterkam, doch verbissen kämpfte er sich voran. Kurz darauf stoppte er für einen Moment, um den Lederbeutel von dem Seil um seine Hüfte zu lösen. Er zwang sich, auszuatmen, zog den Korken ab und umschloß das Mundstück so schnell er konnte mit seinen Lippen. Dann quetschte er die Luft aus dem Behälter heraus und ließ sie in seine Lunge strömen. Es war nicht so leicht, wie er es sich vorgestellt hatte, aber schließlich hatte er wieder einen gewissen Vorrat, der ihm allerdings jetzt auch reichen mußte. Er ließ den Beutel fallen und begann wieder zu schwimmen. Langsam, zu langsam für seinen Geschmack, wuchs der Lichtfleck vor ihm. Immer noch trennte ihn eine ganze Strecke von dem, was er hoffte, die Freiheit zu sein. Er hörte sein Herz immer noch in seinen Ohren, dazu das Rauschen des Wassers, während er sich voranschleppte. Bunte Flecken begannen vor seinen Augen zu tanzen, und seine Muskeln protestierten schmerzhaft. Er sah das Licht sich ausdehnen und plötzlich über ihm verschwinden. Dann hüllte es ihn ein, umgab ihn von allen Seiten. Voller Panik schlug er um sich, ohne zu wissen, wo er sich befand. Verbissen schloß er seine Augen und rang in einem letzten Reflex nach Luft.

Er brauchte einige Sekunden um zu begreifen, daß es kein Wasser war, das ihm in die Lungen strömte. Sein Kopf hatte die Oberfläche erreicht, und er konnte atmen. Erschöpft öffnete er die Augen und ruderte mit den Armen, um nicht unterzugehen. Wasser rauschte in der Nähe, Licht umgab ihn, frische Luft füllte seine Nase. Nicht weit entfernt von sich konnte er einen dunkleren Streifen ausmachen, von dem er hoffte, daß er das Ufer war. Kraftlos paddelte er darauf zu und war erleichtert, als er festen Untergrund spürte. Er schleppte sich noch ein paar Schritte weiter, bevor er schließlich entkräftet zu Boden sank.

Langsam konnte er seine Umgebung erkennen. Er lag am Rand eines Sees, der von einem Wasserfall in geringer Entfernung gespeist wurde. Zu allen Seiten erhoben sich die Gesteinsmassen des Gebirges, in dessen Eingeweiden er sich nun schon so lange befunden hatte, und die Sonne schien aus einem strahlend blauen Himmel auf ihn herab. Sein Herz jubelte bei diesem Anblick. Die Erkenntnis, daß er endlich wieder frei war, durchströmte seinen Körper und Geist. »Krallen und Zähne!« rief er, so laut er noch konnte. »Wir haben es geschafft!« Dann lachte er und ließ sich erschöpft auf den Rücken fallen.

Während er sich von der letzten Anstrengung erholte, zog er den Rest des Seiles zu sich ans Ufer. Wie sich herausstellte, hatte er noch mehr als zwanzig Schritte übrig behalten und suchte sich nun einen Punkt, an dem er es ordentlich befestigen konnte. Mit Hilfe dieser Führung würde er nur einen Bruchteil der Zeit brauchen, um zu Pcherro zurückzukehren und ihm die gute Nachricht zu überbringen. Aber in diesem Augenblick bemerkte Michiki, wie sich in ihm ein altes Gefühl aus seiner Vergangenheit regte. Er war frei, und der Kater hatte die Möglichkeit, sich ebenfalls aus dem Staub zu machen. Warum sollte er sich also wieder in die Höhle des Löwen - Pardon, der Echsen - wagen?

Weil er mein Freund ist, wies er sich in Gedanken zurecht. Sicher, wäre er noch in der Stadt, hätte er diesem Gefühl vermutlich nachgegeben und wäre fortgegangen. Doch jetzt wußte er, daß dies nicht der richtige Weg war. Der Begriff der Freundschaft war ihm bisher fremd gewesen, doch nun wurde ihm klar, was er bedeutete.

Er zögerte nur einen Augenblick, bevor er wieder ins Wasser sprang. Die wärmenden Sonnenstrahlen wurden aus seinem Pelz gespült, und er biß die Zähne zusammen. Dann holte er tief Luft, packte das Seil und zog sich voran, bis er ein weiteres Mal in die Düsternis des Tunnels eintauchte.

Der Aufprall war hart, verfehlte aber seine Wirkung nicht. Die Echse wurde an die Wand gedrängt und ließ ein überraschtes Keuchen hören. Während des Fluges hatte Pcherro es geschafft, die Klaue zu ergreifen, die den Speer hielt. Jetzt drückte er sie mit aller Kraft gegen den Felsen, damit die Echse ihre Waffe nicht einsetzen konnte. Doch der Wächter war, nachdem er sich von diesem ersten Angriff erholt hatte, wieder zu einem festen Stand gekommen. Für einen Augenblick hielten sie sich gegenseitig in Schach, bis die Echse sich plötzlich zur Seite fallen ließ und Pcherro durch diese unerwartete Bewegung gegen die Wand prallte. Sofort sprang der Kater einen Schritt zurück, um einem wohlgezielten Stoß des Speeres auszuweichen, der ihm mühelos die Eingeweide durchbohrt hätte. Knurrend duckte Pcherro sich und begann, den Wächter mit wild peitschendem Schwanz zu umkreisen. Dabei ignorierte er die Tatsache, daß er durch das seichte Wasser am Rande des Sees waten mußte.

In diesem Moment machte die Echse einen Schritt nach vorne und hieb mit dem Speer nach seinem Kopf. Pcherro wich im letzten Moment aus, beugte sich vor und sprang erneut. Seine Arme umschlangen den schuppigen Bauch der Echse. Mit einem kräftigen Ruck rang er den Wächter zu Boden, wo er mit einem lauten Platschen im Wasser landete. Dieser Angriff hatte den Kater allerdings wieder in die Reichweite des Speeres gebracht, und Pcherro spürte einen Stich in seinem Bein. Mit einem Schmerzensschrei wich er zurück - ohne hinzusehen wußte er, daß er eine tiefe Wunde davongetragen hatte. Das Bein pochte fürchterlich, vermutlich würde es sein Gewicht nicht mehr tragen können.

Voller neu entfachter Wut ließ er sich auf den Körper der Echse fallen und drückte sie damit wieder in das Wasser zurück. Der Schmerz in seinem Bein machte ihn rasend, er spürte kaum die Klauen, die sich in seinen Rücken bohrten. Blitzschnell holte er aus und hieb dem Wächter seine eigenen Krallen durch das Gesicht. Der andere heulte auf und ließ von seinem Rücken ab, um seinen Kopf mit den Armen zu schützen. Pcherro entwand ihm den Speer und warf ihn über seinen Rücken hinweg fort. Die Waffe prallte gegen die Höhlenwand und blieb dort mit einem leisen Klappern liegen.

Prustend kam Michiki an die Oberfläche und schnappte nach Luft. Mit Hilfe des Seiles war es ihm nicht mehr allzu schwer gefallen, die Entfernung zu überwinden. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und stützte sich auf den Rand des Loches. Dann hörte er gurgelnde Geräusche und sah sich erschreckt um. Unter ihm lagen zwei Gestalten im See, die in einen Kampf verwickelt waren. Pcherro kniete auf dem Körper einer Echse, deren Kopf er unter Wasser drückte. Der Wächter wehrte sich verzweifelt, doch der Kater schien nicht locker zu lassen. Blut färbte den See um die beiden Kontrahenten rot. Michiki hoffte inständig, daß es sich dabei nicht um Katzenblut handelte.

Das Strampeln der Echse wurde zunehmend schwächer und hörte schließlich ganz auf. Pcherro hielt sie noch ein paar Augenblicke fest, lockerte dann seinen Griff und stand unsicher auf. Als er bemerkte, daß noch jemand im Raum war, spannte er sich sofort wieder an und wandte den Kopf in Michikis Richtung.

Das Frettchen unterdrückte einen Entsetzensschrei, als er den Ausdruck im Gesicht der Katze sah: Mordlust und blanker Haß waren darin zu lesen. Sein peitschender Schwanz sprühte feine Wassertropfen durch die Luft, und die ausgefahrenen Krallen reflektierten das schwache Licht der Fackeln. Michiki wich unbewußt zurück; er konnte kaum glauben, daß diese Kreatur dort sein Freund war. Doch dann kehrte ein wenig der alten, etwas nachdenklichen Züge in das Gesicht des Katers zurück, als er erkannte, daß keine Gefahr mehr drohte.

Pcherro entspannte sich und ließ die Klauen sinken. Sein nasses Fell gab seiner Erscheinung einen unheimliches Aussehen, doch die Miene verriet Erleichterung. »Bei den Ewigen! Bin ich froh, dich zu sehen.«

»Was ist passiert? Haben sie uns entdeckt?« Michiki sprang von dem Podest herunter und gesellte sich zu seinem Freund.

Pcherro zuckte mit den Achseln. »Vielleicht. Aber bisher ist nur dieser eine hier hereingekommen. Ich vermute, er war auf einem Rundgang. Wir sollten machen, daß wir verschwinden, bevor der Rest der Bande merkt, daß er nicht mehr zurückkommt.«

»Aber zuerst muß ich mir dein Bein ansehen«, sagte Michiki, als er den Kater genauer in Augenschein nahm. Er hatte verschiedenste Kratzer abbekommen, aber am Bein hatte es ihn am Schlimmsten erwischt. »Die Wunde sieht mir sehr tief aus.«

»Ist halb so wild«, behauptete Pcherro, obwohl die Verletzung wie Feuer brannte, jetzt, da seine Wut wieder abzuflauen begann. »Ich werde es überleben.«

»Es ist aber wohl trotzdem besser, wenn ich sie verbinde«, beharrte das Frettchen. »Immerhin werden wir in nächster Zeit nicht viel zum Ausruhen kommen, fürchte ich.« Er beugte sich zu der toten Echsenwache hinunter und riß einige Streifen von dessen Umhang ab.

Während Michiki arbeitete versuchte Pcherro, nicht an die Schmerzen zu denken. »Du warst lange fort. Hast du - autsch - etwas gefunden?«

»Ja, ich habe den Ausgang erreicht«, berichtete das Frettchen. »Ein kleiner Wasserfall hat dort einen See aufgestaut, der durch das Loch unten abfließt. Von dort aus können wir zu Fuß weiter durch das Gebirge.« Mit einem abschließenden Ruck an dem Knoten fixierte er den behelfsmäßigen Verband an Pcherros Bein.

»Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren. Es wird nicht lange dauern, bis sie einen Suchtrupp losschicken.« Pcherro humpelte einige Schritte, bis er das Podest erreicht hatte. Michiki blieb währenddessen neben ihm und achtete darauf, daß er ihn stützen konnte, sollte er das Gleichgewicht verlieren. Doch der Kater hielt sich verbissen aufrecht. »Ich glaube, hier können wir uns so schnell nicht mehr blicken lassen«, sagte er und deutete auf die Leiche im Wasser.

Michiki brauchte einen Augenblick um zu begreifen, daß Pcherro einen Witz gemacht hatte. »Ay! Das stimmt!« lachte das Frettchen. »Was für ein Jammer. Ich habe gerade angefangen, mich hier wohl zu fühlen.«

Schließlich standen sie vor dem Loch, das hinunter ins Wasser führte. Michiki sprang sofort hinein, doch Pcherro zögerte. »Nun komm«, forderte Michiki ihn auf. »Du bist sowieso schon naß bis auf die Knochen. Schlimmer kann es doch kaum werden.«

»Meinst du, ich kann das schaffen?« fragte Pcherro unsicher.

Michiki grinste. »Na klar. Ich habe es auch geschafft, da solltest du doch keine Probleme haben. Hol einfach tief Luft und halt den Atem an. Dann ziehst du dich Pfote über Pfote am Seil entlang. Du wirst sehen: Bevor du es merkst bist du auf der anderen Seite.«

»Na dann werde ich dir das mal glauben«, erwiderte der Kater, doch der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet Entsetzen und Angst, als er sich langsam aber sicher ins Wasser gleiten ließ.

»Wir sehen uns dann draußen«, sagte Michiki. »Viel Glück! Und denk daran, den Atem anzuhalten!« Mit einem letzten Blick auf seinen Freund holte er tief Luft und ließ sich ins Wasser hinab, wo er das Seil ergriff und sich daran entlangzog.

Ohne größere Schwierigkeiten erreichte er das Tageslicht. Als er die Wasseroberfläche durchbrach genoß er erneut den frischen Wind, der so sehr im Gegensatz zu der abgestandenen Höhlenluft stand. Schnell paddelte er ans Ufer und zog sich aus dem See heraus, damit sein Fell in der warmen Sonne trocknen konnte. Währenddessen blickte er zum Wasser zurück und hoffte, daß Pcherro bald auftauchen würde.

Er wartete so lange, daß er begann, sich Sorgen zu machen. Doch dann wurde der See plötzlich unruhig, und ein pelziger Körper tauchte auf, wild um sich schlagend und halb im Begriff, wieder zu versinken. »Pcherro!« rief Michiki. »Pcherro! Beruhige dich! Du hast es geschafft.«

Der Kater strampelte noch einen Augenblick, bevor er begriff, daß er wieder atmen konnte. Erschöpft hielt er sich an dem Seil fest und zog sich langsam ans Ufer, wo er halb im Wasser liegend zusammenbrach und laut nach Luft schnappte.

Michiki eilte zu ihm hinüber. »Bist du in Ordnung? Wir haben es geschafft, Freund Kater!« Dabei griff er ihm unter die Schultern, half ihm, sich auf den Rücken zu drehen und ein Stück aus dem Wasser herauszukommen.

»Habe ich dir eigentlich schon gesagt, daß ich Wasser verabscheue?« keuchte Pcherro, und Michiki mußte lachen. »Ich habe wirklich geglaubt, ich würde ertrinken.«

»Jetzt hast du es ja hinter dir«, sagte das Frettchen. »Kannst du aufstehen? Wir sollten nicht allzu lange hier herumsitzen. Wenn die Echsen erst einmal herausgefunden haben, wie wir entkommen sind, werden sie bestimmt ihre Wachen hierherschicken.«

»Ich brauche nur ein paar Minuten, das ist alles.« Er rückte noch ein wenig vom See weg und zog die Beine an. Dabei verzerrte sich seine Miene zu einem Ausdruck des Schmerzes. Der Verband um sein Bein hielt noch, aber bereits jetzt sickerte ein dünner Blutsfaden durch das nasse Fell darunter.

Einige Zeit später waren sie unterwegs. Michiki stützte seinen Freund, der unsicher neben ihm herhumpelte. Gemeinsam ließen sie den See hinter sich, um einen Weg aus dem Gebirge heraus zu finden, bevor sie wieder von einer Patrouille aufgegriffen werden konnten. Michiki hoffte, daß sie schnell Hilfe fanden. Denn alleine würden sie nicht lange durchhalten können.

Fürs Erste waren sie in Sicherheit. Doch beide wußten immer noch nicht, wie sie die restlichen Gefangenen befreien sollten.

6

Die weiße Schneelandschaft dehnte sich endlos um ihn herum aus. Frostiger Wind versuchte, seinen dichten Pelz zu durchdringen, doch er fror nicht sehr. Müde blickte er sich um. In einiger Entfernung konnte er den Bau seiner Familie erkennen. Sein Vater, seine Mutter und die sechs Geschwister standen dort, ihr weißes Fellkleid so wunderbar im Einklang mit ihrer Umgebung. Er winkte ihnen zu, doch sie regten sich nicht. Während er zu seiner Familie hinüberblickte, begannen die Gestalten zu Schnee zu zerfallen. Langsam aber sicher verloren die Gesichter ihre Form, die Körper lösten sich auf, um mit dem Eis zu verschmelzen. Zur selben Zeit begann er sich von ihnen zu entfernen, langsam zuerst, doch dann immer schneller. Die Landschaft zog an ihm vorüber. Gesichter formten sich aus dem herabfallenden Schnee, die sich immer dann auflösten, wenn er nach ihnen zu greifen versuchte. Es waren Gesichter derer, die er auf seinen Reisen getroffen und hinter sich gelassen hatte. Viele von ihnen besaßen nur grobe, undefinierte Züge, andere hingegen waren klar und deutlich. Doch keines von ihnen konnte er festhalten. Plötzlich erschien ein anderes Gesicht vor ihm, eines, das er niemals vergessen würde. Es war pechschwarz und hob sich deutlich vom Weiß der Landschaft ab. Das Antlitz erweiterte sich zu einem Kopf, einem Körper. Die Arme streckten sich ihm entgegen, und er fühlte, wie sie seine schnelle Bewegung stoppten und er zur Ruhe kam. Die Gestalt hielt ihn fest, wärmte seinen Körper. Mit einer Hand fuhr sie über den Schnee zu ihren Füßen, und wo sie ihn berührte, schmolz er. Darunter kam grünes Gras zum Vorschein, das zu duften begann. Je weiter sie gingen, desto größer wurde der Kreis, in dem kein Schnee fiel. Er blickte noch einmal zurück, doch die Eiswüste war bereits in weite Ferne gerückt.

Rotpelz öffnete die Augen. Die Umarmung war noch da und auch die Wärme, die sie spendete. Vorsichtig drehte er seinen Kopf. Ichira lag neben ihm, ihre Arme um seinen Körper geschlungen, und schlief tief und fest. Ihr leises Atmen kitzelte sein rechtes Ohr, und er lächelte. Ein Glücksgefühl strömte durch seinen Körper, als er sich an sie schmiegte und ihren Duft einsog. Er genoß die Ruhe noch für eine Weile, bis er behutsam seine Arme zurückzog und sich aufsetzte. Ichira regte sich im Schlaf und brummte ein paar unverständliche Worte, bevor sie wieder still wurde. Als er sich umsah, bemerkte er, daß Velena ihn von der anderen Seite des Lagerfeuers aus beobachtete. Etwas verlegen kratzte er sich im Nacken, stand auf und ging zum Feuer, wo sein kleiner Blechtopf in den Flammen hing. Ein köstlicher Duft stieg von ihm auf.

»Sayh, Velena«, sagte er. »Habt Ihr den Tee gekocht?«

»Sayh, Freund Fuchs. Es schien mir, als wäret Ihr gestern abend nicht mehr dazu gekommen, und so sollt Ihr dies wenigstens jetzt nachholen können.«

Rotpelz lächelte. »Vielen Dank, Velena. Obwohl ich nicht sagen würde, daß ich es bereue, die Zeit nicht gefunden zu haben.« Er blickte zu seiner schlafenden Begleiterin hinüber. Wie jedesmal, wenn er sie betrachtete, verlor er sich auch jetzt in der Schönheit ihres Körpers. Das seidig glänzende, schwarze Fell reflektierte den Schein der Flammen und die Strahlen, die das Licht der aufgehenden Sonne durch die Blätter schickte, auf eine faszinierende Art und Weise. Es juckte ihn in den Pfoten, diesen Anblick einmal auf Papier festzuhalten.

»Rotpelz?« Velena war aufgestanden und zu ihm herübergekommen. »Zid und Hakir haben reiche Beute gemacht. Ihr solltet sie wecken und frühstücken. Wenn die beiden von ihrem Kundschaftsausflug zurück sind, werden wir aufbrechen.« Sie wies auf mehrere Blätterpackungen, in denen sich vermutlich Fleisch befand.

Der Fuchs lächelte, und in diesem Augenblick ließ sein Magen ein dumpfes Grummeln hören. »Du meine Güte«, lachte er. »Ich habe gar nicht bemerkt, wie hungrig ich bin.«

»Dann stillt Euren Appetit. Ich werde mich in der Zeit ein wenig nach Kräutern umsehen.« Sie schenkte ihm noch einen nachdenklichen Blick und verließ dann das Lager.

Rotpelz ging zu Ichira hinüber und ließ sich neben ihr nieder. Sanft leckte er ihr über das Fell an der Schnauze. Die Katze regte sich und öffnete müde die Augen. »Sayh, Ichira«, grüßte der Fuchs. »Es wird Zeit zu frühstücken.«

Anstelle einer Antwort streckte sich die Katze und gähnte herzhaft. Dann richtete sie sich auf und blickte träge umher. »Guten Morgen, Rotpelz«, sagte sie schließlich. »Wo sind die anderen?«

»Hakir und der Bär kundschaften die Umgebung aus, und Velena ist auf Kräutersuche. Wenn sie wieder hier sind, werden wir weiterziehen.« Ichira wurde langsam richtig wach, und er nahm den Topf vom Feuer. Zwei der Fleischpakete wickelte er aus und steckte sie auf lange Stöcke, um sie in den Flammen zu garen. Während das Essen brutzelte, füllte er zwei Becher mit Tee und ging damit zu der Katze hinüber, die einen der Becher dankbar entgegen nahm.

»Danke«, sagte sie und nahm vorsichtig einen Schluck des heißen Getränks mit ihrer Zunge. Sie blickte ihn an, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann nippte sie ein weiteres Mal an ihrem Becher. Manchmal waren es die unausgesprochenen Worte, die das meiste bedeuteten. Also beschloß auch Rotpelz, im Augenblick das Schweigen zu bewahren.

Das Fleisch war mittlerweile fertig, und die beiden aßen, schweigend nebeneinander sitzend. Rotpelz hatte bereits zwei weitere Stücke ins Feuer gehängt, weil er wußte, daß der Hunger sich nicht so einfach stillen lassen würde. Immer wieder trafen sich ihre Blicke, fast zufällig und doch viel zu oft dafür. Der Fuchs wünschte sich nicht zum ersten Mal, daß sie sich in friedlicheren Zeiten getroffen hätten.

Sie hatten gerade das Frühstück beendet und ihre Sachen gepackt, als Hakir und Zid ins Lager zurückkehrten. Nur wenige Augenblicke später betrat auch Velena die Lichtung, ein Bündel frischer Kräuter in einer Pfote haltend. »Sayh, Freunde«, begrüßte sie die Kundschafter. »Was habt ihr entdecken können?«

»Nichts Beunruhigendes«, erwiderte der Wolf lächelnd. »Der weitere Weg scheint genauso problemlos zu sein, wie bisher. Der Wald wird uns noch eine ganze Zeit begleiten, so wie es aussieht.« Während er sprach, begann er damit, das Feuer mit Sand und Steinen zu löschen.

»Dann sollten wir uns auf den Weg machen.« Velena blickte zu Rotpelz und Ichira hinüber. »Das heißt, wenn Ihr bereit seid.«

»Oh, natürlich«, erwiderte der Fuchs. »Ich für meinen Teil bin soweit. Und du?«

Die Katze nickte. »Von mir aus können wir losziehen.« Ein Schatten schien sich über ihr Gesicht zu legen, während sie sprach, und Rotpelz seufzte innerlich. Die unbeschwerte Zeit schien bald wieder vorbei zu sein. Viel zu bald, für seinen Geschmack.

Das Lager war schnell abgebrochen, und die fünf Wanderer setzten ihren Weg fort. Die Spur führte sie in einer deutlich sichtbaren Linie durch den Wald. Zu beiden Seiten der Schneise begleitete sie das dichte Pflanzenwerk, wie die Mauern einer Gasse in einer Stadt. Dennoch war der Wald nicht düster oder bedrohlich. Kleines Getier raschelte überall, Vögel zwitscherten, und es roch nach Pilzen und Beeren, die in den schattigen Flecken wuchsen. An ihrer Marschordnung hatten sie nichts geändert. Der Wolf und Velena gingen weiterhin voran, während Zid über das wachte, was ihnen von hinten zu nahe kommen könnte. Dazwischen gingen Rotpelz und Ichira Hand in Hand; ihre Aufmerksamkeit schien nun weniger dem Weg oder ihrer Umgebung zu gelten, auch wenn sie sich ab und an umsahen und in den Wald spähten. Die Nähe des anderen zu spüren bedeutete für sie im Augenblick mehr als die Reise.

Doch als sie schließlich gegen Mittag eine kleine Rast einlegten, kam das Wissen um das Ziel ihres Weges wieder zurück. Ichira versank in Gedanken, während sie geistesabwesend auf einer kalten Portion Kaninchenfleisch herumkaute.

Rotpelz saß neben ihr und überlegte, wie er sie aus ihrer düsteren Stimmung herauslocken konnte. Dann kam ihm der Abend am See in den Sinn, als er ihr den Umgang mit Pfeil und Bogen erklärt hatte. »Freundin Velena, haben wie ein wenig Zeit für die Jagd?« fragte er die Luchsin, die gerade dabei war, ihre Kräuter zu sortieren.

»Ich denke schon«, erwiderte sie, »auch wenn Ihr Euch beeilen solltet.«

Er wandte sich an Ichira. »Was meinst du? Vielleicht lenkt uns das ein wenig ab. Du hast mir mal gesagt, du würdest ohne Waffen jagen. Ich würde das gerne einmal sehen.«

Die Katze blickte ihn abwesend an. »Es ist wirklich nichts Besonderes dabei«, sagte sie dann.

»Vielleicht kannst du es mir ja beibringen?« Er stand auf und reichte ihr die Pfote. Schließlich stand Ichira ebenfalls auf, und er wandte sich wieder an Velena. »Wir werden nicht lange bleiben.« Dann verließ er mit seiner Begleiterin das Lager, um in den dichten Wald einzutauchen.

Schon mehrere Minuten lang stand er reglos hinter einem Baumstamm verborgen. Seit sie das Rebhuhn erspäht hatten, wartete er nun hier als stiller Beobachter. Ichira war inzwischen dabei, sich an das Tier heranzupirschen. Rotpelz behielt sie im Auge. Er bemerkte, wie sie darauf achtete, außer Sicht zu bleiben und doch immer näher an ihre Beute heranzukommen. Mit geschmeidigen Bewegungen huschte sie von einer Deckung zur anderen, alle Muskeln zum endgültigen Sprung gespannt. Nicht einen Augenblick lang schien sie ihr Opfer aus den Augen zu lassen, während sie sich lautlos weiter vorwagte. Selbst ihr aufgeregt peitschender Schwanz machte kein Geräusch. Nur noch etwa zehn Schritte trennten sie voneinander. Dann duckte sie sich, sammelte ihre Kräfte und stürzte sich auf den Vogel, der mit hektischen Flügelschlägen zu entkommen versuchte. In der Tat schaffte er es, abzuheben und außer Reichweite zu gelangen, doch Ichira sprang an einen Baumstamm, kletterte wie der Blitz daran hoch und fing das Tier in der Luft ab. Mit lautem Krachen stürzten sie beide zu Boden, begleitet von einem lauten Knurren und Gackern, das aber abrupt aufhörte. Ein paar Federn sanken träge zu Boden, während Rotpelz zu Ichira hinüberrannte.

Als er die Stelle erreichte, wo die Katze gelandet war, sah er, wie sie keuchend am Boden lag und das noch leicht zuckende Rebhuhn zwischen ihren Zähnen hielt. Sie ließ es fallen und erlöste es mit einer kurzen Bewegung ihrer scharfen Krallen von seinen Leiden.

»Alle Achtung!« sagte Rotpelz, während Ichira sich das Blut von den Lefzen leckte. »Ich bin beeindruckt.«

Die Katze grinste. »Möchtest du es auch einmal versuchen?«

»Oh, nein!« lachte er und setzte sich neben sie. »Ich glaube nicht, daß ich für diese Art der Jagd besonders geeignet bin. Außerdem kann ich nicht klettern.« Zur Verdeutlichung wies er auf den Baumstamm, in dessen Rinde einige Löcher entstanden waren. »Ich denke, da bleibe ich lieber bei Pfeil und Bogen.«

Sie nickte. »Damit läßt sich auch durchaus vernünftig jagen. Obwohl ich wohl nie auf meine Art der Jagd verzichten würde. Es - nun ja, es ist einfach etwas anderes. Die Konzentration, die Anspannung, und dann der entscheidende Sprung. Das alles hat etwas Besonderes an sich, das ich mit einer Waffe nicht vergleichen kann.«

»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Rotpelz leise und grinste plötzlich. »Aber ich glaube kaum, daß du so viel Freude an deiner Art der Jagd hast, wie ich daran, dir dabei zuzusehen. Der Sprung am Schluß war erstklassig.«

»Vielen Dank für das Kompliment, Freund Fuchs«, erwiderte sie und leckte ihm über die Schnauze. »Ich hoffe, die kleine Vorstellung hat dir gefallen.«

»Und ob sie das hat«, sagte er, während er sich zu ihr hinüberbeugte. Dann legte er seinen Arm um ihre Hüfte und leckte ihr den Nackenpelz.

Eine Zeitlang hielten sie einander umschlungen und strichen sich über das Rückenfell, beide in der Nähe des anderen versunken. Doch dann hörten sie Hakirs Rufe, der wissen wollte, wo sie blieben. Lachend trennten sie sich voneinander, nahmen das erlegte Rebhuhn mit und kehrten zum Lager zurück.

Innerhalb der nächsten zwei Tage änderte sich nicht allzu viel an ihrem Tagesablauf. Morgens wanderten sie los, rasteten am Mittag und gingen schließlich weiter bis zum Abend. Gelegentlich unterbrachen sie ihren Marsch für eine kurze Lagebesprechung, doch alles in allem kamen sie gut voran. Ichira und Rotpelz sorgten jeder auf seine Weise für frisches Fleisch, während Velena ihre Mahlzeiten mit Kräutern und Beeren anreicherte. Hakir führte sie unermüdlich voran, während Zid wie gewohnt in der Nachhut blieb. Den Wald hatten sie bald hinter sich gelassen, der einer grasbewachsenen Steppe Platz gemacht hatte. Am Horizont konnten sie deutlich das Gebirge erkennen, dem sie im Laufe ihrer Verfolgung immer näher gekommen waren.

Während einer Rast hatte Rotpelz sich wieder einmal mit Hakir unterhalten und ihn gefragt, aus welchem Grunde Velena mit ihnen zog. »Ihr sagtet, sie würde Euch folgen, doch ich habe den Eindruck, daß sie keinerlei Führung benötigt.«

»Das glaube ich auch nicht«, hatte der Wolf geantwortet. »Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, warum sie sich mir angeschlossen hat. Zid und ich waren schon seit einiger Zeit hinter den Echsen her, als wir zufällig am Wegesrand ihr Lager entdeckten. Sie lud uns ein, uns am Feuer auszuruhen und uns zu stärken.

Dabei kamen wir ins Gespräch und stellten fest, daß wir eine gemeinsame Mission zu erfüllen hatten. Ähnlich wie bei Euch und Eurer - Begleiterin haben wir uns dann entschlossen, den Weg gemeinsam zu gehen.«

»Ihr seid bei der Wahl Eurer Mitstreiter anscheinend nicht besonders vorsichtig«, hatte Rotpelz lachend erwidert. »Immerhin habt Ihr keine Anstrengungen unternommen, uns zu überwachen oder etwas Ähnliches. Was machte Euch so sicher, daß wir nicht einfach nur zwei Strauchdiebe waren, die es auf Eure Habe abgesehen hatten?«

»Es wundert mich, daß Ihr diese Frage überhaupt stellt, Freund Fuchs. Habt Ihr nicht in Velenas Augen gesehen? Sie scheint einem damit bis in die Seele hineinzublicken. Ich weiß, wenn sie in Euch etwas Bedrohliches erkannt hätte, hätte sie niemals zugestimmt, daß Ihr uns begleitet.«

Rotpelz hatte an ihre erste Begegnung zurückgedacht und sich an den ersten Blick ihrer unergründlichen Augen erinnert. »Velena ist in der Tat eine besondere Person. Ich bin froh, daß wir jemanden mit ihren Fähigkeiten bei uns haben dürfen.«

Am frühen Nachmittag machte sich erneut ein Wechsel der Landschaft bemerkbar. Die Luft roch feuchter und modrig, der Boden unter ihren Pfoten fühlte sich weich und durchnäßt an, und Insekten schwirrten in großer Zahl um sie herum. Weiter voraus schien das Gras immer spärlicher zu werden um kleinen Tümpeln und Schilf zu weichen, das an ihren Rändern wuchs. In einer Entfernung von etwa einer Meile wuchsen wieder Bäume, vermutlich setzte sich der Sumpf in diesem Wald fort.

»Was nun, Freund Wolf?« fragte Velena ruhig, als die Gruppe zu einem Halt kam. »Der Weg scheint beschwerlicher zu werden.«

Hakir überlegte einen Moment. »Es gibt zwei Möglichkeiten, die für uns in Frage kommen: Wir können den Spuren folgen und den Sumpf in gerader Linie durchqueren, oder wir umrunden das feuchtere Gelände, um sie auf der anderen Seite wiederzufinden.«

»Das dauert zu lange.« Das erste Mal, seit Rotpelz und Ichira der Gruppe beigetreten waren, erhob Zid die Stimme. Der Fuchs war über die plötzliche, dunkle Stimme so überrascht, daß er beinahe seinen Stab fallen ließ. Dann sprach der Bär weiter: »Wir könnten die Spur auf der anderen Seite verlieren.«

»Genauso könnten wir sie im Sumpf verlieren«, gab Velena zu bedenken. »Der Boden ist instabil und schlammig. Es könnte durchaus sein, daß wir bald nicht mehr erkennen können, wo sie weitergegangen sind.«

»Ich denke, Velena hat recht«, stimmte Ichira zu. »Der Sumpf birgt zu viele Gefahren, und womöglich wird uns der schwierige Boden nur unnötig aufhalten. Wenn wir uns nahe am Rand vorwärtsbewegen, sollten wir früher oder später wieder auf ihre Spur stoßen.«

Nach einer kurzen Beratung kamen sie zu dem Schluß, das gefährliche Gelände zu umgehen und zu hoffen, daß sie die Fährte dort wieder aufnehmen konnten, wo sie den Sumpf verließ. Die Mücken und Stechfliegen begleiteten sie allerdings weiterhin, so daß sie mehr als einmal anhalten und ihr Fell von den lästigen Insekten befreien mußten. Zu Anfang hatte Rotpelz begonnen, ihnen die Störenfriede durch seine Kraft vom Leibe zu halten, doch mußte er feststellen, daß ihn diese Art der Abwehr zu sehr anstrengte, und schon bald gab er diesen Versuch auf.

Innerhalb einer Stunde hatten sie den Waldrand erreicht. Auch hier wuchsen die Bäume sehr dicht beieinander, zumindest auf der dem Sumpf abgewandten Seite. Diesmal fehlte ihnen allerdings der ausgetretene Pfad, dem sie bisher hatten folgen können. So mühten sie sich durch widerstandsfähiges Unterholz und Farnkraut, oder wählten eine andere Richtung, wenn ihr Weg zu schwierig wurde. Einen Vorteil hatte der Wald allerdings gegenüber dem offenen Gelände, durch das sie zuvor gewandert waren: Die Insekten waren hier bei weitem nicht so zahlreich.

Rotpelz spürte die Müdigkeit in seine Glieder kriechen. Sie waren nun bis zum frühen Abend gewandert, hatten sich einen Weg durch Büsche und Dornen gebahnt und versucht, ein angemessenes Tempo zu halten. Daher war er sich nicht sicher, ob die Bewegung, die er gerade aus dem Augenwinkel erhascht hatte, tatsächlich da gewesen war, oder ob ihm sein erschöpfter Geist einen Streich gespielt hatte. Während er den anderen hinterherstapfte blickte er sich immer wieder nach links um. Plötzlich sah er es wieder, ein kurzes, oranges Aufblitzen, halb verdeckt durch die Blätter und Zweige des Waldes. Zuerst wollte er seinen Gefährten etwas zurufen, doch irgend etwas hielt ihn davon ab. Während er beobachtete, fiel er immer weiter zurück und stellte fest, daß er scheinbar eine andere Richtung eingeschlagen hatte. Anfangs begann er sich darüber zu wundern, doch dann sah er wieder etwas: Eine Gestalt bewegte sich vor ihm zwischen den Bäumen. Sie hatte in etwa seine Größe und ein rotbraunes Fell, ähnlich seinem eigenen. Im nächsten Moment war sie wieder verschwunden, und Rotpelz machte einen weiteren Schritt auf sie zu, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Doch plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und riß ihn zurück. »Rotpelz, wo willst du hin?« fragte eine Stimme, die er nur am Rande wahrnahm. »Freund Fuchs! Antworte mir!« Im nächsten Moment fühlte er einen dumpfen Schmerz, der seinen Kopf durchzuckte und ihn in bodenlose Schwärze fallen ließ.

Ichira wirbelte erschrocken herum, als der Fuchs plötzlich neben ihr zusammensackte. Zwei Pfeile steckten in seinem Fell, und etwas hatte ihn am Kopf getroffen und betäubt. Als sie vor ein paar Augenblicken bemerkt hatte, daß Rotpelz nicht mehr neben ihr war, hatte sie sich nach ihm umgesehen. Verwundert hatte sie beobachtet, wie er gerade im Begriff war, ihren Weg zu verlassen und in den Sumpf hineinzugehen. Dabei hatte sein Gesichtsausdruck eine Art Geistesabwesenheit an sich gehabt, als wußte er nicht, wo er sich befand.

In diesem Augenblick brachen mehrere Gestalten aus dem dichten Strauchwerk rechts von ihrem Weg heraus. Ichira erstarrte für einen Moment, als sie die schuppigen Kreaturen auf sich zukommen sah, doch dann packte sie Rotpelz unter den Schultern und zog ihn zu Hakir und den anderen hinüber, die sich bereits kampfbereit gemacht hatten. Sie hoffte, daß er nicht zu schwer verletzt war.

Als dann der gesammelte Angriff der Echsen über sie hereinbrach mußte sie die Gedanken an ihren Freund erst einmal zurückstellen. Sie wünschte, sie hätte ihren Bogen schußbereit machen können, doch dafür blieb jetzt keine Zeit mehr. Die erste Echse war schon an sie herangekommen und bedrohte sie mit einem Säbel. Auch die anderen waren mittlerweile in Kämpfe verwickelt. Am Rande konnte sie sehen, wie Zid mit einem schwungvollen Hieb seines Schwertes den Kopf einer Echse bis zur Mitte spaltete und ihren Körper durch die Wucht des Schlages der zweiten gerade angreifenden Kreatur entgegenwarf. Auch Velena und Hakir hielten sich gut, wenn sie auch angesichts der Übermacht wohl noch in größere Probleme kommen würden. Insgesamt waren es an die zehn Echsen, die ihnen aufgelauert hatten.

Flink wich Ichira den Schlägen ihres Angreifers aus, doch sie wußte, daß ihre Geschwindigkeit irgendwann nachlassen würde. Sie mußte einen Weg finden, sich aus der Reichweite der Waffe zu halten, ihre Krallen waren leider nur im direkten Kampf zu gebrauchen. Da erinnerte sie sich an die Jagd. Mit einem kurzen Blick prüfte sie ihre unmittelbare Umgebung und sprang dann an dem Stamm eines in der Nähe stehenden Baumes hinauf. Von dort aus stieß sie sich sofort wieder ab, prallte direkt mit der überraschten Echse zusammen und riß sie zu Boden. Dabei hatte sie ihre Krallen in die Kopfschuppen geschlagen. Blut spritzte.

Der Körper unter ihr zuckte noch leicht als sie sich aufrappelte. Die Echse hatte ihren Säbel fallengelassen, und Ichira hob die Waffe auf. Sie lag etwas ungewohnt in der Pfote, doch nun hatte sie immerhin etwas, womit sie sich verteidigen konnte. Geduckt erwartete sie den Angriff des nächsten Kriegers, der sie erneut in ein Handgemenge verwickelte.

Im gleichen Moment gab es zu ihrer Linken einen kurzen Blitz, Schmerzensgeheul wurde hörbar, und zwei Echsen flohen mit den Klauen vor den Augen vor Velena, die ihre Pfoten vor ihrem Körper ausgestreckt hatte. Der Geruch nach verbrannten Schuppen lag in der Luft. Hinter ihr lieferte sich Hakir gerade mit einer weiteren Kreatur ein Gefecht. Seine linke Schulter hatte anscheinend einen Schlag abbekommen, das Fell dort war blutverschmiert und zerrissen. Dennoch hielt er seinen Gegner auf Distanz, drängte ihn sogar weiter zurück.

So wie es aussah hatte sich das Blatt gewendet.

Wenig später war der Kampf vorbei. Sechs Echsen lagen tot um sie herum, die übrigen flohen durch den Wald. Sie hielten sich nicht damit auf, sie zu verfolgen - dazu waren sie selbst zu erschöpft. Hakir hatte es am schlimmsten erwischt, doch Velena kümmerte sich bereits um ihn. Zid schien keinen Kratzer abbekommen zu haben, und auch Ichira war ohne größere Blessuren davongekommen.

Jetzt, da sich die Situation wieder beruhigt hatte, wandte sich die Katze wieder Rotpelz zu. Doch der Fuchs war nicht mehr dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Beunruhigt blickte sie umher, konnte ihn aber nirgends entdecken. Schnell ging sie zu Velena hinüber, die sich gerade mit Hakirs verletzter Schulter beschäftigte. »Habt Ihr Rotpelz gesehen? Ich kann ihn nicht finden.«

Die Luchsin sah zu ihr auf. »Nein, ich weiß nicht, wo er ist. Ich habe ihn aber auch während des Kampfes nicht gesehen.«

»Ein Schleuderstein hat ihn getroffen«, sagte Ichira. »Ich habe ihn dort drüben hingebracht, aber er ist nicht mehr da. Sie müssen ihn verschleppt haben!«

»Ganz sicher nicht«, antwortete Velena. »Ich habe ihren Rückzug beobachtet. Keiner von ihnen hat ihn bei sich gehabt. Entweder ist er geflohen oder fortgegangen.«

»Das glaube ich nicht. Er würde nicht so einfach verschwinden.« Sie ging zu der Stelle, wo sie Rotpelz zuletzt gesehen hatte und begann, sich genauer umzusehen. Dabei fielen ihr die Spuren auf, die ein Stück weiter entfernt zu erkennen waren. Es sah aus, als hätte man hier jemanden entlanggeschleift. Sie folgte der Fährte ein Stück und stellte fest, daß sie in das Sumpfgelände führte. Sofort wandte sie sich wieder um und lief zu den anderen zurück. »Ich habe eine Spur gefunden! Es muß jemand hier gewesen sein, während wir uns mit den Echsen herumgeschlagen haben. Wir müssen ihn suchen!«

»Wo ist diese Spur?« fragte Hakir, der mittlerweile einen sauber angelegten Verband um seine Schulter trug.

Ichira führte sie und wies auf das dichte Farnkraut, das an einigen Stellen niedergetrampelt worden war. »Hier ist es.«

Der Wolf ließ sich vor der Fährte nieder und betrachtete die kleine Schneise aufmerksam. »Wir sollten uns beeilen«, sagte er dann. »Weit kann er noch nicht sein. Wer auch immer unseren Freund fortgebracht hat, scheint große Mühe gehabt zu haben.«

So folgten sie diesmal einer schmaleren Spur, die sich durch das dichte Unterholz zog. Ichira hatte ihren Bogen gespannt und einen Pfeil auf die Sehne gelegt. Dieses Mal wollte sie vorbereitet sein. Wachsam bewegten sie sich vorwärts, während der Untergrund langsam aber sicher immer feuchter wurde. Die niedrigen Sträucher verschwanden und machten Moos und Gräsern Platz, die in dem durchweichten Boden besser gedeihen konnten. Doch das Ausbleiben größerer Bodenpflanzen machte auch das Spurenlesen schwieriger. Schon bald war die Fährte nur noch schwach zu erahnen und verschwand schließlich ganz.

Hakir blieb stehen und spähte durch die Bäume, die sich gegen die unwirtlichen Bedingungen des Sumpfes behaupteten. »Ich fürchte, wir haben die Spur verloren. Der Boden ist zu weich, und weiter voraus sieht es noch feuchter aus.«

»Aber er muß irgendwo dort sein«, flehte Ichira. »Wir dürfen nicht so schnell aufgeben.«

»Ich glaube nicht, daß es noch viel Sinn hat, weiterzusuchen«, sagte Hakir. »Ohne eine Spur von ihm wird es unmöglich sein, ihn in diesem Sumpf zu finden. Ganz abgesehen von den Gefahren, denen wir uns dort aussetzen würden.«

»Wir können ihn doch nicht einfach so zurücklassen!« rief Ichira aus. »Er braucht unsere Hilfe!«

»Auch unsere Leute brauchen unsere Hilfe«, sagte Velena. »Was ist mit Eurer Sippe? Wollt Ihr nicht auch, daß sie befreit werden? Wir haben nicht mehr viel Zeit, sie zu finden.«

Ichira war zwischen ihrem Volk und Rotpelz hin- und hergerissen. Einerseits tobte in ihr immer noch die Wut über den Angriff der Echsen auf ihr Dorf, aber andererseits hatte sie Angst um das Leben ihres neu gewonnenen Freundes. Hilflos blickte sie von einem Gesicht zum anderen, doch keines von ihnen hielt eine Antwort für sie bereit.

Velena brach das lange Schweigen. »Ichira. Bitte glaubt nicht, daß uns das Leben Eures Gefährten gleichgültig ist. Doch unsere Freunde brauchen uns. Und der Zeitpunkt unserer Rache rückt näher. Wir können nicht länger hier verweilen. Entscheidet Euch nun, ob Ihr mit uns kommt oder ob sich unsere Wege hier trennen sollen.«

Gedanken und Gefühle purzelten in ihrem Kopf durcheinander, als sie ihren Blick über den Sumpf wandern ließ. Ihre Pfoten öffneten und ballten sich abwechselnd zu Fäusten, während sie versuchte, einen Entschluß zu fassen. Velena und ihre Begleiter boten ihr keinen Rückhalt außer der vagen Möglichkeit, ihrem Stamm zu helfen. Rotpelz konnte ihr zwar auch keine Garantien geben, doch war sie sich sicher, daß er mehr in ihr sah, als eine einfache Reisebegleiterin. Als sie sich den anderen wieder zuwandte hatte sie ihre Entscheidung gefällt. »Ich werde ihn suchen gehen. Sobald ich ihn gefunden habe, werde ich zurückkommen und die Spur der Echsen bis zu Euch verfolgen. Ich hoffe, es wird nicht zu lange dauern.«

»Seid Ihr sicher, daß Ihr Euch alleine in den Sumpf wagen wollt?« fragte Hakir. »Das Gelände ist tückisch, und Ihr könntet Euch möglicherweise verlaufen. Die Nacht wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.«

Ichira schnaubte. »Ich kann schon auf mich aufpassen, Freund Wolf. Ich werde ihn finden, und wir werden gemeinsam wieder zu Euch stoßen.«

»Dann ist es das Beste, wenn wir uns gleich jetzt trennen, bevor noch mehr Zeit vergeht«, sagte Velena und seufzte tief. »Es tut mir leid, daß wir Euch nicht bei Eurer Suche helfen können. Doch ich wünsche Euch und Eurem Freund alles Gute. Ich hoffe sehr darauf, Euch beide bald wiederzusehen.«

»Das hoffe ich auch«, antwortete Ichira freundlich, doch in sich fühlte sie Enttäuschung. Sie konnte nicht verstehen, warum Velena so plötzlich auf Eile drängte. »Meine besten Wünsche mit Euch.« Damit wandte sie sich ab und machte sich auf den Weg. Sie sah nicht mehr zurück, doch die Geräusche der sich entfernenden Pfoten konnte sie deutlich vernehmen. Nun lag es alleine an ihr.

Schwärze. Überall um ihn herum. Dumpfer Schmerz pochte in seinem Kopf und sandte pulsierende Blitze über seine Augen. Er hob die Lider, aber die Dunkelheit blieb. Er versuchte sich aufzurichten, doch seine Glieder fühlten sich schwer wie Blei an. Mehr Schmerzen wurden spürbar, und er keuchte. Sofort spürte er die sanfte Berührung zweier Pfoten, die ihn zurück auf sein Lager drückten. »Ichira?« fragte er, allerdings glich seine Stimme nur einem Flüstern.

»Schsch«, machte eine Stimme. Die Pfoten strichen über das Fell an seinen Wangen und seiner Stirn.

Er fühlte sich schwach und doch geborgen. Rotpelz schnupperte und erkannte den Geruch von Holz, Kräutern und kochender Brühe. Irgendwo in der Nähe mußte ein Topf über dem Feuer hängen. Er hörte, wie ein Gefäß gefüllt wurde, und einen Augenblick später spürte er eine Bewegung neben sich. Seine Pfoten wurden zu einer Holzschale geführt, deren Inhalt warm und duftend war. Vorsichtig probierte er mit seiner Zunge und stellte fest, daß es sich um einen wohlschmeckenden Fleischeintopf handelte. Geführt und gestützt von den zärtlichen Pfoten setzte er die Schale an seine Schnauze und trank in kleinen Schlucken. Das warme Gebräu breitete sich angenehm in seinem Körper aus. »Danke«, brachte er heraus, als er fürs erste gesättigt war.

Als er wieder alleine war, hob er seine Pfoten an sein Gesicht um herauszufinden, warum er nichts sehen konnte und woher die Schmerzen in seinem Kopf stammten. Er spürte, daß ein feuchtes Tuch über seine Augen gelegt worden war und hob es vorsichtig an. Zuerst konnte er nicht allzu viel erkennen. Ein rötlich flackerndes Licht zeichnete wirre, sich laufend verändernde Muster an eine Holzdecke. Behutsam drehte er seinen Kopf zur Seite. Anscheinend lag er in einer Holzhütte. Sie mußten einen Unterschlupf gefunden haben. Das Fenster in der Wand, die er sah, hatte keine Schlagläden, dennoch fiel kein Licht in den Raum; anscheinend war es mittlerweile Nacht geworden. Erneut bewegte er seinen Kopf und sah eine Gestalt an einer Feuerstelle, die etwas in einem Kessel umrührte. Vermutlich war sie diejenige, die ihnen ihre Gastfreundschaft angeboten hatte.

Während er sich umblickte stellte er fest, daß er an mehreren Stellen seines Körpers Verbände trug. Also mußte etwas Schlimmeres geschehen sein. Er wollte etwas fragen, doch seine Stimme versagte. Er räusperte sich und versuchte es erneut: »Was ist passiert? Wo bin ich?« krächzte er.

Die Gestalt am Feuer wandte sich um, als sie ihn hörte. Rotpelz war überrascht, als er ihr Gesicht sah. Es war eine Füchsin, ihre Züge zeigten Besorgnis aber auch Güte. Sie war schön, und in ihren Augen lag etwas Eigentümliches. Der Fuchs spürte eine ähnliche Macht, wie sie Velena ausgestrahlt hatte. Und er fühlte noch etwas, doch dann verschwand der Eindruck wieder. Er vermutete, daß er noch zu schwach war, um klare Gedanken fassen zu können.

»Du bist in Sicherheit«, antwortete sie. Ihre Stimme hatte etwas Betörendes an sich, das in seinen Geist eindrang. Wieder fühlte er sich an Velena erinnert, als sie zum ersten Mal auf Ichiras Frage geantwortet hatte.

»Wo sind die anderen? Ichira? Was ist mit ihr?« Erneut versuchte er sich aufzusetzen, doch seine Schmerzen ließen es nicht zu.

Die Füchsin machte ein paar Schritte auf ihn zu, um sich neben sein Lager zu knien. Sanft legte sie ihre Pfoten auf seine Schultern und drückte ihn zurück.

»Mach dir keine Sorgen um sie. Es ist alles gut. Ruh dich aus, ich werde über dich wachen.«

Die Kraft ihrer Worte umfing seine Besorgnis und zerstreute sie. Die Gedanken an seine Begleiter verblaßten, und er entspannte sich wieder. Er fühlte die Nähe der Füchsin, die ihm das Gefühl der Sicherheit gab. Leise murmelte sie ein paar Worte, doch er konnte nicht mehr zuhören. Sein Geist wanderte fort, und sein Bewußtsein schwand.

Als er wieder erwachte waren die Schmerzen vergangen. Er fühlte sich ausgeruht und bei Kräften. Die Hütte war in warmes Licht getaucht, das durch das Fenster hereinfiel. Der Morgen hatte gerade begonnen. Er konnte sich nicht erinnern, wie er an diesen Ort gelangt war. Als er versuchte, sich die Ereignisse der letzten Tage ins Gedächtnis zu rufen, fand er nur eine Art Nebel, der sich um sein Bewußtsein zog. Noch weiter zurück wurde der Dunst immer dichter, bis er völlig undurchdringlich war. Zuerst beunruhigte ihn das etwas, doch dann verging das Gefühl wieder. Er wußte, er war in Sicherheit, ein neues Leben lag vor ihm.

Die Tür öffnete sich, und die Füchsin betrat den Raum. Ihre Schönheit war nun im Licht des Morgens unverhüllt sichtbar. Kein Makel zeigte sich auf ihrem Körper, ihr Gang war leicht und schwungvoll, die Art, wie sie ihre Schweif bewegte, erinnerte an wogendes Gras und fließendes Wasser. Als sie sprach klang ihre Stimme wie Musik in seinen Ohren. »Ich sehe, du bist wach, mein Freund. Es freut mich, dich wieder bei voller Gesundheit anzutreffen.« Sie schoß die Tür wieder und kam zu seinem Lager.

Der Fuchs hatte sich mittlerweile aufgesetzt und betrachtete die betörende Schönheit vor sich mit verklärtem Blick. Er hatte den Eindruck, ihr Gesicht schon eine Ewigkeit zu kennen. Während sie näherkam fühlte er eine Kraft, die sich um ihn legte und seinen Geist umfing.

»Ich spüre, daß du die gleiche Macht besitzt, über die ich verfüge«, sprach die Füchsin weiter. »Als Ausgleich für dein gerettetes Leben will ich, daß du sie zu meiner machst.«

»Ay! Alles, was du willst«, murmelte der Fuchs. »Nimm was du begehrst.«

Sie ließ ihren Kopf sinken und leckte ihm über die Schnauze. »Dann gib dich mir hin, vereinige dich mit mir, wie sich unsere Kräfte vereinigen werden.« Die Füchsin legte sich über ihn und streichelte sanft sein Gesicht.

Er schloß die Augen und verlor sich in der zärtlichen Berührung der Pfoten auf seinem Fell. Voller Erregung spürte er ihr Gewicht auf seinem Körper. Mit seinen Armen umschlang er sie, ließ seine Pfoten über ihren Rücken wandern und streichelte den weichen Pelz. Ihr Duft war hypnotisierend und steigerte seine Lust noch weiter. Und je stärker seine Erregung wurde, desto tiefer fühlte er sich mit ihr verbunden. Er gab sich auf, seine Stärke wurde von ihrer aufgesogen, seine Kraft verschmolz mit einer weit stärkeren. Seine Gefühle wanderten weit fort - er spürte die spitzen Krallen zu beiden Seiten seines Kopfes, wie sie zärtlich sein Fell durchdrangen. Das tiefe Grollen aus Ichiras Kehle zeugte von der tiefen Empfindung, die sie durchströmte.

Plötzlich öffnete Rotpelz die Augen. Das war nicht Ichira! Was war geschehen? Der Gedanke an die Katze brachte alles wieder in sein Gedächtnis zurück. Der Körper der Füchsin lag immer noch auf seinem, und er spürte die Kraft, die versuchte, seinen Geist gefangen zu halten. Mit aller Macht, die ihm noch zu eigen war, stemmte er sich gegen die mentale Mauer, die sie um ihn errichtet hatte und befahl seinem Körper, wieder seinem Willen zu gehorchen. In sich fühlte er einen Schmerz, als ob etwas zerriß, und dann stieß er sie von sich, ein lauter Schrei entfuhr seiner Kehle.

Wie der Blitz war die Füchsin wieder auf den Beinen. Mit angelegten Ohren stand sie vor dem Fuchs, der mittlerweile ebenfalls aufgesprungen war. »Du wagst es, dich mir zu widersetzen?« knurrte sie. »Es wäre einfacher für dich, wenn du deinen Widerstand aufgibst.«

»Niemals!« rief er und wich taumelnd an die hintere Wand der Hütte zurück. »Ich weiß nicht, wer oder was du bist, aber du wirst mich nicht bekommen!«

»Törichter Fuchs!« spottete sie. »Du bist längst mein! Und je eher du dies einsiehst, desto besser für dich. Vergiß die anderen, vergiß deine Katzenfreundin!«

»Nein!« schrie er und sprang vor. Mit seinem vollen Gewicht warf er sich auf sie und schleuderte sie gegen die gegenüberliegende Holzwand. Wieder spürte er ihre Kraft nach seinem Geist greifen, doch seine Wut gab ihm die Macht, ihr standzuhalten. Er ließ von ihr ab und floh zur Tür hinaus in den Wald.

Angst und Haß trieben seine geschwächten Glieder voran. Er spürte ihre Verfolgung, obwohl er sich nicht umwandte. Sie gab ihn nicht frei, ihr Geist steckte immer noch in seinem, versuchte ihn zur Aufgabe zu zwingen. Wieder und wieder verschwamm sein Blick, und er mußte sich zusammenreißen, um nicht dem Druck zu erliegen. Der Gedanke an Ichira hielt ihn aufrecht. Er mußte sie erreichen, mußte sie finden. Sie war seine letzte Hoffnung.

Unvermittelt kam sein Lauf zu einem plötzlichen Halt. Eines seiner Beine war in den trügerisch weichen Boden des Sumpfes eingesunken. Durch seinen schnellen Lauf verlor er das Gleichgewicht und stemmte das andere Bein vor sich in die Erde. Jetzt steckte er bis zu den Knien in weichem Schlamm, der langsam unter seinem Gewicht nachgab. Panisch versuchte er, dieser tödlichen Falle zu entkommen, doch je mehr er gegen den Griff des Morastes ankämpfte, desto tiefer wurde er hinabgezogen. Innerhalb weniger Augenblicke steckte er bis zu den Hüften fest, und immer noch versank er. Dann sah er die Füchsin, wie sie langsam, beinahe aufreizend vor ihm aus dem Wald trat. Seine Flucht war gescheitert.

Aufmerksame Augen betrachteten die Umgebung vor sich. Die Fährte war längst nicht mehr zu sehen, doch Ichira wollte nicht aufgeben. Angestrengt suchte sie nach Hinweisen, die ihr den Weg leiten konnten. Dabei verließ sie sich jetzt mehr auf ihr Gefühl als auf tatsächliche Spuren. Sie wählte ihren Weg beinahe zufällig. Immer wenn sie den Eindruck hatte, eine Veränderung in ihrer Umgebung festzustellen, wandte sie sich dorthin. Sie behandelte ihre Suche nun wie die Jagd. Alle Instinkte und Sinne waren darauf ausgelegt, ihre Beute zu finden. Nur daß sie diesmal nicht nach eßbarer Beute forschte. Mehr als einmal mußte sie von ihrer gewählten Route abweichen, weil ihr ein Tümpel oder eines der zahlreichen Schlammlöcher den Weg versperrte. Je weiter sie kam, desto schwieriger wurde ihr Weg, doch sie hielt nicht an. Das Licht des Abends war zur Nacht geworden, und längst fehlten ihr jegliche Anhaltspunkte für ihren weiteren Weg. Trotzdem stapfte sie voran, denn immerhin gab es eine - wenn auch sehr geringe - Möglichkeit, daß sie aus Zufall auf Rotpelz oder seinen Entführer stieß.

Während der Nacht kam sie nur langsam voran. Insekten umschwirrten sie, die sich lästig in ihrem Fell und den Ohren festsetzten. Ständig schüttelte sie sich, um wenigstens einen Augenblick von ihnen verschont zu bleiben, doch gleich darauf waren sie wieder da. Außer dem schrillen Geräusch der winzigen Flügel hörte sie hier und da träges Blubbern, wenn sich eine Blase aus faulig riechendem Gas an die Oberfläche einer der Morastgruben gearbeitet hatte und dort zerplatzte. Sie biß die Zähne zusammen und ging weiter, beständig gegen die aufkommende Müdigkeit und Erschöpfung ankämpfend.

Der Morgen brach an. Immer noch hatte sie keine Spur von Rotpelz gefunden. Ihr Fell war naß und verschmutzt, überall hatten sich kleine Zweige, Blätter und Kletten verfangen; sie hatte es mittlerweile aufgegeben, sie einzeln herauszuzupfen. Entkräftet blieb sie schließlich stehen, stemmte ihre Arme in den Rücken und streckte sich. Ihre Umgebung sah immer noch genauso aus, wie am Abend ihrer Trennung von der Gruppe. Dennoch hatte sie zumindest ihre Orientierung nicht verloren. Sie wußte genau, in welcher Richtung das Gebirge lag, doch sie beabsichtigte noch nicht, dorthin zu gehen. Solange noch Hoffnung bestand, wollte sie weitersuchen, auch wenn Velena und die anderen nicht ihrer Meinung waren. Was würde es schon ändern, wenn sie mit ihnen gegangen wäre? Sie war nur eine Jägerin, keine Kämpferin. Und im Moment gab es eine andere Aufgabe für sie, der sie eher gewachsen war.

Am Fuße eines dicken Baumstamms ließ sie sich zu einer kurzen Rast nieder, um neue Kraft zu schöpfen. Die Luft war heiß, stickig und roch nach Fäulnis und Verwesung. Überall summte und zirpte es um sie herum. Ichiras keuchender Atem wurde langsam ruhiger und gleichmäßig, und schließlich fielen ihr die Augen zu.

Sie erwachte mit einem Ruck, als sie ein ungewöhnliches Geräusch vernahm. Schlaftrunken blickte sie sich um. Sie saß immer noch mit dem Rücken an den Stamm gelehnt, doch die Sonne war schon ein Stück weiter aufgegangen. Leise fluchend rappelte sie sich auf, griff nach ihrem Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Wachsam spähte sie umher, konnte aber nichts entdecken. Doch dann hörte sie wieder etwas; es klang wie die schnelle Bewegung eines Körpers, der sich durch den Wald bewegte. Ichira konzentrierte sich auf die Richtung und begann zu laufen.

Wenige hundert Schritte weiter öffnete sich der Wald plötzlich zu einer kleinen Lichtung, dessen Zentrum von einer feucht glitzernden Oberfläche bedeckt war. Sie konnte gerade noch anhalten, als sie Rotpelz sah, der bis zum Bauch im Schlamm vor ihr feststeckte.

»Ichira! Vorsicht!« rief der Fuchs, doch die Warnung kam zu spät. Die Katze sah nur noch eine verschwommene Bewegung zu ihrer Linken, dann spürte sie einen heftigen Stoß, der sie einige Schritte weit durch die Luft schleuderte. Sie schlug hart auf dem Boden auf und blieb benommen liegen.

Als sie einen Augenblick später wieder zur Besinnung kam, stand eine Gestalt vor ihr, die entfernte Ähnlichkeit mit einem Fuchs besaß. Jedoch fehlte an einigen Stellen ihr Fell, und der Kopf war verformt und mißgestaltet. Fassungslos starrte die Katze ihren Gegner mehrere Sekunden lang an, bevor sie begriff, daß sie sich in höchster Lebensgefahr befand. Ichira schaute sich schnell um, doch ihr Bogen und der Pfeil lagen außerhalb ihrer Reichweite. Knurrend kroch sie ein Stück zurück, die Ohren vollständig angelegt und mit peitschendem Schwanz. Trotz ihrer Schmerzen kam sie auf die Füße und hielt ihre Pfoten mit ausgefahrenen Krallen schützend vor sich, während sie dieses Ungeheuer abzuschätzen versuchte.

Der Angriff erfolgte schnell und unerwartet. Ohne daß sie auch nur den geringsten Ansatz gesehen hätte, sprang das Monster vor und schlug mit seiner Pranke nach ihr. Ichira wurde hart an der linken Schulter getroffen und taumelte ein paar Schritte seitwärts, bis sie sich wieder gefangen hatte. Dabei fühlte sie, wie ihr rechtes Bein ein Stück im Boden versank. So schnell sie konnte zog sie sich zurück, fort von der Schlammgrube, in der Rotpelz immer noch gefangen war. Doch das Wesen setzte ihr nach. Niemals hätte sie ihm eine solche Wendigkeit zugetraut. Wachsam hielt sie sich geduckt außer Reichweite der mächtigen Pranken, bis sie meinte, eine Gelegenheit für einen Angriff gefunden zu haben. Blitzschnell stürzte sie voran, hieb mit ihren Klauen zu und hastete sogleich wieder zurück. Sie hatte Widerstand gespürt, und Blut befleckte ihre Krallen.

Das Ungeheuer heulte vor Schmerz und Wut auf, schien aber nicht sonderlich geschwächt worden zu sein. Ichira tänzelte nervös, immer auf der Suche nach einer weiteren Möglichkeit, einen Schlag anbringen zu können. Doch im nächsten Augenblick warf sich das Monster auf sie. Noch bevor sie ausweichen konnte fühlte sie den schweren Körper auf sich niederstürzen. Sie wurde zu Boden gedrückt, und scharfe, reißende Schmerzen zogen sich über ihren Bauch. Mit lautem Gebrüll aus Qual und Wut legte Ichira all ihre Kraft in ihre Beine, rammte der Kreatur ihre Krallen in den Unterleib und stieß sie von sich. Heißes Blut spritzte umher und besudelte ihr Fell. Keuchend lag sie auf dem Rücken, während das Ungeheuer brüllend zurückwankte.

Doch immer noch blieb es auf den Beinen. Verzweifelt bemühte Ichira sich aufzustehen, aber die Schmerzen waren zu groß. Hilflos sah sie mit an, wie das Monster seine Balance wiederfand und auf sie zukam. Der Tritt traf sie wie ein fallender Felsblock. Für einen Moment blieb ihr der Atem weg, und Finsternis breitete sich vor ihren Augen aus. Dann spürte sie die Klauen des Monsters, es hob sie vom Boden hoch und schleuderte sie durch die Luft. Panisch schützte Ichira ihr Gesicht mit den Armen, als sie heftig gegen einen Baumstamm prallte und auf dem Boden davor liegenblieb.

Rotpelz, der mittlerweile bis über die Brust im Morast eingesunken war, mußte tatenlos zusehen, wie seine Begleiterin - möglicherweise Gefährtin - von diesem Monster, das einmal eine bezaubernd schöne Füchsin gewesen war, brutal malträtiert wurde. Er mußte einen Weg finden, Ichira vor dem sicheren Tod zu bewahren; und wenn er dafür sein eigenes Leben geben mußte. »Laß ab von ihr!« rief er mit letzter Kraft, der Schlamm drückte schwer auf seine Lunge. »Laß sie leben, und ich gebe dir, was du verlangst!«

Das Ungeheuer knurrte und wandte sich dem Fuchs zu. »Dafür ist es jetzt zu spät, Fuchs!« grollte es mit einer unnatürlich tiefen Stimme. »Du hättest dich nicht gegen mich auflehnen sollen! Jetzt werdet ihr beide sterben!«

»Du willst doch nur meine Kraft, also nimm sie dir! Aber laß sie gehen!« Rotpelz keuchte schwer, der Sumpf hatte ihn nun bis zu den Schultern hinabgezogen und schien nicht gewillt, es dabei zu belassen; nur mühsam gelang es ihm, seine Arme an der Oberfläche zu halten. »Sie bedeutet dir doch ohnehin nichts.«

Als Ichira die Stimme ihres Freundes hörte, öffnete sie mühsam die Augen. Ihr ganzer Körper schrie vor Schmerzen, doch einstweilen schien sie außer Gefahr zu sein. Verschwommen erkannte sie das Monster, das seinen Blick von ihr abgewandt hatte und etwas in der Mitte der Lichtung fixierte. Sie konnte die Worte nicht verstehen, ihr Kopf dröhnte zu laut. Plötzlich erkannte sie, wo sie sich befand. Vor Schmerz winselnd drehte sie sich herum und sah etwas vor sich liegen. Mit einer gewaltigen Willensanstrengung verbannte sie ihre Qual in den hintersten Winkel ihres Bewußtseins und konzentrierte sich auf jede einzelne ihrer Bewegungen. Es gelang ihr, ihren Arm auszustrecken und den Bogen zu erreichen, der im Laub lag. Sie nahm einen der Pfeile aus ihrem Köcher, dankte den Ewigen dafür, daß er nicht bei ihrem Sturz zerbrochen war, und legte ihn auf die Sehne. Tränen verschleierten ihren Blick als sie sich erneut umwandte und auf ihr Ziel anlegte. Keuchend, und dem Zusammenbruch nahe, spannte sie die Bogensehne so weit sie konnte und ließ sie fahren.

Rotpelz spürte, daß es nicht viel Sinn hatte, das Ungeheuer zu einem Handel überreden zu wollen. Scheinbar hatte er seine letzte Chance vertan, als er die Füchsin in der Hütte abgewiesen hatte. Nun gab es für ihn nur noch eine winzige Hoffnung. Mit aller Kraft konzentrierte er sich auf den Geist des Monsters, erfühlte die grenzenlose Wut, die von ihm ausging und begann, sie einzukreisen. Doch fast im selben Augenblick hob das Wesen den Kopf und starrte ihn an, die Fratze zu einem dämonischen Grinsen verzogen. Rotpelz spürte, wie seine Macht mit einem beiläufigen Schlag zerstreut wurde, so wie er eine Mücke in der Luft erschlagen hätte, die ihm zu lästig wurde.

»Deine armseligen Fähigkeiten nützen dir jetzt auch nichts mehr. Du hättest sie gleich mir überlassen sollen. Doch nun siehe, wie deine Freundin stirbt, bevor du selbst den Weg der Ewigen Wälder gehst!« Damit wandte sich das Monster wieder Ichira zu.

Zum gleichen Zeitpunkt hörte Rotpelz ein Schwirren, und ein Pfeil schoß auf das Ungeheuer zu, drang durch ein Auge in den Kopf ein und durchbohrte sein Gehirn. Ein wilder Schrei kam aus seiner Kehle, während es noch einige Momente auf den Beinen blieb. Dann sackte es in sich zusammen und kippte zur Seite in den Schlamm, wobei es noch immer von wilden Zuckungen geschüttelt wurde. Schließlich regte es sich nicht mehr, sein Körper begann, langsam im Morast zu versinken.

Der Fuchs erholte sich schnell von seiner Überraschung und bekam die sterblichen Überreste des Wesens zu fassen. Er benutzte den Körper dazu, sich selber aus dem Schlamm zu drücken und gelangte so mühsam an den Rand der morastigen Grube. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu Ichira hinüber, die besinnungslos auf dem Boden lag. Vor ihr, in der ausgestreckten Pfote, lag der Bogen, der ihnen beiden das Leben gerettet hatte.

7

Während er sich die Pfoten mit dem Wasser aus ihrem Lederschlauch wusch betrachtete er sich die Wunden, die Ichira im Kampf gegen das Ungetüm erlitten hatte. Es hatte sie schlimm erwischt, und es gab keine Zeit zu verlieren. Sein Schädel brummte vor Erschöpfung, doch im Augenblick durfte er sich nicht ausruhen. Wehmütig dachte er an seinen Kräutergürtel, der wohl immer noch im Haus der verfluchten Füchsin lag. Für den Moment mußte er wohl ohne ihn auskommen.

Behutsam drehte er Ichira auf den Rücken, um sich die Verletzungen genauer anzusehen. Stellenweise waren die Risse in ihrem Fell sehr tief, dunkelrotes Blut sickerte durch den Pelz aus ihnen heraus. Mit Hilfe einiger Tücher, die seine Gefährtin in ihrem Rucksack hatte, säuberte er zuerst die Schnitte und brachte die schlimmsten Blutungen zum Stillstand. Dann wandte er sich ihrem rechten Bein zu, das unnatürlich verdreht war. Seine Befürchtung wurde bestätigt: Der Oberschenkel war gebrochen.

Aus weichem Laub, Zweigen und Gräsern bereitete er schnell ein bequemes Lager, auf das er Ichira dann vorsichtig hinlegte. Dann machte er sich auf die Suche nach brauchbaren Stöcken, um ihr Bein zu schienen. Dabei hielt er sich allerdings immer in Sichtweite; seine Sorge um die Katze ließ ihn nicht los. Er konnte kaum glauben, daß sie für ihn ihr Leben riskiert und beinahe verloren hatte. Doch er wußte, er hätte bedenkenlos dasselbe für sie getan.

In der näheren Umgebung suchte er alles zusammen, was er an Kräutern und eßbaren Früchten finden konnte. Es war nicht besonders viel, doch jedes kleine Stück war kostbar und konnte womöglich über Leben und Tod entscheiden. Es stand nicht besonders gut um sie. Der Blutverlust hatte sie sehr geschwächt, und trotz seiner Bemühungen konnte er nicht verhindern, daß weiterhin Tropfen um Tropfen in das Laub fiel.

Während er aus seinen gesammelten Kräutern und Gräsern eine behelfsmäßige Wundsalbe herstellte, wich er nicht von ihrer Seite. Er lauschte auf jeden Atemzug, wartete ängstlich darauf, daß sich ihre Brust ein weiteres Mal hob, wenn es etwas zu lange dauerte. Immer wieder beugte er sich über sie, um auf ihren Herzschlag zu hören. Jedes leise Schnaufen aus ihrem Maul hielt seine Hoffnung für sie aufrecht. Schließlich trug er die Medizin auf die offenen Schnitte auf, verband sie erneut und begann anschließend damit, ihr Bein zu schienen.

Als schließlich alles getan war, was er tun konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Er legte sich neben sie und umarmte sie behutsam, versuchte, ihren Körper zu wärmen. Gelegentlich lecke er ihr über das Fell, um es von getrocknetem Blut und Schmutz zu säubern. Immer wieder prüfte er den Sitz der Bandagen, obwohl er genau wußte, daß er sein Bestes gegeben hatte. Oh, Ihr Ewigen, betete er im Stillen. Laßt ihr noch ein wenig Zeit, bevor Ihr sie zu Euch ruft! Dieser Fuchs braucht sie.

Voller Angst um seine Gefährtin und Zweifel in seine Fähigkeiten brach er schließlich entkräftet neben ihr zusammen; sein Kopf ruhte auf ihrer Brust, die sich viel zu langsam hob und senkte. Rotpelz fühlte, wie seine Augen zu brennen begannen. Es geschah nur selten, daß er - oder ein anderer Angehöriger der Hohen Rassen - weinte, doch die Verzweiflung nahm ihm jede Kontrolle. Wozu hatten die Ewigen ihm diese Zauberei gegeben, wenn er mit ihr nicht einmal einen Freund vor dem Tode bewahren konnte? Heiße Tränen drangen aus seinen geschlossenen Augen, rannen über das Fell seines Gesichts und benetzten Ichiras Brustpelz. Der Fuchs ließ seiner Trauer freien Lauf, während er langsam in den Schlaf der völligen Erschöpfung hinüberdämmerte.

Rotpelz öffnete schwach die Augen, als er ein Geräusch hörte. Er drehte seine Ohren, um die Quelle des Lautes zu finden und war überrascht, daß es Ichira war, die er hörte. Sofort war er hellwach und richtete sich halb auf. Das Fell auf ihrer Brust war immer noch feucht, er konnte also nicht allzu lange geschlafen haben. Ichira hatte ebenfalls ihre Lider einen Spalt weit geöffnet und blickte ihn müde an. Innerlich breitete sich eine Welle der Freude in ihm aus, als er einen kleinen Schimmer der bernsteinfarbenen Augäpfel sah. »Kannst du mich hören?« fragte er leise.

»Du siehst furchtbar aus«, sagte sie nach einem Augenblick.

Rotpelz lächelte, als er an sich hinabblickte. Sein Fell und sein Gesicht waren schlammverkrustet und stumpf, die Augen geschwollen von Schlaf und Tränen. Deutliche Spuren zogen sich von den Augen aus an seiner Schnauze vorbei, wo sie sich ihren Weg gesucht und ein wenig des Schmutzes mit sich genommen hatten. Doch jetzt, da Ichira wieder bei Bewußtsein war, hellte sich seine Stimmung auf. »Ay. Ich hatte leider nicht mehr die Zeit, mich für dich zurechtzumachen«, erwiderte er. Dann wurde sein Ausdruck wieder ernst. »Sayh. Wie geht es dir?«

»Ich fühle mich, als hätte mir dieses Untier alle Knochen gebrochen. Was ist geschehen? Ist es tot?«

Rotpelz nickte. »Dein Pfeil hat es niedergestreckt und uns beide gerettet. Ich verdanke dir mein Leben.«

»Und ich dir meines«, sagte Ichira. »Was war das überhaupt für ein Wesen? Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie von so etwas gehört.«

Der Fuchs zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Es muß irgendwie mit dieser Füchsin zusammenhängen.«

»Was für eine Füchsin?«

»Als wir gestern durch den Sumpf gewandert sind, da habe ich eine Gestalt im Wald gesehen. Ich wollte - nein, ich mußte ihr folgen; irgendwie hatte ich keine Kontrolle darüber. Dann plötzlich warst du neben mir, und ich spürte einen kurzen Schmerz. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einem Bett in einer Hütte. Es war dunkel und mein Kopf fühlte sich furchtbar an. Am nächsten Morgen sah ich sie dann. Sie war wunderschön und kümmerte sich um mich. Ich erinnere mich, daß ich für kurze Zeit mein Gedächtnis an mein früheres Leben verloren hatte. Sie gab mir Essen und das Gefühl der Sicherheit. Doch in Wahrheit wollte sie nur meine Kraft für sich haben. Als dann meine Erinnerung zurückkam, bin ich geflohen, und sie verfolgte mich bis zu jenem Schlammloch, wo du mich schließlich gefunden hast. Dann war sie plötzlich verschwunden, und dieses Monster war an ihre Stelle getreten. Möglicherweise war dies ihre wahre Gestalt.«

»Was ist das für eine Kraft, von der du sprichst?«

Rotpelz lächelte müde. »Ich habe gewisse - Fähigkeiten. Nichts Besonderes, nur eine kleine Laune der Natur.«

»So wie dein Fell«, sagte sie und strich vorsichtig mit einer Pfote über seinen Bauch. Dabei drehte sie ihren Körper und sog zischend die Luft ein, als sich ihr rechtes Bein bewegte. »Was ...«

»Sei vorsichtig«, mahnte Rotpelz. »Das Bein ist gebrochen. Ich habe dir eine behelfsmäßige Schiene angelegt, aber du solltest es nicht zu sehr belasten. Andererseits sollten wir nicht mehr allzu lange hier bleiben. Die Mücken werden uns sonst noch bei lebendigem Leib auffressen.« Er schwieg einen Augenblick. »Warum bist du eigentlich alleine hier? Was ist mit den anderen geschehen?«

»Sie sind nach dem Angriff weiter in Richtung des Gebirges gezogen. Velena wollte nicht warten, und die anderen wollten ihre Begleitung nicht aufgeben.«

»Was für ein Angriff?«

Ichira erzählte ihm in knappen Worten vom Hinterhalt der Echsen und der anschließenden Suche nach ihm. »Und da wir bis zum Abend keine Spur von dir gefunden hatten, sind sie schließlich aufgebrochen. Velena sagte, sie hätten nicht mehr viel Zeit.«

»Ay! Wunderbar!« grummelte er. »Und dich lassen sie alleine durch den Sumpf irren!«

Ichira lächelte. »Es war meine eigene Entscheidung, Freund Fuchs. Ich hätte auch mit ihnen gehen können. Sie haben mich nicht zurückgelassen - ich bin freiwillig gegangen.«

Rotpelz war immer noch nicht besänftigt, doch er wollte Ichira in ihrem momentanen Zustand nicht zu sehr ausfragen. »Na schön. Ich glaube, es ist am Besten, wenn du dich jetzt ausruhst. Ich fürchte, du wirst deine Kräfte noch brauchen, wenn wir die anderen erst einmal gefunden haben.«

Die Katze nickte und griff nach seiner Pfote. »Danke, Rotpelz.«

Er schwieg und leckte ihr kurz über die Stirn. Als sie eingeschlafen war, erhob er sich von ihrem Lager und suchte ein paar lange Äste und Stöcke zusammen, aus denen er eine grobe Trage baute. Behutsam hob er sie vom Boden auf und bettete sie auf das Holzgestell. Dann nahm er die beiden Tragestangen auf seine Schultern und machte sich auf den Weg. Seine Erschöpfung machte ihm noch arg zu schaffen, aber Ichira brauchte seine Hilfe, und die konnte er ihr in dieser Umgebung nicht bieten. Außerdem schwirrten immer noch tausende lästiger Insekten um sie herum, die ihre Situation nicht angenehmer machten.

Er brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren und schlug dann den Weg in Richtung des Gebirges ein. Regelmäßig warf er einen Blick über die Schulter um zu sehen, wie es seiner Gefährtin ging. Um seine Kräfte wenigstens etwas zu schonen, legte er häufiger kleine Pausen ein, um sich zu erholen. So kam er recht gut voran und hatte bald das sumpfige Gelände hinter sich gelassen. Jetzt galt es, die Spur der Echsen und ihrer ehemaligen Weggefährten wiederzufinden.

Wäre er in guter Verfassung gewesen, hätte ihn die Wanderung nur wenig angestrengt. Doch in seiner augenblicklichen Lage forderte ihm die nächste Stunde nahezu seine gesamten Kraftreserven ab. Doch schließlich war der feuchte Untergrund trockenem Waldboden gewichen; sie hatten den Sumpf endgültig hinter sich gelassen. Wenig später lichtete sich der Baumbestand, als das Gelände sanft anzusteigen begann. Rotpelz hielt an, um wieder zu Atem zu kommen. Das Gewicht der Tragestangen ließ seine Schultern schmerzen, und er legte seine Last für einen Augenblick ab. Während er sich müde streckte, ließ er seinen Blick über die Landschaft schweifen. Dabei fiel ihm ein dunkler Fleck in einiger Entfernung zu seiner Rechten auf. Mit einem kurzen Blick zurück zu Ichira lief er ein Stück auf die Stelle zu, bis er erkannte, was er entdeckt hatte: Es war die Spur der Echsen, die sie verfolgten. Kurz dahinter sah er das Bett eines Flusses, der aus dem Gebirge zu Tal strömte. Er entschied, daß sie hier eine Weile bleiben sollten und ging zurück, um die Trage bis zum Fluß zu bringen. Dort füllte er als erstes die Feldflasche wieder auf und kniete sich neben die Katze hin. Vorsichtig leckte er ihr über die Schnauze, und sie öffnete die Augen. »Sayh, Ichira«, grüßte der Fuchs. »Wir werden hier einen Augenblick lang rasten. Ich habe dir Wasser mitgebracht.« Er reichte ihr die Flasche. »Und ich werde jetzt erst einmal ein Bad nehmen.«

Ichira verschluckte sich beinahe. »Das meinst du nicht im Ernst?«

»Doch«, gab er grinsend zurück. »Schau mich doch an. So kann ich unmöglich unter Leute gehen. Dir könnte ein Bad übrigens auch nicht schaden.«

»Das wirst du nicht wagen!« Ihr Blick verfinsterte sich.

Rotpelz lachte. »Keine Sorge. Ich weiß doch, daß du nicht viel vom Wasser hältst. Ich werde dir nachher die Wunden ein wenig auswaschen.« Unter Ichiras verständnislosem und gleichzeitig besorgtem Blick watete er in das ruhig dahinfließende Wasser hinaus. Die willkommene kühle Feuchtigkeit durchdrang sein Fell, löste den verkrusteten Schlamm und nahm den Schmutz mit sich davon. Gleichzeitig entspannten sich seine verkrampften Muskeln. Die Erleichterung war so groß, daß er sich laut seufzend bis über die Schultern in den Fluß sinken ließ.

»Deine Magie, wie funktioniert sie?« Ichira hatte sich ein wenig aufgerichtet, um ihn beim Baden besser beobachten zu können. Ihre Augen funkelten im Licht der Sonne.

»Das weiß ich selbst nicht so genau«, antwortete der Fuchs nachdenklich. »Ich habe irgendwann einmal festgestellt, daß ich Angst und Wut anderer erspüren kann. Irgendwie kann ich diese Gefühle auch ein wenig steuern.« Er überlegte einen Moment lang, bevor er weitersprach: »Erinnerst du dich an die Nacht im Gewitter, als ich dich unter der Brücke fand?« Sie nickte schweigend. »Ich habe deine Angst gefühlt und versucht, sie zu zerstreuen. Es war nicht leicht, aber schließlich scheint es funktioniert zu haben.«

»Du hast recht, ich war völlig außer mir vor Furcht. Nachdem ich den Echsen entkommen war habe ich immer das Gefühl gehabt, daß sie jeden Augenblick wieder auftauchen und mich endgültig töten würden. Aber als du da warst, schienen diese Gedanken plötzlich - weit weg zu sein. Irgendwie unwirklich, als ob das alles nie geschehen wäre.«

»Auf diese Weise wirkt meine Kraft. Leider ist sie nicht stark genug, um wirklich nützliche Dinge zu vollbringen.« Seine Miene wurde düster. »Ich hätte dich in diesem Sumpf beinahe verloren, und daran hatte auch die Magie nichts ändern können.«

»Du darfst dir deswegen keine Vorwürfe machen. Ich lebe noch, und das habe ich alleine dir zu verdanken. Sieh deine Kraft als das, was sie ist, und verlange nicht mehr, als sie dir geben kann.«

Rotpelz seufzte leise und schwieg, während er den Rest seines Fells säuberte. Anschließend kümmerte er sich um Ichiras Verletzungen, reinigte sie so gut er konnte und verband sie anschließend mit den ausgewaschenen Tüchern. Während der Behandlung mußte er über den Gesichtsausdruck der Katze grinsen, die verständnislos seinen feuchten Pelz betastete. Wenn es nicht für die Behandlung nötig gewesen wäre, hätte sie es vermutlich nicht zugelassen, daß er sich ihr in diesem Zustand näherte.

Sein Fell war noch nicht ganz trocken, als sie auch schon wieder unterwegs waren. Die stetig ansteigende Strecke schlängelte sich den Berg hinauf, umgeben von Felsen, spartanisch wachsenden Büschen und kleinen Bäumen, die sich auf dem kargen Untergrund behaupteten. Binnen weniger Minuten keuchte Rotpelz bereits vor Anstrengung, doch er wollte bis zum Einbruch der Dunkelheit so viel Wegstrecke wir möglich zurücklegen. Seine Gedanken konzentrierten sich nur noch darauf, eine Pfote vor die andere zu setzen und der Spur zu folgen. Seine Umgebung nahm er dabei kaum noch wahr; wie geisterhafte Schatten glitten die Formen an ihm vorbei.

»Rotpelz! Ich glaube, ich habe etwas gehört.«

Ichiras Flüstern drang in sein Bewußtsein, und er blieb stehen. Sie waren inzwischen ein ganzes Stück den Berg hinaufgekommen, große Felsen beherrschten das Bild der Umgebung. Der Fuchs lauschte, doch außer seinem schnellen Herzschlag und dem Rauschen seines Blues konnte er nichts hören. Er wollte gerade wieder losgehen, als er eine plötzliche Bewegung links von sich sah. Einen Augenblick später spürte er kräftige Arme um seinen Körper; er wurde herumgerissen und frontal gegen einen der Felsen gedrängt. Kalter Stahl bohrte sich in seinen Nacken, und er wagte nicht, sich zu bewegen.

»So trifft man sich wieder«, zischte die Stimme einer Echse. »Aber dieses Mal scheinen die Karten anders verteilt zu sein. Ihr seid unserem König schon eine ganze Weile ein Dorn im Auge, und er will, daß ich dich zu ihm bringe.« Sie legte dem Fuchs eine schuppige Klaue auf die Schulter und drehte ihn langsam herum. »Man sagte mir, daß du über eine Art Beherrschungszauberei verfügst. Mein Kamerad dort hat Befehl, dich sofort zu töten, wenn er den Verdacht hat, daß etwas nicht stimmt.« Der Wächter wies auf die zweite Echse, die ihre gespannte Armbrust im Moment auf Ichira gerichtet hatte, die hilflos auf der Trage am Boden lag. »Und glaube mir, Ch'rast ist nicht gerade dafür bekannt, lange zu zögern.«

»Laßt sie in Ruhe«, knurrte Rotpelz.

»Oh, um sie geht es uns überhaupt nicht. Der König möchte dich sehen, nicht sie.«

Die andere Echse blickte zu ihm herüber. »Was machen wir mit ihr? Sollen wir sie hier zurücklassen?«

»Nein, das ist zu gefährlich. Und so wie es aussieht, wird sie uns aus eigener Kraft nicht folgen können. Töte sie.«

»Nein!« rief Rotpelz und machte einen schnellen Schritt nach vorne. Gleich darauf spürte er wie

der die Klinge der Waffe an seiner Kehle. »Wenn ihr sie tötet, müßt ihr mich auch umbringen! Ich werde nicht ohne sie mitkommen.« Er konnte sehen, daß Ichira wie gebannt auf die Armbrust starrte.

»Gzecit!« begann Ch'rast. »Ich glaube nicht, daß der König-«

»Schweig!« donnerte der Anführer. »Fordere dein Glück nicht allzu sehr heraus, Fuchs«, fuhr er an Rotpelz gewandt fort; sein Säbel drang etwas tiefer in die Haut ein. »Nur ein Wort von mir, und ihr seid beide tot.«

»Dein Herr wird sehr zufrieden mit dir sein, wenn du mit leeren Händen zurückkehrst«, knurrte Rotpelz und fragte sich im selben Augenblick, welcher Wahnsinn ihn ritt. Für einen Augenblick erwog er, seine Kraft tatsächlich einzusetzen, doch er fürchtete, daß er in seiner momentanen Verfassung nicht dazu in der Lage war, beide Echsen unter Kontrolle zu halten.

»Das ist nicht dein Problem«, fauchte Gzecit und stieß ihn zurück gegen den Felsen. Der Aufprall jagte heftige Schmerzen durch seine bereits geschundenen Schultern, doch er biß die Zähne zusammen. Die Echsen wechselten ein paar Worte in ihrer eigenen Sprache, bevor sich der Anführer wieder an Rotpelz wandte: »Also gut, Fuchs. Wir werden sie mitnehmen. Aber du wirst dafür sorgen, daß es keine Probleme gibt, sonst wirst du die Ewigen Wälder schneller betreten, als es dir lieb ist.«

Auf einen Wink der Echse hin ging Rotpelz zu Ichira hinüber, die ihren Blick immer noch auf die drohende Armbrust geheftet hatte. Langsam, mit wohlbedachten Bewegungen, hob er die Tragestangen wieder auf und legte sie sich auf die Schultern. Bei den wieder einsetzenden Schmerzen schloß er die Augen und biß die Zähne zusammen. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder so weit unter Kontrolle hatte, daß er gehen konnte. Gzecit und sein Untergebener setzten sich nun wieder in Bewegung, um ihre Gefangenen weiter hinauf ins Gebirge zu führen.

*

Die heiße Sonne des Mittags war dem kühlen Abend gewichen, als Pcherro seine Augen öffnete. Sie waren seit ihrer Flucht aus dem Arbeitslager ohne Pause durch das Gebirge gewandert, um die Echsen so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Michiki hatte ihm sehr geholfen. Der keine Kerl war zäh, das mußte er ihm lassen. Ohne sich auch nur ein Mal zu beklagen hatte er ihn gestützt und aufrecht gehalten, während sie gegangen waren. Pcherro war es ein wenig unangenehm, sich so helfen lassen zu müssen, insbesondere, da das Frettchen kaum besser dran war, als er. Aber es war die einzige Möglichkeit, einigermaßen schnell voran zu kommen. Schließlich waren sie dann hier zusammengebrochen und vor Erschöpfung eingeschlafen.

Der Schmerz in seinem Bein war zu einem dumpfen Pochen abgeklungen, wahrscheinlich wegen des hohen Blutverlustes, den auch Michikis Verband nicht hatte stoppen können. Unruhig versuchte Pcherro aufzustehen, doch er wurde zurückgehalten. Erstaunt blickte er an sich hinab und sah, daß der Kopf des Frettchens auf seinem gesunden Bein ruhte; die Pfoten hatte es unter sein Kinn geschoben. Ein ungewohntes, aber dennoch nicht unangenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus. Er verdankte dem Frettchenjungen sein Leben und die Chance, seine Stammesgefährten aus den Klauen der Echsen zu befreien. Eine ziemlich große Tat für einen so kleinen Burschen. Vorsichtig streckte Pcherro eine Pfote aus und strich ihm über den Kopf. Dabei regte Michiki sich und öffnete die Augen. »Sayh, Freund Frettchen«, grüßte Pcherro. »Wie geht es dir?«

Michiki blickte schläfrig umher und richtete sich schnell auf, als er erkannte, wo er sich befand. Dann rieb er sich die Augen und gähnte mit weit aufgerissenem Maul. »Sayh«, brachte er schließlich murmelnd hervor. »Meine Muskeln sind steif wie Baumstämme. Wie lange haben wir geschlafen?«

Pcherro blickte zum Stand der Sonne. »Vier, vielleicht fünf Stunden. Wir sollten uns bald wieder auf den Weg machen, damit wir noch vor der Nacht die Ebene erreichen.«

»Bist du denn gar nicht hungrig?« fragte Michiki. »Ich könnte im Moment ein ganzes Kaninchengehege verschlingen.« Unwillkürlich leckte er sich bei diesem Gedanken die Lippen.

»Ich fürchte, damit werden wir noch warten müssen. Bevor wir nicht in Sicherheit sind, haben wir nicht die Zeit zum Jagen. Außerdem würden sich die Kaninchen kaum von einem ausgelaugten kleinen Frettchen fangen lassen. Wir werden unterwegs ein paar Beeren sammeln, das wird uns zumindest für den Anfang über die Runden bringen.«

»Pflanzenfutter, igitt«, beschwerte sich Michiki. »Wie soll man denn da wieder zu Kräften kommen?«

Pcherro grinste nur und stand endgültig auf. Das Frettchen war sofort neben ihm und stützte ihn. Seite an Seite wanderten sie weiter, immer dem möglichst leichtesten Weg bergab folgend. Wo sie konnten pflückten sie sich Früchte und Beeren von Bäumen und Sträuchern, die sie sich teilten. Alles in allem eine karge Wegzehrung, jedoch besser als nichts. Wasser gab es im Gegensatz dazu genug. Auf ihrem Weg ins Tal kreuzten sie mehrere Bäche und Rinnsale, an denen sie sich erfrischen konnten. Mehrfach nutzte Michiki die Gelegenheit, Pcherros Wunde zu säubern, die immer noch blutete und sich sogar entzündet hatte. Der Kater litt offensichtlich wieder große Schmerzen, doch anhalten wollte er nicht.

Trotz allem kamen sie den Umständen entsprechend gut voran, und es sah danach aus, daß sie das Gebirge tatsächlich noch vor Einbruch der Dunkelheit verlassen würden. Langsam aber sicher wurde der Bewuchs dichter. Die Felsen wurden kleiner und waren schon bald nicht mehr als Steine, die am Rande eines schmalen Pfades lagen. Die Rückkehr in den Wald hatte eine anregende Wirkung auf Michikis Stimmung, und seine Kräfte schienen sich spontan zu verdoppeln. Er merkte erst, daß er immer schneller ging, als er das angestrengte Schnaufen seines Gefährten hörte, der sich verzweifelt an ihm festklammerte.

»Entschuldige, Pcherro«, sagte das Frettchen und hielt an. »Geht es dir zu schnell?« Der Kater antwortete nicht. Sein Atem ging stoßweise, und er hatte die Augen geschlossen. »Ich glaube, wir sollten ein wenig ausruhen. Da vorne ist ein Bach, ich denke, das ist ein guter Platz für eine Rast.« Langsam führte er seinen Freund bis zum Ufer des schmalen Wasserlaufes und ließ ihn dort zu Boden sinken. Pcherro seufzte vor Erleichterung und legte sich der Länge nach hin, während Michiki sich um die Wunde kümmerte. Bestürzt stellte er fest, daß sich die Entzündung arg verschlimmert hatte. Jetzt, da er genauer darauf achtete, spürte er die Hitze, die von dem Körper des Katers ausging. Vermutlich hatte ihn das Fieber erwischt.

Michiki beschloß, Pcherro noch ein wenig ruhen zu lassen, auch wenn es das Risiko erhöhte, von den Echsen aufgegriffen zu werden. Ab und an träufelte er etwas Wasser auf die Stirn des Katers und verteilte die Flüssigkeit in seinem Fell, um das Fieber sanft zu kühlen. Sein Freund zuckte bei dieser Behandlung regelmäßig zusammen, doch Michiki wußte ja, wie er auf Wasser reagierte und ging daher besonders bedachtsam vor.

Als das Licht schließlich schwächer wurde, hielt er es nicht mehr aus. Vorsichtig weckte er Pcherro, der wieder in einen unruhigen Schlummer gesunken war, und half ihm auf die Pfoten. Den weiteren Weg wählte das Frettchen entlang des Baches, um die Kühlung des Wassers ausnutzen zu können. Der Kater tat sein Bestes, um Schritt zu halten, doch immer wieder bat er um eine Pause, während der Michiki seine Stirn und einen Teil des restlichen Körpers befeuchtete. Leise murmelte er Worte der Ermutigung vor sich hin, während sie sich voranschleppten. Doch schließlich waren sie beide mit ihren Kräften am Ende. Das Frettchen bettete Pcherro ins Gras nahe des Baches und setzte sich selbst neben ihn, schwer vor Erschöpfung keuchend.

Es war mittlerweile stockfinster, als Michiki erwachte. Neben sich fühlte er den kräftigen Körper seines Freundes, der schwach, aber regelmäßig atmete. Immer noch strahlte er diese fiebernde Hitze aus, die ihm Sorgen bereitete. Aber das war es nicht, was ihn geweckt hatte. In wenigen zehn Schritt Entfernung bewegten sich einige Gestalten durch den Wald, offenbar darauf bedacht, so leise wie möglich zu sein. Das schwache Mondlicht spendete nicht genug Helligkeit, um genaueres erkennen zu lassen. Michiki richtete sich lautlos auf und nahm einen großen Stock in die Hand. Wenn es wirklich die Echsen waren, wollte er sich zumindest nicht ohne Gegenwehr in die Gefangenschaft zurückbringen lassen. Geduckt wartete er, angespannt ins Dunkel starrend.

Die Gestalten näherten sich langsam und vorsichtig, so als würden sie nach etwas Ausschau halten. Ab und an verharrten sie, hoben etwas vom Boden auf oder untersuchten eine bestimmte Stelle, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten. Michiki hielt den Atem an, als sie nur wenige Schritte an ihnen vorbeigingen. Sein Herzschlag pochte laut in seinen Ohren; es schien, als müßten sie ihn bis dorthin hören können. Zum Glück stimmte das nicht. Sie setzten ihren Weg fort, ohne von ihm oder dem schlafenden Kater Notiz zu nehmen. Doch plötzlich schreckte das Frettchen zusammen, als Pcherro mit einem lauten Schrei aus einem Fiebertraum erwachte.

Michikis erste Reaktion war die Flucht. Doch trotzdem beherrschte er sich, denn er wollte den Kater nicht hilflos zurücklassen. Durch den Schrei waren die Gestalten nun auf sie aufmerksam geworden und hielten in ihrer Suche inne. Das Frettchen zitterte vor Furcht und bleckte die Zähne, als es sich den Silhouetten entgegenstellte. Sie sammelten sich, berieten sich mit leisen Stimmen, und plötzlich flammte ein helles, grünliches Licht auf, das seinen Ursprung in der Mitte der Gruppe hatte. Michiki wurde geblendet und hielt sich eine Pfote vor die Augen.

»Verschwindet!« schrie er, als sie langsam näher kamen. Durch das grelle Licht in seinen Augen konnte er nicht erkennen, wer, oder wie viele sie waren. »Laßt uns zufrieden! Ihr habt ihn schon fast getötet, was wollt Ihr noch?« Drohend hob er den Stock zur Verteidigung, doch plötzlich waren sie an ihn herangekommen, und einer von ihnen schlug ihm seine Waffe aus den Pfoten. Das Leuchten wurde intensiver, schien ihn ganz einzuhüllen mit seinem Glanz. Verzweifelt schlug Michiki mit seinen Krallen um sich, doch ohne Erfolg. Jemand packte ihn bei den Schultern, und er hörte ein leises Zischen, als sich eine Pranke auf seine Stirn legte. Wenige Momente später schwanden ihm die Sinne, und das Licht erstarb.

Michiki schlug die Augen auf. Irgend jemand war in seiner Nähe. Mit einem spitzen Schrei setzte er sich auf und blickte umher, bis an den Stamm eines Baumes zurückweichend. Drei Fremde kauerten vor ihm auf dem Waldboden; ein Wolf, ein Bär und eine Luchsin, die sich gerade über eine vierte Gestalt beugte, die er als Pcherro erkannte. Durch seinen Ausbruch hatte er die Aufmerksamkeit der drei auf sich gelenkt, und sie sahen ihn mit freundlichen Mienen im Licht des angebrochenen Morgens an. Langsam dämmerte es ihm, daß diese Wanderer offensichtlich keine Echsen waren. Es drohte also keine unmittelbare Gefahr. Dennoch zuckte er unwillkürlich zusammen, als der Wolf zu sprechen begann.

»Wie geht es dir, mein Junge?« fragte er mit sanfter Stimme.

Michiki war noch zu benommen, um sich über die Anrede aufzuregen. »Ich glaube, ich komme so langsam wieder auf die Pfoten«, antwortete er. »Wer seid Ihr? Und wie geht es Pcherro?«

»Du meinst den Kater, hm? Velena kümmert sich um ihn. Es hat ihn böse erwischt, aber sie ist eine gute Heilerin. Er wird es überstehen. Was ist euch beiden denn zugestoßen?«

»Wir sind aus einem Zwangsarbeitslager geflohen. Echsen haben uns dort festgehalten, und wir mußten Erze für sie abbauen. Heute morgen haben wir den Ausbruch geschafft. Mein Freund wurde bei einem Kampf mit einer Echse verletzt. Ay! Aber er hat sie besiegt. Seitdem sind wir auf der Flucht vor ihnen.«

»Verfolgen sie euch immer noch?«

»Ich weiß nicht. Wir haben keine von ihnen gesehen. Aber sie wissen, daß wir geflohen sind, deswegen haben wir versucht, so weit wie möglich von der Höhle wegzukommen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie grausam die Echsen sein können.«

Der Wolf machte ein betrübtes Gesicht. »Oh doch, mein Junge, das können wir. Ihr seid nicht die einzigen, die ihnen begegnet sind.« Er streckte die Pfote mit nach vorne gewandten Ballen aus. »Sayh. Mein Name ist Hakir, das ist Velena, wie du ja schon weißt, und der große Bursche dort drüben« - er wies auf den Bären, der es sich an einem weiter entfernten Baumstamm gemütlich gemacht hatte und wachsam um sich blickte - »das ist Zid.«

Das Frettchen zögerte einen Moment, bevor er seine eigene Pfote gegen die des Wolfes drückte. »Michiki, sayh.«

»Also gut, Michiki. Ich schätze, du könntest etwas zu essen vertragen. Wir haben noch einiges an Vorräten bei uns, die wir gerne mit dir und - wie war sein Name? Pcherro? Ay. - teilen würden.«

»Um ehrlich zu sein bin ich fast am Verhungern«, antwortete Michiki.

»Na dann komm, Freund Frettchen. Wir werden sehen, was wir dagegen unternehmen können.« Hakir lud das Frettchen mit einer Handbewegung ein, ihm zu folgen. In der Mitte des schnell errichteten Lagers hatten die Gefährten ihr Gepäck abgestellt, und der Wolf begann nun, für Michiki ein ausreichendes Mahl zusammenzustellen.

Währenddessen blickte das Frettchen immer wieder zu dem schlafenden Pcherro und Velena hinüber. Anscheinend besaß sie tatsächlich sehr gute Kenntnisse in der Heilkunde, denn die schwersten Wunden waren bereits verheilt, und auch die Entzündung war mittlerweile abgeklungen. Michiki konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie das gemacht hatte.

Als ob sie seine Blicke gespürt hätte, wandte sich die Luchsin plötzlich zu ihm um. Auf ihrem Gesicht war ein freundliches Lächeln zu sehen, doch ein Schatten lag darüber, als hätte sie gerade eine schwere Anstrengung hinter sich. »Du sorgst dich sicher um deinen Freund, nicht wahr?« fragte sie. Ihre Stimme war sanft und eindringlich zugleich. Sie ließ ihn an ein Tuch aus feinster Seide denken, das sich angenehm an seinen Körper schmiegte. Er hatte den Eindruck, daß er diese Stimme selbst während eines Wirbelsturmes noch vernehmen könnte. »Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung«, sprach sie weiter. »Er ist außer Lebensgefahr, und schon bald wird er seine alte Kraft zurückerlangt haben.«

Michikis Miene hellte sich auf. »Ich habe schon gedacht, er würde sterben müssen. Diese Echse hat ihn schwer verwundet, und ich konnte nichts tun, um die Blutung aufzuhalten. Ich wüßte gerne, wie Ihr ihn so schnell habt heilen können.«

Velena grinste. »Es war nicht so schlimm, wie es zuerst aussah. Dein Freund ist sehr stark, weißt du?«

Das Frettchen nickte. Während er an seinem Essen kaute, erinnerte er sich daran, was Hakir vor ein paar Minuten gesagt hatte. »Seid Ihr auch den Echsen begegnet?«

»Nicht nur das«, antwortete der Wolf. »Wir verfolgen sie schon seit einiger Zeit. Sie verbreiten Chaos und Unruhe über das gesamte Land, wo immer sie auch auftauchen. Und jeder von uns hier hat seine eigene Geschichte über seine Erlebnisse mit den Echsen zu erzählen. Wir haben uns zusammengetan, um einen Weg zu finden, die Echsen zu stoppen. Das mag vermessen klingen, aber wir haben Möglichkeiten, die uns durchaus Hoffnung geben.«

»Ihr glaubt gar nicht, wie gerne ich dabei sein würde, wenn die Echsen tatsächlich vernichtet werden«, sagte Michiki voller Haß. »Alleine für das, was sie Pcherro angetan haben, verdienen sie es, von den Ewigen in die Verbannung verstoßen zu werden. Sie haben-«

»Wir wissen, was sie getan haben«, unterbrach ihn Velena.

Hakir schaute sie verdutzt an. »Tun wir das?«

Sie nickte. »Sie haben sein Dorf überfallen, es in Brand gesteckt und dem Erdboden gleichgemacht. Dann haben sie ihn und seine Sippe in die Höhlen verschleppt. Freund Wolf, erinnerst du dich an Ichira?«

»Natürlich. Ich hoffe, es geht ihr und ihrem Gefährten gut.«

»Hast du sie dir je genauer angesehen?«

Hakir hustete verlegen, antwortete dann aber doch: »Sie ist ein wunderschönes Wesen. Natürlich habe ich sie betrachtet. Ich habe immer bedauert, daß ein so hübsches Gesicht so schlimme Wunden davontragen mußte.« Velena nickte und hob schweigend Pcherros Kopf an, so daß Hakir ihn deutlich sehen konnte. »Ich verstehe, was du meinst«, sagte er daraufhin. »Er hat den gleichen runden Fleck an der Stirn, den Ichira auch hatte. Ich frage mich, was es damit auf sich hat.«

»Es ist eine Art Stammeszeichen«, erklärte Michiki. »Sie bekommen je nach Familie und Beruf ein Schmuckstück in das Stirnfell eingeflochten. Ich habe von einem solchen Brauch nie vorher etwas gehört. Diese Ichira scheint wirklich aus seiner Sippe zu stammen.«

»Ichira?« Pcherros Stimme war leise und schwach, als er sich in Velenas Armen zu regen begann und die Augen einen Spalt weit öffnete.

Sofort war Michiki bei ihm. »Pcherro! Den Ewigen sei Dank! Ich bin so froh, dich wohlauf zu sehen.«

Der Kater schien noch etwas benommen zu sein, doch bald schon klärte sich sein Blick, und er erkannte seine Umgebung. »Sayh, Freund Frettchen. Wo sind wir hier?«

»Immer noch im Wald am Fuße des Gebirges«, antwortete Michiki. »Eine Gruppe Wanderer hat uns hier gefunden und unsere Wunden versorgt. Sie sind auf der Suche nach den Echsen. Wir haben großes Glück gehabt, daß sie eine Heilerin bei sich haben. Du wirst schon bald wieder gesund sein.«

»In der Tat, ich fühle mich auch schon viel besser. Vielen Dank an Euch, wer immer Ihr auch seid.« Pcherro richtete sich vorsichtig auf und schüttelte den Kopf, um seine Gedanken ein wenig zu klären. Nach einer kurzen Vorstellung der Reisegruppe brachten sie ihn in die Mitte des Lagers und gaben auch ihm etwas von ihrer Wegzehrung, damit er wieder zu Kräften kommen konnte. »Ich habe seltsame Dinge geträumt«, sagte er, während er aß. »Mir war, als hörte ich Ichiras Namen.«

»Wer ist diese Ichira?« fragte Hakir.

»Meine Schwester. Wir wurden durch den Angriff der Echsen getrennt. Ich fürchte, daß sie ihn nicht überlebt hat.«

»Nun, wenn das so ist wird es Euch freuen zu hören, daß wir Eure Schwester vor nur einem halben Tag noch wohlauf gesehen haben«, erwiderte der Wolf lächelnd. »Sie war mit ihrem Gefährten für eine kurze Zeit mit uns unterwegs.«

»Ichira? Sie lebt?« Pcherro vergaß das Essen und starrte Hakir fassungslos an.

Der Wolf nickte. »Sie hat uns am letzten Nachmittag verlassen, um ihren Fuchsfreund zu suchen, der nach einem Echsenangriff verschwunden war.«

Michiki jubelte und sprang Pcherro an den Hals. »Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, daß sie nicht tot ist!«

»Ay, immer langsam, mein Freund«, sagte der Kater lachend, und hielt ihn auf Armeslänge von sich. »Das ist wirklich die beste Neuigkeit seit langem. Wo ist sie jetzt?«

»Das wissen wir nicht«, antwortete Velena sanft. »Ihr Gefährte wird vermißt, und sie hat sich auf den Weg gemacht, ihn zu suchen. Sobald sie ihn gefunden hat, wollte sie zu uns zurückkehren.«

»Sie weiß, wo Ihr hingehen werdet?«

»Wir folgen dem Weg der Echsen.« Velena wies auf die deutlich sichtbaren Spuren, die sich in einiger Entfernung über die Wiese zogen. »Ich vermute, das ist der Weg, den Ihr auch geführt worden seid.«

Pcherro nickte. »Die Echsen haben uns zu ihrem Unterschlupf im Gebirge getrieben. Ich erinnere mich noch ziemlich genau daran, wie sie uns behandelt haben. Für sie waren wir nichts weiter als ein Haufen Sklaven, die zu ihrem Arbeitsort gebracht werden mußten.« Seine Miene verdüsterte sich für einen Moment. »Ich bin nur froh, daß Ichira das nicht miterleben mußte. Ihr sagtet, sie suche ihren Gefährten. Ich habe gar nicht gewußt, daß sie einen erwählt hatte. Erzählt mir von ihm.«

Velena blickte Hakir an, der ihr zunickte und dann zu sprechen begann: »Nun, anscheinend hat sie ihn kurz nach dem Überfall auf Euer Dorf kennengelernt. Er ist ein Fuchs, wie ich Euch bereits sagte. Sein Name ist Rotpelz, eine Art Landstreicher, jedoch ein sehr netter Bursche. Er war immer sehr um ihr Wohlbefinden bemüht. Anscheinend hat er mit den Echsen selber gar nichts zu tun und ist nur ihretwegen mitgekommen. Um so mehr tut es mir für ihn leid, daß er bei dem Kampf verletzt worden ist. Ich hoffe, wir werden sie beide bald wohlbehalten wiedersehen.«

»Das hoffe ich auch. Jetzt, da ich weiß, daß sie noch lebt, würde mich ein erneuter Verlust wahrscheinlich härter treffen als zuvor.«

»Ich glaube nicht, daß es dazu kommt. Ich habe sie kämpfen sehen, sie läßt sich nicht so einfach unterkriegen.«

Pcherro grinste und schenkte Michiki einen bedeutungsvollen Seitenblick. »Ich weiß.«

»Wenn Ihr Euch wieder bei Kräften fühlt, Freund Kater, würden wir gerne unseren Weg ins Gebirge fortsetzen«, sagte Velena. »Wir dürfen nicht zu lange zögern, wenn wir unsere Chance, die Echsen zu stoppen, nicht vergeben wollen. Und es ist beinahe schon zu spät.«

»Was meint Ihr damit?« fragte Pcherro.

Velena seufzte tief. »Ich kann Euch beim besten Willen nicht den gesamten Hintergrund meiner Mission erklären, dafür fehlt mir die Zeit. Doch soviel möchte ich Euch sagen: Nur heute wird es möglich sein, unsere Widersacher zu besiegen, da die Kraft der Ewigen sich verbünden wird, die wir uns zunutze machen werden. Mit ihrer Hilfe werden wir die kalte Hand der Dunkelheit auf die Heimstatt der Echsen herabbeschwören und sie auslöschen.« Während sie sprach hatte sich ihre Stimme zunehmend verschärft und ihren sonst so besänftigen Ton völlig verloren. Doch wenige Augenblicke später hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Entschuldigt, wenn ich Euch ängstige. Aber es steht ein großes Ereignis bevor, dessen Eintreffen wir nicht verpassen dürfen, wollen wir der Herrschaft der Echsen ein Ende setzen.«

»Ihr seid eine Magierin?«

Velena lächelte. »In der Tat, das bin ich. Doch nun laßt uns nicht mehr Zeit verlieren, indem wir über mich reden. Fühlt Ihr Euch in der Lage, mit uns zu reisen, oder wollt Ihr lieber Euren eigenen Weg gehen?«

»Ihr sagtet, Ichira wird zu Euch zurückkehren. Also werden wir mit Euch gehen. Ich bin bereit.«

»Ich auch, falls das überhaupt eine Rolle spielt«, sagte Michiki mit einem etwas gereizten Ton in seiner Stimme.

Pcherro riß bestürzt die Augen auf. »Freund Frettchen, ich-«

Michiki grinste entwaffnend. »Ay! Ich habe doch nur Spaß gemacht. Ich werde mitkommen. Wenn die Echsen wirklich eine Lektion erteilt bekommen wäre ich der Letzte, der sich das entgehen ließe.«

Die fünf Gefährten machten sich schon bald darauf auf den Weg zurück ins Gebirge. Wie immer ging Hakir mit Velena an der Spitze; der Kater und Michiki folgten dichtauf, während Zid die Nachhut bildete. Pcherro erkannte flüchtig die eine oder andere Stelle wieder, die er zuvor schon einmal unter dunkleren Umständen passiert hatte. Dabei kamen ihm die grausamen Dinge wieder ins Gedächtnis, die die Echsen ihm und den anderen seiner Sippe angetan hatten. Einmal war die Erinnerung so stark, daß er für einen kurzen Augenblick stehen blieb und sich an Michikis Schulter festhalten mußte, um nicht zusammenzubrechen. Doch alles in allem hielt ihn die Aussicht auf ein gutes Ende und das Wiedersehen mit seiner Schwester aufrecht.

Sie brauchten bis zum frühen Nachmittag, um die Stelle zu erreichen, von der aus der Eingang der Echsenhöhle sichtbar wurde. Über den letzten Teil der Strecke hinweg hatte Pcherro die Führung übernommen, da die Fährte auf dem steinigen Boden nicht mehr einwandfrei zu erkennen gewesen war. Nun standen sie etwa eine Pfeilweite entfernt, und Velena bedeutete ihnen, sich ein Versteck zu suchen. »Ich werde Euch nun verlassen, um meine Mission zu beginnen. Ihr sollt wissen, daß es keine leichte Aufgabe sein wird. Daher möchte ich mich schon jetzt bei Euch für Eure Hilfe und Unterstützung bedanken. Es ist möglich, daß ich es später nicht mehr kann.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein!« fuhr Hakir auf, und auch Zid verlieh seinem Unmut durch ein dumpfes Knurren Ausdruck. »Du glaubst doch nicht, daß ich dich so einfach deinem Schicksal überlasse? Ay! Ich werde mitkommen und dafür sorgen, daß dir nichts geschieht.«

»Freund Wolf, ich weiß zu schätzen, was du mir anbietest. Aber verstehe bitte, daß es nicht möglich ist. Ich muß euch hier zurücklassen, damit das Ritual ordnungsgemäß vollzogen werden kann. Mach es mir nicht schwerer als es ohnehin schon ist. Wenn alles gut geht, werden wir uns schon bald wiedersehen.«

Hakirs Gesicht spiegelte Sorge und eine gewisse Trauer wider. »Ich will nicht, daß du dich einer solchen Gefahr aussetzt.«

Velena blieb stumm. Offensichtlich waren ihr ihre Worte ernst gewesen. Mit einer spontanen Bewegung legte sie ihre Arme um den Körper des Wolfes und zog ihn fest an sich. Hakir erwiderte die Umarmung sofort. Für ein paar Augenblicke standen sie unbeweglich da, bevor sie schließlich einen Schritt zurücktrat. »Sayh, meine Freunde. Ich werde zurückkehren sobald ich kann. Bleibt bitte hier, und versteckt Euch. Dann wird Euch nichts geschehen.« Sie seufzte einmal tief, trat erneut an Hakir heran und leckte ihm flüchtig über die Seite seiner Schnauze. Danach wandte sie sich von ihnen ab und begann, in die kleine Senke hinunterzusteigen, die sich vor dem Eingang der Höhle befand. Wenig später war sie außer Sicht.

Der Wolf blickte ihr noch lange nach. Seine Sorge um sie spiegelte sich offen in seinem Gesicht wider. Schließlich zogen sie sich hinter einen Felsen zurück und beobachteten von dort aus den Zugang. Nichts regte sich, während sich die Minuten dahinschleppten. Michiki war mittlerweile an einen großen Stein gelehnt eingeschlafen, und auch Pcherro sah müde aus. Ein kühler Wind war aufgekommen und spielte nun mit seinen Schnurrhaaren. Immer wieder blickte er den Weg zurück, den sie gekommen waren, halb darauf hoffend, die vertraute Gestalt seiner Schwester zu erkennen, die den Berg heraufkam. Doch zu beiden Seiten ihres Lagers zeigte sich die Umgebung völlig verlassen. Angespannt warteten sie auf das Ereignis, das Velena angekündigt hatte.

Pcherro saß mit untergeschlagenen Beinen am Rand der Senke und starrte auf den Höhleneingang. Von Zeit zu Zeit gähnte er herzhaft. Die Anstrengungen der Wanderung hatten ihn ziemlich mitgenommen, und trotz Velenas ausgezeichneter Behandlung war er noch nicht wieder vollständig genesen. Er spürte, wie ihm die Augen zufielen. Mit aller Macht wehrte er sich dagegen, einzuschlafen und riß die Augen auf. Fast im selben Moment schrak er zusammen und zog sich blitzschnell hinter einen Felsen zurück.

Vier Gestalten kamen gerade von der gegenüberliegenden Seite der Senke ins Sichtfeld. Zwei von ihnen waren offensichtlich Echsen. Die anderen beiden schienen den Höheren Rassen anzugehören. Pcherro strengte seine müden Augen an und erkannte die Gestalt eines Fuchses, der offensichtlich etwas Schweres auf dem Rücken trug. Es sah aus wie eine grobe Trage. Seine Knie wurden weich als der Fuchs auf Anweisung des Echsenanführers nach rechts abschwenkte und so den Blick auf seine Last ermöglichte. Eine Katze lag darauf. Ihr Fell war nahezu völlig schwarz, nur an den Ohren, unter dem Kinn, am Bauch und den Hinterpfoten waren kleine weiße Flecken sichtbar. Und selbst über diese Entfernung hinweg konnte Pcherro erkennen, daß sie einen kahlrasierten Fleck auf der Stirn trug. Doch was ihn am Härtesten traf war der Zustand, in dem sie sich befand. Eines ihrer Beine war geschient, und sie trug eine Anzahl grober Verbände. »Ichira«, flüsterte der Kater ungläubig. Dann wurde er lauter: »Ichira!«

»Was ist los?« fragte Hakir überrascht. »Seid leise, oder man wird uns entdecken!«

»Sie haben Ichira! Diese verfluchten Schuppenträger haben meine Schwester!« Pcherro hatte die Ohren angelegt, und seine Klauen kratzten geräuschvoll über den harten Felsen.

Der Wolf kam zu ihm herübergelaufen und blickte ebenfalls in die Senke hinab. Auch er konnte deutlich die beiden Echsen sehen, die ihre Gefangenen nun in Richtung des Einganges leiteten. »Rotpelz ist bei ihr. Also hat sie ihn gefunden.«

»Bei den Ewigen! Das werden sie mir büßen!« Der Kater sprang auf den Felsen und schickte sich an, auf die beiden Echsenwächter loszustürzen. Doch eine starke Pranke hielt ihn zurück. Zid war hinter ihn getreten und hob ihn nun mit Leichtigkeit von dem Felsen herunter. »Laß mich los, Bär!« zischte Pcherro durch zusammengebissene Zähne. »Ich warne dich!« Drohend hob er seine krallenbewehrte Pranke.

In einer Geschwindigkeit, die man dem massigen Körper des Bären nicht zugetraut hätte, hatte er den Kater rücklings zu Boden gezwängt und seine Klauen an dessen Kehle gelegt. »Sei still, hörst du«, brummte Zid. »Sie werden kurzen Prozeß mit uns machen, wenn sie uns hier entdecken. Wir können jetzt nichts für sie tun.«

Pcherro wagte nicht, sich zu bewegen. Nur seine Augen sprühten vor Haß auf die Echsen, und auf den, der ihn daran hinderte, etwas zu unternehmen. Doch gegen die Kraft des Bären war er machtlos.

Inzwischen hatten die vier Gestalten unten in der Senke ihren Weg fortgesetzt und waren in der Höhle verschwunden. Zid hielt den Kater noch eine Weile fest, bis er sicher war, daß er nicht aufspringen und blind drauflosrennen würde. Dann erst gab er ihn frei. Pcherro wich zurück, stand in einer fließenden Bewegung auf und rieb sich unwillkürlich die Kehle. Der Bär blickte ihn ausdruckslos an und wandte sich dann ab, so als sei nichts geschehen.

Durch die Aufregung war auch Michiki wieder wach geworden und blickte nun mit verschlafenen Augen um sich. Er erkannte zwar, daß irgend etwas vorgefallen sein mußte, konnte sich aber keinen rechten Reim auf die Situation machen. Leise stand er auf, um über den Felsen hinweg in die Senke blicken zu können.

Gerade in diesem Augenblick trat eine Gruppe vermummter Gestalten aus dem Schutz der Felsen heraus. Sie trugen dunkelrote, weit geschnittene Kutten, deren Kapuzen ihre Gesichter und deren Ärmel die Pfoten verbargen. Sie sammelten sich nahezu lautlos in der Mitte der Senke und schienen sich auf irgend etwas vorzubereiten. Eine Beratung fand statt, bevor sie sich ein wenig voneinander entfernten und die Formation eines Kreises einnahmen. Dann wurde - zuerst leise, später immer deutlicher - ein monotoner Singsang hörbar, der bedrohlich über den Gestalten schwebte. Jetzt kamen auch Zid und Hakir dazu und betrachteten sich das Schauspiel.

Auch die Echsen hörten den Gesang. Zwei Wachen traten aus der Höhle heraus und beobachteten die Vermummten mißtrauisch. Ein weiterer Soldat kam hinzu, und wenige Augenblicke später verschwanden sie wieder in der Höhle. Eine angespannte Stimmung herrschte über dem Ort, während die drei Gefährten darauf warteten, daß etwas geschah.

Sie mußten nicht lange warten. Nur ein paar Minuten darauf versammelte sich eine größere Anzahl Wachen am Eingang, angeführt von einer Echse, deren Kleidung an einen Schamanen oder Priester erinnerte. Er trug einen knorrigen Stab bei sich, der mit Bändern, Federn und anderem Schmuck verziert war, und eine Reihe Beutel an seinem Gürtel. Am Rande der Senke wies er die Soldaten an, stehenzubleiben, während er sich der Gruppe näherte, die unbeeindruckt ihren Gesang fortführte. Etwa zwanzig Schritte von ihnen blieb er plötzlich stehen, breitete die Arme in einer schnellen Bewegung aus und rief ein paar Worte in der Sprache der Echsen. Ohne Hast löste sich einer der Kuttenträger aus dem Kreis und wandte sich dem Schamanen zu. Eine beiläufig wirkende Handbewegung rief einen hellen Lichtblitz hervor, der die Echse mehrere Schritte rücklings fortschleuderte. Der Schamane heulte vor Schmerzen auf, kam wieder auf die Beine und rannte zu den Wächtern zurück, die die Szene mit entsetzten Blicken verfolgten. Hastig gab er ihnen mit wilden Gesten einen Befehl, woraufhin die Soldaten ihre Speere aufnahmen.

In diesem Augenblick begann der Mittelpunkt des Kreises hell zu leuchten. Eine Säule aus Licht wuchs langsam aber stetig aus dem Zentrum heraus; je höher die Zauberer ihre Arme hoben, desto höher stieg das Licht. Unruhe machte sich in den Reihen der Soldaten breit, und sie blickten sich unsicher an, bis der Schamane schließlich einen weiteren Befehl brüllte. Sechzehn Speere wurden geworfen, von denen zwei ihr Ziel trafen.

»Velena!« rief Hakir aus. »Ihr Ewigen! Beschützt sie!«

Die beiden getroffenen Gestalten blieben regungslos liegen, während das Ritual weiter seinen Lauf nahm. Neue Speere wurden den Soldaten gebracht, die sogleich wieder auf die Zauberer anlegten. Doch dann zerriß ein schrilles Gebrüll die Spannung. Pcherro hatte sich von hinten an die Wachen angeschlichen und stürzte sich nun auf einen der Speerträger. Bevor dieser überhaupt wußte, was geschah, hatte der Kater ihm schon den Nacken zerbissen. Zuckend fiel der Körper der Echse zu Boden, während Pcherro sich für den zweiten Sprung bereitmachte.

»Dieser verfluchte Narr!« schrie Hakir. »Zid! Schnell! Wir müssen ihm helfen.« Der Wolf packte seine Armbrust und den Bolzenköcher und lud die Waffe so schnell er konnte. Dann übersprang er den schützenden Felsen mit einem Satz und rannte mit lautem Kampfgebrüll den Echsen entgegen.

Michiki konnte nicht glauben, was sich um ihn herum abspielte. Innerhalb weniger Sekunden war das totale Chaos ausgebrochen. Schnell blickte er sich um und sah den Bären, der mit starrem Blick auf die Szene in der Senke hinabblickte. »Was ist los?« fragte das Frettchen. »Helft uns! Wir müssen Pcherro da herausholen!« Doch Zid rührte sich nicht. Er hielt sein Schwert mit einer Pranke so fest umklammert, als wollte er das Heft zerquetschen. »Warum steht Ihr da nur so rum?« Michiki gab es auf und rannte schließlich dem Wolf hinterher. Unterwegs sammelte er immer wieder größere Steine auf, die er den Wachen wohlgezielt entgegenwarf. Sie konnten zu dritt nicht viel ausrichten, aber vielleicht reichte ihre Ablenkung, um den Zauberern genug Zeit für das zu verschaffen, was sie auch immer dort taten.

Pcherro hatte sich inzwischen in arge Bedrängnis gebracht. Wild fauchend schlug er mit seinen Klauen um sich, umringt von vier Echsen, die versuchten, ihn unter Kontrolle zu bringen. Dann fand einer von Hakirs Bolzen sein Ziel und durchschlug die Stirn eines Angreifers. Der Kater nutzte diese neu entstandene Lücke, um sich blitzschnell zurückzuziehen. Er keuchte schwer, und Michiki konnte frische Verletzungen sehen, die er erlitten hatte.

Dieser kurze Moment der Unaufmerksamkeit rächte sich. Plötzlich sah sich das Frettchen einer Echse gegenüber, die ihm drohend ihren Speer entgegenhielt. Michiki schluckte schwer und wich einen Schritt zurück, doch der Wächter ließ sich nicht abschütteln. Die Spitze des Speeres hob sich unheilvoll, als die Echse zum Stoß ausholte, und Michiki duckte sich in Verzweiflung. Doch der erwartete Schmerz blieb aus, statt dessen hörte er den Wächter aufschreien. Verblüfft bemerkte er die massige Gestalt des Bären, der neben ihm stand und der Echse mit einem Hieb den Kopf von den Schultern getrennt hatte. Er blickte Zid in die Augen und lächelte - zu einem Dankeswort fehlte ihm im Augenblick die Luft. Der Bär nickte ihm nur zu und wandte sich dann ab, um dem nächsten Ansturm der Echsen entgegenzutreten.

Ein weiterer Stein lag in der Pfote des Frettchens. Doch irgendwie fiel ihm das Zielen sehr schwer. Es war, als würde sich die Welt um ihn herum verdunkeln. Überrascht stellte er fest, daß es genau so war. Die Sonne war verschwunden, und statt dessen strahlte ein gleißender Ring auf sie herab. Gleichzeitig begann die Luft sich abzukühlen. Michiki blickte zu dem Kreis der Magier und sah, daß die Lichtsäule mittlerweile bis in den Himmel reichte und scheinbar genau auf die Stelle zuführte, wo einst die Sonne gewesen war. Mittlerweile lagen vier tote Körper in ihren Reihen, man konnte jedoch nicht erkennen, um wen es sich dabei handelte, da ihre Kutten den gesamten Körper verdeckten. Innerhalb weniger Minuten fiel die Temperatur so sehr, daß Atemwolken sichtbar wurden und Michiki zu frieren begann. Je länger es dauerte, desto träger und langsamer wurden die Bewegungen der Echsen, bis sie schließlich völlig zum Erliegen kamen. Der beißende Frost drang auch durch sein eigenes Fell, und er schlang die Arme um sich. Jetzt wußte er, daß Velenas Worte nicht nur einfach eine Metapher gewesen waren - nie hatte er eine solche Kälte verspürt.

*

Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wurden seine Schritte sicherer. Die beiden Echsenwachen führten ihn immer tiefer in das Höhlensystem hinein. Das Schaben der Holztrage hallte in den engen Gängen unheimlich wider. Gelegentlich begegneten sie anderen Wachen, die sie flüchtig grüßten und an ihnen vorübereilten. Scheinbar genoß Gzecit einen gewissen Ruf, die Blicke und Gefühle der übrigen Echsen zeigten dies sehr deutlich.

An einer der vielen Abzweigungen, die sie passierten, ließ der Anführer sie schließlich Halt machen. Er rief eine der Wachen zu sich und befahl ihr etwas in ihrer eigenen zischenden Sprache. »Gib ihm die Trage«, wies er Rotpelz an, unterstützt von Ch'rasts Armbrust. Rotpelz blieb reglos, obwohl ihm die schweren Stangen beinahe die Schultern zerquetschten und der dritte Wächter ihn erwartungsvoll anblickte. »Hörst du nicht, was ich dir sage?«

»Ich habe dich sehr gut verstanden«, gab der Fuchs zurück. »Aber ich habe dir gesagt, daß ich nicht ohne sie gehen werde. Und ein toter Gefangener dürfte für dich nicht viel wert sein.«

Gzecit zischte mißgelaunt. »Du spielst ein sehr gefährliches Spiel, Fellball!« drohte er.

»Was habe ich zu verlieren? Wenn du mich zu deinem Herrn gebracht hast und er erst einmal mit mir fertig ist, werdet ihr mich ohnehin umbringen. Warum sollte ich mir dann noch Sorgen um mich machen? Mein Schicksal ist besiegelt, so oder so.«

»Da hast du verdammt recht, Fuchs. Das ist es.« Mit einer schnellen Bewegung schlug Gzecit mit seiner Pranke zu. Rotpelz taumelte zu Boden, als die Klauen in seinem Gesicht aufschlugen und ihm für einen Moment lang die Sinne raubten. Hinter sich hörte er, wie die Trage auf den Boden fiel und Ichira vor Schmerzen laut aufschrie. Voller Zorn wirbelte er herum und wollte sich gerade wieder aufrichten, als er in Ch'rasts gespannte Armbrust blickte. Knurrend verharrte er und legte die Ohren an. »Dies nur als Warnung, Fuchs. Wenn du sterben willst, kannst du das gerne haben.« Mit einem Wink wies er den Wächter an, Ichiras Trage aufzunehmen. Nachdem dieser den Gang hinunter verschwunden war, wandte er sich wieder Rotpelz zu. »Und du wirst jetzt mit zu unserem König kommen. Und wenn du deine Katzenfreundin noch einmal wiedersehen willst, machst du besser keinen weiteren Ärger mehr.« Er wies auf den breiteren Gang, der weiter vorausführte.

Unter dem wachsamen Blick von Ch'rast erhob er sich langsam und setzte sich in Bewegung. Innerlich kochte er vor Wut über seine Hilflosigkeit der Situation gegenüber. Er hatte starke Worte benutzt, um Ichira zumindest bis jetzt das Leben zu retten, doch nun war es anscheinend mit der Geduld der Echsen vorbei. Mit ausdrucksloser Miene führten sie ihn immer tiefer in die weitverzweigten Gangsysteme ihrer Festung.

Sein müder und geschundener Körper machte ihm unmißverständlich klar, daß er nicht mehr lange durchhalten würde. Eine eisige Kälte begann sich in ihm auszubreiten, und er blieb stehen, schwer keuchend an die Höhlenwand gestützt. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, daß er seinen Atem vor der Schnauze sehen konnte. Verblüfft wandte er sich zu den beiden Wächtern um, die mindestens genauso überrascht waren, wie er. Doch noch etwas bemerkte er: Die Echsen schienen die Kälte nicht besonders gut zu vertragen. Während er noch zusah verschlechterte sich ihr Zustand rapide, bis sie beide schließlich zu Boden sanken und regungslos liegenblieben.

Die Temperatur in der Höhle hatte mittlerweile einen Punkt erreicht, der ihn an seine alte Heimat erinnerte. Aus reiner Gewohnheit stellte er sein Fell auf und sorgte so dafür, daß sich die Wärme seines Körpers nicht so schnell verflüchtigte. Woher dieser plötzliche Kälteeinbruch kam konnte er nicht feststellen, aber er war dankbar für diese Chance, sein Leben und das von Ichira ein zweites Mal zu retten. Die beiden Echsen fesselte er mit Hilfe der Lederbänder ihrer eigenen Rüstungen. Er zögerte zunächst, die Wächter einfach so dort liegen zu lassen, doch dann gewann die Vernunft die Oberhand. Er durfte keine Zeit verlieren, denn Ichira brauchte seine Hilfe. Ihr Fell würde sie nicht so gut schützen wie seines ihn, und noch dazu war sie nicht in der Verfassung, sich selber zu helfen. Also wandte er sich um und lief den Weg zurück, so schnell er konnte.

Es war nicht leicht, in diesem weit verzweigten Labyrinth die Orientierung zu behalten. Mit Hilfe aller seiner Sinne suchte er nach seiner Gefährtin. Dabei wurde er auf Geräusche aufmerksam, die aus einem der vielen Gänge kamen. Vorsichtig folgte er den Lauten, bis er schließlich vor einer vergitterten Tür stand, hinter der sich eine große Anzahl Gestalten zusammendrängten. Als er sich behutsam näherte erkannte er schließlich, daß es sich dabei um eine Art Massengefängnis handelte. Etwa zwei Schritte vor dem Gitter lag eine Echse regungslos auf dem Boden. Nach kurzer Suche fand er einen schweren Schlüsselring, den er sogleich am Schloß der Tür ausprobierte. »Keine Sorge, Freunde!« rief er den Gefangenen entgegen. »Ich werde euch hier rausholen.« Das Schloß sprang auf, und er öffnete das Gitter. »Folgt mir, ich bringe euch an die Oberfläche.«

»Warum ist es so kalt?« fragte einer der Gefangenen.

Rotpelz konnte nicht sehen, woher die Stimme kam, doch sie klang eindeutig katzenartig. Überhaupt schienen viele der Gefangenen Feline zu sein. »Ich weiß es nicht. Aber die Echsen scheinen die Kälte nicht zu vertragen. Danken wir den Ewigen dafür. Nun kommt mir einfach nach, ich kenne den Weg.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber er war sich sicher, daß er den Weg zum Höhleneingang problemlos finden würde. Allerdings nagte die Tatsache an seinem Gewissen, daß er dadurch Ichiras Rettung verzögerte, also beeilte er sich, die Gefangenen zum Ausgang zu führen.

Als er dann am Ende des Ganges das Tageslicht sah blieb er stehen und wies die Vorausgehenden an, den Rest der Gruppe nach draußen zu führen. Er selber wandte sich wieder um und setzte seine Suche nach Ichira fort. Jetzt, da er aus derselben Richtung kam, konnte er seinen Weg etwas leichter finden. Bald schon war er an der Abzweigung angelangt, wo man seine Gefährtin von ihm getrennt hatte. Hier ruhte er sich erst ein mal ein paar Augenblicke aus, von den Anstrengungen tanzten ihm bereits schwarze Flecken vor den Augen herum. Dann lief er weiter.

Der Gang zog sich in einer weit geschwungenen Rechtskurve vor ihm hin. Rotpelz folgte dem Weg so schnell er konnte. Dann begann er, Ichiras Namen zu rufen; die Echsen würden ohnehin kein Hindernis mehr sein. Nach jedem Ruf lauschte er angestrengt auf eine Antwort, doch es kam keine. Also lief er weiter, spähte in jede Nische, betrat jeden Seitengang, bis er plötzlich vor sich im Halbdunkel zwei größere Schemen auf dem Boden entdeckte. Die Fackeln in diesem Teil der Höhlen waren beinahe niedergebrannt, und der Fuchs mußte sich anstrengen, um überhaupt noch etwas sehen zu können. Doch als er näher kam erkannte er zweifelsfrei, daß es Ichiras Trage und die Echse waren. Die Katze selber fand er schließlich einige Schritte weiter den Gang hinunter. Anscheinend hatte sie nach dem Kollaps der Echse versucht, sich aus eigener Kraft weiterzuschleppen.

Besorgt kniete Rotpelz neben Ichira nieder und legte sein Ohr an ihre Schnauze. Erleichtert stellte er fest, daß sie noch atmete und richtete sie vorsichtig auf. Ihr Fell fühlte sich eisig an - er mußte sie so schnell er konnte aus dieser Höhle schaffen, oder es würde zu spät sein. Ohne weiter darüber nachzudenken hob er sie vom Boden auf und trug sie den Gang hinunter zurück. Dabei drückte er sie fest an sich, um ein wenig seiner eigenen Körperwärme an sie abzugeben. Es war ein beschwerlicher Weg für ihn, besonders in seiner momentanen Verfassung, aber er biß die Zähne zusammen und ging weiter dem Ausgang entgegen.

*

Auch Pcherro wurde von der plötzlichen Veränderung der Umgebung überrascht. Anfangs hatte er das Ritual der Zauberer noch gleichgültig betrachtet, doch jetzt machte sich ein ungutes Gefühl in seinem Bauch breit. Die Macht, die vom Zentrum des Kreises ausging, flößte ihm eine gewisse Furcht ein, obwohl sie offensichtlich dazu diente, den Kampf gegen die Echsen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Und dann diese unheimliche Kälte; selbst der strengste Winter, den er je erlebt hatte, hatte keine solchen Temperaturen gebracht. Während des Kampfes hatte er sich schon mit dem Gedanken abgefunden, für sein Volk zu sterben, doch als dann ihre Gegner nach und nach Opfer der Kälte wurden, baute sich in ihm wieder Hoffnung auf. Noch größer wurde seine Zuversicht, als er die ersten Gefangenen sah, wie sie das Höhlensystem verließen. Sie sahen furchtbar aus, aber sie waren frei.

Der Kater beeilte sich, hinunter in die Senke zu kommen, um dem Flüchtlingsstrom zu begegnen. Voller Freude begrüßte er seine Stammesgenossen, lachte mit ihnen und umarmte sie. Doch während der ganzen Zeit hielt er insbesondere Ausschau nach seiner Familie und Ichira. Allerdings konnte er sie nicht finden. Mittlerweile hatten die letzten Gefangenen die Höhle verlassen, und es wurde klar, das keine weiteren folgen würden. Besorgt wandte er sich dem Eingang zu und betrat erneut die verhaßte Höhle, die so viel Leid für ihn und all die anderen Arbeiter bedeutet hatte.

*

Endlich sah er den Ausgang vor sich. Ichira wog schwer in seinen Armen und er war froh, daß es endlich bald vorüber sein würde. Er sammelte noch einmal all seine Kräfte, schloß die Augen vor Erschöpfung und machte die letzten unsicheren Schritte. Plötzlich spürte er eine Bewegung vor sich und wich instinktiv aus, doch er konnte einen Zusammenprall nicht vermeiden.

»Oh, entschuldigt bitte«, sagte eine Katzenstimme, als sich jemand an ihm vorbeischob.

Der Fuchs war zu erschöpft, um zu antworten. Er wollte nur raus aus der Höhle und seine Gefährtin aus dem Wirkungskreis der Kälte hinausbringen.

»Ichira?«

Rotpelz blieb verdutzt stehen und wandte sich um. »Woher kennt Ihr sie?« Dann sah er den kahlen Fleck auf der Stirn des Katers und verstand.

»Ichira!« Der andere stürzte zu ihm hin und Rotpelz mußte sie vorsichtig auf den Boden setzen, damit er nicht stürzte. Mit Tränen in den Augen kniete der Kater neben Ichira hin und nahm sie in seine Arme. Immer wieder nannte er ihren Namen, als könne er nicht begreifen, daß sie tatsächlich da war. Behutsam streichelte er ihr den Kopf und den Rücken; ihre Schnauze ruhte auf seiner Brust.

»Wer seid Ihr, Freund Kater?« fragte Rotpelz schließlich.

Der andere hob langsam seinen Kopf, das Fell durchnäßt von Tränen. »Mein Name ist Pcherro, Freund Fuchs. Ich bin ihr Bruder.«

»Mich nennt man Rotpelz. Sayh, Pcherro.« Sie tauschten einen schnellen Pfotendruck. »Wir sollten von hier verschwinden und sie an einen wärmeren Ort bringen.«

»Ihr habt recht. Laßt die Zauberer mit den Echsen fertig werden.«

Rotpelz half Pcherro, Ichira aufzuheben und begleitete ihn in Richtung Ausgang. »Von welchen Zauberern sprecht Ihr?«

»Auf meinem Weg traf ich eine Gruppe um eine Luchsin namens Velena. Soviel wie ich hörte, habt Ihr sie ebenfalls kennengelernt. Sie hat sich hier mit einer Gruppe anderer Magier getroffen und diese Kälte über die Echsen gebracht. Ich denke, wir verdanken ihnen diesen glücklichen Ausgang dieses Desasters.« Er blickte Rotpelz tief in die Augen. »Ich hoffe, Ihr seid es würdig, der Gefährte meiner Schwester zu sein.«

»Diese Entscheidung werde ich Ichira selber überlassen.« Der Fuchs lächelte. »Nun sollten wir uns aber beeilen, Euer Fell wird Euch und sie nicht lange vor der Kälte schützen können.«

*

Die Aufräumarbeiten waren in vollem Gange. Längst hatten die Katzen alle Trümmer des ehemaligen Dorfes nach verwertbaren Teilen durchsucht, und einige hatten es sogar schon geschafft, ihre Hütten wieder neu aufzubauen. Der Schock des Überfalls saß noch immer tief in den Herzen der Stammesmitglieder, daher setzten sie nun mehr daran, ihr Dorf leichter verteidigen zu können. Nur wenige von ihnen hatten wirklich verstanden, was geschehen war, und wer für ihre Rettung verantwortlich gewesen war. Die meisten waren einfach froh, wieder zu Hause zu sein.

Velena, Hakir und Zid waren nach der Gefangennahme der Echsen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Der Wolf war unglaublich erleichtert gewesen als er hörte, daß sie wohlauf war. Er hatte sich mittlerweile keine Mühe mehr gegeben, seine Zuneigung zu der Luchsin zu verbergen, und auch sie erwiderte seine Gefühle nun offen. Zusammen mit den Überlebenden ihrer Völker hatten sie sich schließlich auf den Weg gemacht. Die Gemeinschaft des Widerstandes hatte ihren Zweck erfüllt.

Rotpelz und Ichira saßen am Rande des neu entstehenden Dorfes und beobachteten die Arbeiten. Die Katze hatte sich erstaunlich gut erholt, und nur noch eine Stützschiene an ihrem Bein zeugte von den Verletzungen, die sie im Kampf gegen das Monster im Sumpf erlitten hatte. Die seelischen Wunden aber waren tief und kamen immer wieder an die Oberfläche. Der Fuchs wich nie von ihrer Seite, gab ihr Halt wann immer sie ihn brauchte. Er half auch ihrer Familie, sich ein neues Heim zu bauen, was unter anderem auch Pcherro davon überzeugte, daß er seiner Schwester ein guter Gefährte sein würde.

»Was wirst du tun, wenn hier alles wieder seinen gewohnten Gang geht?« fragte Ichira.

»Was meinst du?«

Ichira blickte ihm in die Augen. Die bernsteinfarbenen Augäpfel strahlten im Licht der Sonne wie Edelsteine. »Ich meine, wirst du weiterziehen, um andere Länder und andere Leute kennenzulernen? Denn ich glaube nicht, daß du es lange an einem Fleck aushalten würdest. Du bist ein Wanderer, Freund Fuchs; und ich sehe bereits jetzt in deinen Augen, daß es dich wieder in das Land hinauszieht. Du bist nicht geschaffen für ein Leben wie das, was wir hier führen.«

Rotpelz seufzte. »Ich fürchte, daß du recht hast. Ay! Wäre dieser Überfall nicht gewesen, hätte ich sicher dieses Land schon weit hinter mir gelassen. Ich weiß, es gibt noch viel für mich zu entdecken; Länder, Städte, Völker ... Eine ganze Welt voller Geheimnisse und Rätsel, die es zu erforschen gilt.« Er machte eine Pause, atmete tief ein und fuhr mit leiser Stimme fort. »Natürlich bin ich neugierig zu erfahren, wie das Land jenseits dieses Reiches aussieht. Aber solange du bei mir bist, kann ich dem Drang widerstehen. Wenn du meine Gesellschaft weiterhin akzeptierst, werde ich bei dir bleiben und versuchen, mich so gut wie möglich an dein Leben anzupassen.«

»Es ist ein großes Opfer, das du bringen müßtest«, sagte Ichira. »Ich möchte nicht, daß du meinetwegen auf deine Wanderungen verzichtest. Deswegen habe ich beschlossen, dich zu begleiten.«

Rotpelz war so verblüfft, daß er zuerst kein Wort herausbekam. »Wie meinst du das?«

Die Katze lachte. »Daß ich mit dir kommen möchte, um die neuen Länder zu sehen. Sobald meine Familie und das Dorf wieder ein geregeltes Leben führen, werde ich mich dir anschließen, sofern du es bis dahin hier aushältst und du meine Gesellschaft duldest.«

»Was wird dein Bruder dazu sagen?«

»Vermutlich wird er mich für verrückt erklären und mir schließlich eine gute Reise wünschen. Wir stehen uns sehr nahe, deshalb wird er verstehen, was ich fühle. Es ist meine Entscheidung, wie ich mein Leben führen möchte.«

»Dann hat dies hier vermutlich keinen größeren Wert mehr für dich«, sagte der Fuchs leise und reichte ihr ein Kästchen, mit dem er schon eine ganze Weile hinter seinem Rücken herumgespielt hatte. »Ich dachte, es wäre ein nettes Geschenk zur Wiedervereinigung deiner Sippe.«

Ichira nahm den kleinen Gegenstand in ihre Pfoten und öffnete schließlich den Deckel. In einem samtigen Futter lag ein grüner, kreisrunder Stein darin, eingefaßt in ein Geflecht aus goldfarbenem Draht. Der Stein funkelte im Licht des Tages, als die Katze das Schmuckstück aus dem Kästchen nahm und es betrachtete. Jetzt bemerkte sie, daß die Einfassung in der Form eines Fuchskopfes gestaltet worden war.

»Ich habe einen eurer Feinschmiede dazu überreden können, das Zeichen ein wenig abzuändern«, sagte Rotpelz leise. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus.«

»Ganz und gar nicht, Freund Fuchs«, erwiderte sie. In ihrem Gesicht spiegelte sich eine Freude wider, die sie seit ihrer Rückkehr nur selten gezeigt hatte. »Ay! Es ist wunderschön. Hilfst du mir, es anzulegen?«

Geführt von ihren Anweisungen befestigte Rotpelz das Stammeszeichen an ihrer Stirn, das nun die kahle Stelle verdeckte. Nun endlich konnte er das Bild in seinem Kopf vervollständigen, das sich seit der Nacht am See darin festgesetzt hatte. Und er hatte recht behalten: Der Stein paßte so gut zu ihr, daß er fast ein Teil von ihr zu sein schien.

»Danke, Rotpelz«, sagte sie nach einer langen Pause.

»Renech«, sagte der Fuchs.

»Was?«

Rotpelz grinste. »Das ist mein wirklicher Name. Renech. Ich möchte, daß du ihn erfährst, weil du diejenige bist, die mich am besten kennt. Wenn du mich bei diesem Namen nennst, werde ich wissen, daß es um Dinge geht, die nur dich und mich etwas angehen. Bitte behalte diesen Namen für dich, er soll nur dir allein gehören.«

»Wie du willst ... Renech.« Ichira grinste. »Ay! Fürwahr, ein Fuchs voller Geheimnisse.«

»Rotpelz! Ichira!« Michiki kam aus dem Dorf auf sie zugerannt. Das Frettchen hatte sich dazu entschieden, fürs Erste hier bei den Katzen zu bleiben, bis er sich entschieden hatte, was er mit seinem neuen Leben in der Freiheit anfangen wollte. Außerdem hatte Ichiras Bruder den kleinen Kerl sehr lieb gewonnen, und die beiden waren mittlerweile ein Herz und eine Seele. »Pcherro und der Rest der Familie haben mich gebeten, euch zum Essen zu rufen. Das heißt, wenn ihr nicht zu beschäftigt seid.« Er blinzelte verdutzt, dann grinste er. »Oh, ein hübsches Zeichen hast du, Ichira.«

»Nun, meine Teure«, sagte Rotpelz höflich. »Würdet Ihr mich dann zum Festmahl geleiten?«

Lachend standen sie auf und folgten dem Frettchen, das bereits auf dem halben Weg zurück zur Hütte war.

ENDE